Historische Sensation
300 Kilometer Bierleitung zwischen Nürnberg und Prag
Vier fleißige (Bierleitungs-)Rohrverleger von anno dazumal.
Vier fleißige (Bierleitungs-)Rohrverleger von anno dazumal.
Droschke
Wen dieses Foto wohl zeigt? Es fand sich in František Hájíceks „Schatzkiste“.
Wen dieses Foto wohl zeigt? Es fand sich in František Hájíceks „Schatzkiste“.
Droschke
So sieht die Bierleitung also aus, wenn sie im Rahmen von Straßenbauarbeiten zufällig zum Vorschein kommt. Weil die Bauarbeiter meist nicht wissen, für was genau die Leitung war, die sie ungewollt mit ausgraben, versehen sie sie an den intakten En...
So sieht die Bierleitung also aus, wenn sie im Rahmen von Straßenbauarbeiten zufällig zum Vorschein kommt. Weil die Bauarbeiter meist nicht wissen, für was genau die Leitung war, die sie ungewollt mit ausgraben, versehen sie sie an den intakten Enden zur Sicherheit mit einem Verschluss - zu sehen auf dem einen Teil der Bilder. Auf den anderen ist ein Kermikrohr zu sehen. Dass dieses zur Bierleitung gehört, kann man an einem Etikett erkennen, dass zur Identifikation angebracht worden war.
Droschke
Auch dieses Bild fand sich in der geheimnisvollen Kiste.
Auch dieses Bild fand sich in der geheimnisvollen Kiste.
Droschke
František Hájícek blieb auch der Liebe wegen in Franken.
František Hájícek blieb auch der Liebe wegen in Franken.
Droschke
Bamberg – Ein Dachbodenfund ließ fünf fränkische Freizeit-Historiker zur Schaufel greifen. Siehe da: Das alte Keramikrohr, durch das 1929 Bier zwischen Franken und Böhmen floss, kam zum Vorschein.

Franken ist voller Geheimnisse. Über und unter der Erde. Manche liegen jahrelang im Dornröschenschlaf und werden dann durch Zufall entdeckt. So wie die Fränkisch-Böhmische Bierleitung, ein Rohrsystem, das mit sage und schreibe 300 Kilometern die längste Zapfanlage darstellt, die je konstruiert wurde.* Sehr schade, dass sie nur ganz kurz in Betrieb war.

Ein Dachbodenfund, der es in sich hat: Die Sensation versteckt sich in den Briefen, die in Sütterlin verfasst sind.
Ein Dachbodenfund, der es in sich hat: Die Sensation versteckt sich in den Briefen, die in Sütterlin verfasst sind.
Winter

Doch der Reihe nach. Mitte 2020, im ersten Corona-Sommer, half eine Handvoll Freunde in Reichenschwand bei Nürnberg, ein sanierungsbedürftiges Haus auszuräumen. Auf dem Dachboden fiel den fünf Ausräumern eine rostige Blechkiste in die Hände. „Wir waren neugierig und hoben den Deckel an. Zum Vorschein kamen in krakeliger Sütterlin-Schrift verfasste Briefe und allerhand alte Fotos“, erzählt Martin Droschke.

Schon war das Interesse des Coburgers, von Beruf Autor, geweckt: „Die Briefe hatte ein gewisser František Hájícek, ein tschechischstämmiger Franke, an seinen Bruder geschrieben. Es ging darin um einen Mangel an Lebensmitteln, der Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg fast in eine Hungerkatastrophe stürzte.“ Da kein Malz aufzutreiben war, blieben auch die Bierkrüge leer.

František Hájícek im Frühjahr 1929. Das Fallrohr ist in Wirklichkeit eine Steigleitung. Die Tarnung sollte Bierdiebstahl verhindern.
František Hájícek im Frühjahr 1929. Das Fallrohr ist in Wirklichkeit eine Steigleitung. Die Tarnung sollte Bierdiebstahl verhindern.
Fuchs

Schlosser Hájícek, 1884 in Prag geboren, schrieb damals in seine alte Heimat, er habe gehört, „dass ihr so viel Gerste in euren Silos habt, dass ihr kaum den Kampf gegen die Mäuse gewinnen könnt, während nicht ein Sack davon sich nach Franken schaffen lässt“. Auch nicht zu jener Familienbrauerei, aus der seine spätere Frau Amalie stammte: „die Grenze, die kaputten Straßen, die toten Pferde, die fehlende Kohle, wegen der die Züge still stehen…“, beklagt Hájícek.

