Forderungen
Gesundheitswesen: So kann es nicht weitergehen
Das Podium bei der VdK-Diskussion (von links): Simone Barrientos, Prof. Steven Ullmann, Sabine Dittmar, Moderator Nikolaus Nützel, Verena Bentele, Barbara Becker und Manuela Rottmann.
Das Podium bei der VdK-Diskussion (von links): Simone Barrientos, Prof. Steven Ullmann, Sabine Dittmar, Moderator Nikolaus Nützel, Verena Bentele, Barbara Becker und Manuela Rottmann.
Sabine Weinbeer
Kein Blatt vor den Mund nahm wie gewohnt VdK-Präsidentin Verena Bentele.
Kein Blatt vor den Mund nahm wie gewohnt VdK-Präsidentin Verena Bentele.
Sabine Weinbeer
F-Signet von Sabine Weinbeer Fränkischer Tag
Zeil am Main – Bei einer Veranstaltung des VdK zum Gesundheits- und Sozialwesen in Zeil wurde klar, was sich nach der Bundestagswahl ändern muss.

Die VdK-Vertreter spielten in Zeil mit offenem Visier: Sie machten bei der von ihnen veranstalteten Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl im Rudolf-Winkler-Haus Druck in der Sozial- und Gesundheitspolitik mit den Themen, die sie seit Jahren in groß angelegten Kampagnen forcieren. „Der VdK könnte bei der Bundestagswahl das Zünglein an der Waage sein“, sagte Landesgeschäftsführer Michael Pausder mit Hinweis auf die bundesweit 2,1 Millionen Mitglieder. In Bayern sind es 750000, in Unterfranken 97000 Mitglieder. Das bedeutet, in Unterfranken ist jeder neunte Einwohner VdK-Mitglied. Umso stolzer war Kreisgeschäftsführerin Andrea Stühler-Holzheimer, dass die unterfränkische Veranstaltung dieses Formats im Landkreis Haßberge stattfand.

Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien

Eingeladen aufs Podium waren Gesundheitspolitiker aller im Bundestag vertretenen Parteien. Den Fragen von Moderator Nikolaus Nützel vom Bayerischen Rundfunk stellten sich MdB Simone Barrientos (Die Linke), MdL Barbara Becker (CSU), MdB Dr. Sabine Dittmar (SPD), MdB Manuela Rottmann (Bündnis 90/Die Grünen), MdB Prof. Andrew Ullmann (FDP) und VdK-Präsidentin Verena Bentele.

Landesvorsitzende Ulrike Mascher führte in die Thematik des Streitgesprächs ein, das auch per Livestream übertragen wurde. In die Podiumsdiskussion flossen auch Fragen aus dem Netz ein. Für die Online-Teilnehmer übersetzte Alexa Dölle alle Beiträge in Gebärdensprache.

„Ein Armutszeugnis“

Alters- und Kinderarmut in einem der reichsten Länder der Welt bezeichnete Michael Pausder als Armutszeugnis, ebenso die hohe Abhängigkeit des Schulabschlusses vom sozialen Status des Elternhauses. „Die Soziale Durchlässigkeit von unten nach oben war in den 60er und 70er Jahren schon mal besser“, mahnte er an und warnte davor, gerade jetzt im Zuge der Pandemie nicht eine ganze Generation abzuhängen. Den anwesenden Mandatsträgern zeigte er eine repräsentative Umfrage auf, nach der eine Kindergrundsicherung 76 Prozent Zuspruch in der Bevölkerung habe. Auch Lohngerechtigkeit sei ein großes Anliegen des VdK. Zeit- und Leiharbeit bezeichnete Pausder als „moderne Sklaverei“.

Mascher: Profitstreben beenden

Enormes Detailwissen legte Ulrike Mascher an den Tag. Die frühere VdK-Präsidentin und Staatssekretärin forderte vor allem, die Gewinnorientierung im Gesundheitswesen zu beenden und eine Krankenversicherung für alle einzuführen. Das sei der einzige Weg aus der Zwei-Klassen-Medizin.

