Schwangerschaft, Geburt und die ersten Tage mit einem Säugling sind meist verbunden mit froher Erwartung, Freude und Familienglück. Das Ehepaar Elfriede und Klaus Nußbaum aus Trossenfurt hatte schon vier gesunde Kinder, und obwohl die Familienplanung abgeschlossen schien, waren die beiden trotzdem glücklich über die erneute Schwangerschaft.
Es nahm alles seinen normalen Verlauf und die Geschwister machten sich schon auf Namenssuche. Eine Voruntersuchung riss aber alle aus den schönen Träumen: Sie deutete auf die schreckliche Diagnose hin, dass das Kind nach der Geburt sterben würde.
Nur kurz leuchtete dieser „Stern“ in der Familie und auf Erden auf. Der Bub starb kurz nach der Geburt. Eine Extremsituation und in der Gesellschaft oft noch ein Tabuthema. Das Ehepaar Nußbaum war sich in dem Leid gegenseitig eine Stütze und will mit seinen Worten Andere ermutigen.
Frage: Wie muss man sich die Situation vorstellen, als Sie und Ihr Mann von dem schweren Schicksalsschlag erfuhren?
Elfriede Nußbaum: Beim ersten Besuch war dem Gynäkologen nur aufgefallen, dass das Baby einen kleineren Kopf hat. Bei einer weiteren Untersuchung in einer Spezialklinik bekamen wir dann die schreckliche Diagnose Anencephalus (offene Schädeldecke) und das war für uns natürlich ein Schock. Ich befand mich wie in einem Gefühlskarussell. Eine Welt brach zusammen und es bestand die Gefahr, in einen Abgrund zu fallen.
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Man hat nur noch äußerlich funktioniert, denn auch der Alltag mit den anderen Kindern musste ja gestaltet werden. Selbst an Gott haben wir gezweifelt und Fragen gestellt: Warum? Wieso trifft es uns, die wir uns doch so auf unser Kind gefreut haben. Und in einem Abschlussgespräch wurden uns zwei Möglichkeiten genannt: Fortsetzung der Schwangerschaft oder Abtreibung.
Eine solche Diagnose muss erst einmal verarbeitet werden. Wie sind Sie damit für sich, Ihre Familie und Ihre Umgebung umgegangen?
Klaus Nußbaum: Wir haben uns dazu entschieden, nur einen kleinen, vertrauten Kreis in unsere Situation mit einzubeziehen. Dazu gehörten unsere größeren Kinder, unsere Familie, ein paar enge Freunde und eine geistliche Begleitung. Hilfreich war für uns aber auch, dass es Ärzte gab, welche sich für das Leben einsetzten mit der Fortsetzung der Schwangerschaft an erster Stelle.
Elfriede Nußbaum: Wir haben uns also für den schwereren Weg entschieden, obwohl die Diagnose eindeutig war, dass das Kind nach der Geburt sterben würde. Im Mutterleib war das Kind jedoch geborgen und geschützt und wir wollten unserem Kind die Chance zum Leben geben. Zum Zweiten hofften wir aber auch auf ein Wunder!
Dazu möchte ich aber noch bemerken: Die Entscheidung, das Kind in einer solchen Situation auszutragen oder abzutreiben, ist immer eine persönliche Entscheidung. Egal, wie die Entscheidung ausfällt, niemand hat das Recht, darüber zu urteilen, was richtig oder falsch ist. Jeder muss das mit sich selbst ausmachen.
Im Hinblick auf die Geburt standen Ihnen sicherlich die schwersten Stunden Ihres Lebens bevor. Der drohende Tod eines Kindes lässt sich ganz bestimmt nicht in Worte fassen, aber wie erging es Ihnen dann auf der Geburtsstation?
Klaus Nußbaum: Zum Glück hatten wir an diesem Tag die Station für uns allein und den ganzen Tag auch für uns. Ein bekannter Priester war zugegen, um uns zu stärken und den Segen zu spenden. Auch die Hebammen waren uns sehr zugewandt und es konnte losgehen. Wir gingen dann eigentlich entspannt in die Geburt, auch wenn wegen des Kaiserschnitts meine Frau dann nicht alles so mitbekam. Andreas hat kurz geschrien und ganz normal gelebt. Er zeigte Blickkontakt und schien auch keine Schmerzen zu haben.
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Elfriede Nußbaum: Andreas war ein knuffiges Baby, so richtig zum Knuddeln. Durch das Aufsetzen einer Babymütze fiel es nicht auf, dass der hintere Knochen fehlte. Ein süßes Baby.
