Frobenius-Gymnasium
Geschichte (be-)greifen
Wie haben es die Menschen in der Steinzeit gemacht? Eine Schülerin stellt eine Flöte her.
Wie haben es die Menschen in der Steinzeit gemacht? Eine Schülerin stellt eine Flöte her.
Kerstin Köhler
Hammelburg

Wasserhahn auf, Herd an und Nudelwasser aufstellen - alltägliche Handlungen, über deren technischen Hintergrund sich wahrscheinlich niemand von uns modernen Menschen beim Kochen wirklich Gedanken macht. Wie aber würden unsere Kochgewohnheiten aussehen, wenn wir weder Elektrizität noch Konservierungsmöglichkeiten hätten? Würden wir dann der sogenannten Paleo-Ernährung folgen, die als Steinzeit-Diät seit ein paar Jahren durch die Medien geistert?

Zudem bleiben berechtigte Zweifel, wie sich die Menschen in der Steinzeit tatsächlich ernährten. Woraus bestand also der steinzeitliche Speiseplan und wie erfolgte die Zubereitung? Mit solchen und ähnlichen Fragestellungen beschäftigt sich die experimentelle Archäologie als Spezialgebiet der Archäologie. Ihr Ziel ist es, mithilfe von empirischen Experimenten Antworten zu archäologischen Fundstücken ohne schriftliche Überlieferung zu finden. Es muss ja nicht wie im französischen „Guédelon“ gleich die Rekonstruktion einer ganzen mittelalterlichen Burg sein. Auch im Kleinen ist experimentelle Archäologie möglich.

Dies beweist nunmehr im dritten Jahr erfolgreich der Enrichment-Kurs „Geschichte (be)greifen – Experimentelle Archäologie“, den Studienrat Bernd Schlereth für besonders begabte Schüler und Schülerinnen aus dem nördlichen Regierungsbezirk Unterfranken im Rahmen der Main-Rhön-Akademie am Frobenius-Gymnasium Hammelburg anbietet.

Grundidee des Kurses ist es, die Verbindung von Theorie und Praxis auf ausgesuchte Problemstellungen aus der Ur- und Frühgeschichte anzuwenden. Die Teilnehmer sollen so eigenständig wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen können. Hierbei geht der Einblick in verschiedene Wissenschaftsbereiche weit über den regulären Lehrplan hinaus. An sieben Wochenenden im Schuljahr (jeweils Freitag und Samstag) erleben die Schüler, wie Theorie und Praxis Hand in Hand gehen, indem sie alle Inhalte mit eigenen Händen anfassen und ausprobieren können.

Konkrete Themenfelder sind zum Beispiel Fragen nach Licht- und Wärmequellen, nach Kunsthandwerk und Werkzeugherstellung und -verwendung. Jedes Kurssegment beginnt deshalb zunächst mit einer theoretischen Einführung. Hierbei stehen neben historischen Erkenntnissen auch andere Fachwissenschaften im Fokus, so etwa Biologie, Evolutionstheorie, Physik, Chemie, Geologie, Geographie usw. Die gesamte Komplexität des damaligen Daseins soll möglichst genau in den Blick genommen werden; dies setzt einen interdisziplinären Zugang voraus.

Einen besonderen Höhepunkt stellte in diesen Zusammenhang am nunmehr dritten Kurswochenende (27. bis 28. Januar) der digitale Vortrag von Maren Lage zur Ur- und Frühgeschichte der Menschheit dar. Als Expertin auf diesem Gebiet bietet sie als Mitglied des Teams „Archäologen zu Gast“ virtuelle Seminare im digitalen Klassenzimmer an. Im Rahmen dieses Online-Workshops wurden die Schüler auf eine unterhaltsame und humorvolle Zeitreise zur Geschichte unserer steinzeitlichen Vorfahren vom Australopithecus über den Homo erectus über den Neandertaler bis hin zum Homo sapiens mitgenommen. Die Schüler selbst wurden stets aktiv in den Vortrag einbezogen und konnten zugleich ihr Wissen aus den vorigen Seminarbausteinen zur Werkzeugherstellung und Feuergewinnung kompetent einbringen, indem sie von ihren eigenen Erfahrungen aus dem praktischen Teil des Kurses berichteten.

Wie entfacht man Feuer?

Ein Feuer nur mithilfe eines Feuersteins oder Feuerbohrers zu entfachen, sieht in der Theorie einfach aus, verlangt aber ein hohes technisches Geschick, so das Fazit. Dennoch ließen sie sich davon nicht abschrecken und widmeten sich mit viel Eifer dem praktischen Teil des Kurses. Dieser wird von Bernd Schlereth stets flexibel an die Interessen der Teilnehmer angepasst. So einigte sich die Gruppe an diesem Wochenende nach Abschluss des genannten Online-Workshops darauf, sich auf verschiedene Bereiche spezialisieren zu können.

Während beispielsweise ein Teil am perfekten Feuerbohrer tüftelte oder an der Herstellung eines steinzeitlichen Werkzeugs arbeitete, versuchten sich andere an der Herstellung von steinzeitlichen Flöten oder Schmuckstücken. Und wie schon am ersten Kurswochenende galt es auch hier, auszuprobieren und zu modifizieren, bis das gewünschte Ergebnis erreicht wird. Bernd Schlereth unterstützt die Schüler hierbei mit viel Fingerspitzengefühl, Einfühlungsvermögen und auch Humor, so dass der Spaß trotz vermeintlicher Rückschläge nie zu kurz kommt.

Als zukünftiger Themenschwerpunkt für die restlichen Kurswochenenden ist zudem eine Exkursion in das Museum Herrenmühle in Hammelburg geplant, um die Schüler in die Technik des Brotbackens einzuführen. Denn entgegen den Behauptungen der Paleo-Ernährung wurde bereits in der Steinzeit Brot gebacken. Dies wurde beispielsweise 2004 durch den Fund eines flachen Mahlsteins in einer steinzeitlichen Hütte der israelischen Ausgrabungsstätte Ohalo II nachgewiesen.

Weitere spannende Kursinhalte werden zudem noch folgen. Eines haben die Schüler jedenfalls jetzt schon erkannt: Unsere steinzeitlichen Vorfahren waren wahre Überlebenskünstler und ihre Werkzeuge, Waffen, Instrumente und Schmuckstücke zeugen von Erfindungsreichtum und handwerklichem Geschick. Und dies ist auch ein wesentliches Ziel dieses Enrichment-Kurses, die Vergangenheit besser zu verstehen und die Leistungen unserer Vorfahren zu würdigen – Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes zu „(be-)greifen“. red