Doch beim Klagen beließ er es nicht. Theobald Fuchs, Physiker und Krimiautor aus Nürnberg, fasst den derzeitigen Wissensstand zusammen: „Schon 1919 arbeitete Hájícek an einer Bierleitung, die Nürnberg mit Prag verband.“ Die alternative Transportlösung sei ein technisches Wunderwerk gewesen, das es Brauereien und Wirtshäusern ermöglichen sollte, Gerstensaft zielgenau einzuspeisen oder sortenrein zu entnehmen.

Die Hauptleitung: Dieses Keramikrohr trägt eine Plakette der Fränkisch-Böhmischen Bierleitungs-Aktiengesellschaft.
Die Hauptleitung: Dieses Keramikrohr trägt eine Plakette der Fränkisch-Böhmischen Bierleitungs-Aktiengesellschaft.
Droschke

„Mit 300 Kilometern war das mit Sicherheit die längste Zapfanlage, die je konstruiert wurde!“, macht Martin Droschke die Dimension deutlich. „Sie konnte das Nass in beide Richtungen transportieren. Heute vor 94 Jahren, am 1. April 1929, wurde mit der ,Blauen Kugel’ in Nürnberg das erste Wirtshaus angeschlossen, vorerst aber nur zum Testbetrieb.“ Offiziell gezapft wurde das erste Seidla dann laut Hájíceks Briefen am 26. Juli 1929.

Physiker Theobald Fuchs und Katha Winter erforschen das Rohrsystem.
Physiker Theobald Fuchs und Katha Winter erforschen das Rohrsystem.
R. Hallama

Leider kam die revolutionäre Technik nie über den Erprobungsstatus hinaus. Im Oktober 1929 riss der New Yorker Börsencrash die deutsche Wirtschaft in den Abgrund. „Die Schockwelle zermalmt unseren edlen Traum“, schrieb Hájícek nach Hause. „35 Brauereien und fast 400 Zapfstellen wollten bis Jahresende zu uns stoßen. Alle haben in diesen Wochen ihren Vertrag gekündigt, ausnahmslos.“

Dieser Brief, den Hájícek am 17. November 1929 an seinen Bruder schickte, ist sein letztes Lebenszeichen. Was aus ihm wurde? „Sein Bruder ließ noch Jahre später nach ihm suchen, vergeblich“, berichtet Droschke.

Ulrike Götz vermisst das Rohr, das die “Goldgräber“ in Nürnberg vor der “Blauen Kugel“ entdeckten.
Ulrike Götz vermisst das Rohr, das die “Goldgräber“ in Nürnberg vor der “Blauen Kugel“ entdeckten.
Hallama

Doch warum geriet die einzigartige Bierleitung schnell und vollständig in Vergessenheit? „Ich vermute, es liegt daran, dass die Anlage nie richtig in Betrieb ging“, mutmaßt Theobald Fuchs. Ein zweiter Grund ist für ihn die Machtergreifung Hitlers 1933. „Wie der Nachname Hájícek verrät, entstammte der glücklose Selfmade-Ingenieur dem slawischstämmigen Teil der böhmischen Bevölkerung. Ein ,Untermensch’ als Hightech-Visionär – ein No-Go in den Augen der Nazis!“

Oliver Heß (links) und Martin Droschke am Fundort eines Fragments, das offenbar von einer Warntafel stammt; Heß hält links die Rekonstruktion in der Hand.
Oliver Heß (links) und Martin Droschke am Fundort eines Fragments, das offenbar von einer Warntafel stammt; Heß hält links die Rekonstruktion in der Hand.
R. Hallama

Nachdem die Freizeit-Historiker – neben Droschke und Fuchs gehören auch Katha Winter aus Nürnberg, Oliver Heß (Coburg) und Ulrike Götz (Erlangen) dazu – alle Briefe entziffert hatten, besorgten sie sich Hacken, Schaufeln und die Genehmigung, rund um die „Blaue Kugel“ in Nürnberg Bohrungen vorzunehmen. Und siehe da: Zum Vorschein kamen braune Keramikrohre, die direkt in den Schankraum führten. „Wie genial!“, sinniert Bierfreund Droschke, „Und wie schade, dass das Rohrsystem zwischen Nürnberg und Prag nicht mehr funktioniert. Es wäre eine Weltsensation.“


* Wir geben zu, die Geschichte ist frei erfunden und war ein Aprilscherz. Eine 300 Kilometer lange Bierleitung... zu schön, um wahr zu sein. ;)