Das Wohl der Patienten müsse alleiniger Maßstab sein – und das sei auch finanzierbar, denn Geld sei genug im System. Ganz wichtig sei die Aufhebung der sogenannten Sektorengrenzen zwischen ambulant und stationär, die in der Krankenhausfinanzierung große Probleme machten.

Das Krankengeldmanagement mancher Krankenkassen und den Kampf um angemessene Hilfsmittel bezeichnete Mascher als oftmals unwürdig. Es sei erniedrigend, wenn „eine Inkontinenzeinlage schon als Komfort bezeichnet wird, wenn sie kein Wundsein verursacht“, wählte sie ein einfaches Beispiel.

An den Planungsstrukturen hapert es

In einer ersten Runde mit den Mandatsträgern ging es um die Bedarfsplanung der ärztlichen Versorgung und die Krankenhausfinanzierung. Sabine Dittmar, selbst Ärztin, erklärte unumwunden, dass die Bedarfsplanung nicht an der Realität orientiert sei; schon gar nicht bezogen auf den Altersdurchschnitt der praktizierenden Ärzte, ergänzte Manuela Rottmann. Auch Steven Ullmann, ebenfalls Mediziner, sieht eine „Verteilungsstörung“, weil die Planungsstrukturen teils überholt seien.

Zum Thema Ende der Gewinnorientierung waren sich eigentlich alle Podiumsteilnehmer einig: Es steckt viel Geld im System, alle Beschäftigten der Gesundheitsberufe arbeiten bis zum Umfallen und dennoch gibt es Defizite. Deshalb sei ein Strukturwandel nötig. „Das ganze System muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden“, forderte Verena Bentele. Eine Re-Kommunalisierung von privatisierten Kliniken sieht die Juristin Rottmann unrealistisch, „aber es braucht vergleichbare Wettbewerbsregeln. Wir erlauben derzeit Rosinenpickerei“.

Dabei müsste doch gerade im Gesundheitswesen die Solidarität alleinige Basis sein, sagte Simone Barrientos.

Barbara Becker sah in mehr Digitalisierung einen Weg, Patienten neue Zugänge zur Gesundheitsversorgung zu schaffen und Pflegepersonal von Dokumentationspflichten zu entlasten. Die CSU-Politikerin forderte mehr Studienplätze für Medizin sowie eine Stärkung des Landarztmodells.

Bringt eine Bürgerversicherung mehr Fairness?

Die Bürgerversicherung sehen SPD, Grüne und Linke wie auch der VdK als wichtigen Ansatz hin zu mehr Fairness im Gesundheitswesen, allerdings löse das noch nicht die Frage, wie man das Geld sinnvoll ausgibt. Die Selbstverwaltung, die Kassenärztlichen Vereinigungen, standen hier in der Kritik. Ullmann als FDP-Vertreter sah bei den Kassen nicht „die kausale Problematik, aber wir haben ein Fehl-Anreiz-System“. Dadurch würden unnötige teure stationäre Eingriffe veranlasst.

Dass es eine Pflegereform braucht, Geld wie Leistungen besser verteilt werden müssen, die Arbeitsbedingungen für Pflegepersonal verbessert werden müssen, das flache Land eine flächendeckende Versorgung braucht, darin waren sich in der Schlussrunde alle Teilnehmer einig. Wie man das anpacken will, wurde unterschiedlich deutlich ausgesprochen.

Verena Bentele zeigte in ihrem Schlusswort auf, dass sie für den VdK und seine Mitglieder weiterhin den Finger in die Wunde legen werde. „Wir können die Effekte von politischen Maßnahmen an den Anliegen unserer Mitglieder messen und uns entsprechend weiter lautstark äußern. Wenn der VdK künftig weniger streiten muss, dann würde mich das freuen. Aber locker lassen werden wir auf jeden Fall nicht.“

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