Ihnen war bewusst, dass wahrscheinlich nur eine kurze Zeit des Abschiednehmens mit Andreas bleibt. Wie haben Sie das gestaltet?
Klaus Nußbaum: Wir konnten die wenigen gemeinsamen Stunden seines Lebens in Ruhe mit ihm verbringen. Der Kleine lag in meinem Arm und guckte mich an – aber du kannst nichts machen. Ich durfte ihn nach der Geburt taufen – das war ein bewegender Moment, über den ich froh bin. Dann ist er eigentlich zufrieden eingeschlafen. Das war für uns schmerzhaft, aber wir waren auch erleichtert, weil er keinen Todeskampf hatte.
Elfriede Nußbaum: Für mich war es trotzdem, als würde ein Stück von mir sterben und er zu mir gesagt haben: „Hier bin ich und bin leise wieder weggegangen.“ Die ganze Familie war dann zugegen und hat noch einige Stunden von ihm Abschied genommen.
Was oder wer hat Ihnen bei Ihrer Trauer am meisten geholfen?
Elfriede Nußbaum: Wir spürten, dass uns Freunde auch mit ihrem Gebet getragen haben. Spuren Gottes wurden auch mit unserem Bestatter sichtbar, der mit seiner einfühlsamen und mitfühlenden Art alles für die Bestattung vorbereitete. Die kirchliche Feier zur Beerdigung hielten wir allerdings im Wohnzimmer im Kreis unserer Familie mit zwei Priestern ab. Wir wollten allein sein.
Wie reagierte das Umfeld auf den plötzlichen Tod des Kindes oder wie sind Ihnen Nachbarn und Bürger begegnet?
Elfriede Nußbaum: Da befindet man sich in einer sehr schwierigen Situation, denn viele fürchten sich vor einem Gespräch. Auch ich habe mich in dieser Zeit im Dorf zurückgezogen, bis es mir dann wieder leichter fiel, auf jemanden zuzugehen. Wenn man selbst auf die Leute zugeht, dann werden sie schon lockerer. Aus der Nachbarschaft und dem Freundeskreis kamen aber Anrufe und wurde auch unaufgefordert Hilfe angeboten. Dafür war ich dankbar.
Wie hat sich Ihr Leben seit Andreas’Tod verändert? Haben Sie die Trauer bewältigt oder mit welchen Aktivitäten verarbeiten Sie auch heute noch den Verlust Ihres geliebten Kindes?
Elfriede Nußbaum: In der Familie nimmt man sich einfach mehr Zeit füreinander und das hat geholfen, das Thema zu verarbeiten, auch wenn die Trauer lange dauert. Gut ist es, wenn man mit jemandem darüber reden kann und in einem Familienkreis erhielten wir den Rat: Schreiben Sie darüber! Es ist eine Hilfe, wenn man sich etwas von der Seele schreibt. Das haben wir auch getan.
Außerdem wurde uns bewusst, dass Gott uns auch in solchen Zeiten nicht allein lässt, denn er hat uns gute Wegbegleiter zur Seite gestellt. Wir selbst haben dann eine zweijährige Ausbildung zu Ehe- und Familientrainern absolviert, sind in dieser Gruppe gewachsen und wollen Ehepaare in ähnlichen Situationen unterstützen.
Gibt es auch in Ihrem Haus oder Ihrer Familie Erinnerungen an Andreas, die immer wieder in den Mittelpunkt rücken?
Elfriede Nußbaum: In der Ecke am Esszimmertisch stehen einige Dinge, die an ihn erinnern. Ein besonderer Tag im Leben unserer Familie ist aber der Geburts- und Sterbetag, an dem wir uns nach Möglichkeit alle einfinden zu einem Essen. Die Geschwister tragen außerdem immer wieder zu besonderen Überraschungen bei. Zu dem Tag, an dem er eingeschult worden wäre, häkelten sie einen kleinen Schulranzen oder die große Tochter stellte bei der Taufe ihres Kindes auch eine Kerze für Andreas daneben.
Klaus Nußbaum: Die Seilschaften zwischen Himmel und Erde sind auf jeden Fall da und auch die Geschwister nehmen das wahr. Wenn Bedürfnis vorhanden ist, reden wir darüber. Wir alle haben jetzt einen Schutzengel im Himmel und ich habe an diesen persönlichen Schutzengel schon öfter auch bei Verkehrssituationen gedacht.
Das Gespräch führte unser
Mitarbeiter Günther Geiling