Anfang Februar dieses Jahres schlug die Verwaltung der EU in Brüssel Alarm. „Wir sehen eine steigende Zahl von Betrugsfällen und falschen Angeboten im Zusammenhang mit Impfstoffen“, erklärte die Antibetrugsbehörde der Union (Olaf). Abgesehen von dem medizinischen Schaden durch gefälschte Produkte ging es auch um Geld – immerhin fast 12,7 Milliarden Euro für rund 900 Millionen Impfstoffdosen.
Am heutigen Dienstag dürften Vorfälle wie diese endlich konsequent verfolgt werden können: Denn dann nimmt die frisch gebackene Europäische Staatsanwaltschaft EPPO (European Public Prosecutor‘s Office) mit Sitz in Luxemburg ihre Arbeit auf. Über acht Jahre Vorbereitungszeit mit viel Streit zwischen den Mitgliedstaaten gehen damit zu Ende.
Polen und Ungarn machen nicht mit
Was dieser Schritt für die EU bedeutet, sagte der stellvertretende EU-Generalstaatsanwalt Andrés Ritter: „Wir sind die erste jemals geschaffene supranationale Staatsanwaltschaft.“ Die emeritierte französische Strafrechtsprofessorin Mireille Delmas-Marty, die so etwas wie die Geburtshelferin der Idee war, sprach gar von einem Schritt hin zu einer „Weltrechtsordnung“.
Unter der Leitung der angesehenen rumänischen Juristin Laura Codruta Kövesi arbeiten 22 Staatsanwälte – aus jedem teilnehmenden Mitgliedstaat eine(r). Denn bisher sind nicht alle EU-Hauptstädte dabei: Ausgerechnet die beiden Problemländer Ungarn und Polen tragen das Projekt ebenso wenig mit wie Schweden.
Außerdem haben sich Dänemark und Irland Opt-Out-Regelungen gesichert. Zu diesem engeren Kreis der Ankläger in Luxemburg kommen weitere 88 sogenannte delegierte Staatsanwälte in den Mitgliedstaaten (elf in Deutschland), die sozusagen die Brücke nach Luxemburg schlagen, indem sie Ermittlungen vor Ort weiterführen.
EU: Verurteilung nur durch Mitgliedstaaten
Denn auch wenn die EU-Ermittler nun aktiv werden, bleibt eine Verurteilung doch stets Sache der Gerichte in den Mitgliedstaaten. Unumstritten ist das Vorhaben nicht. Zum einen wird kritisiert, dass die neuen Ermittler sich ausschließlich um grenzüberschreitende Straftaten zu Lasten des EU-Haushaltes kümmern sollen. Dazu gehören Korruption, Umsatzsteuerbetrug, Bestechung, Veruntreuung und Geldwäsche.
Zum anderen gibt es Mitgliedstaaten, die genau das befürchten. Monika Hohlmeier, Europaabgeordnete der CSU und Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses im EU-Parlament, sagte am Montag: „Einige Regierungen haben Angst, weil die EU-Staatsanwaltschaft auch innerstaatlich eingreifen, womöglich sogar gegen Regierungen vorgehen könnte.“
Slowenien bereitet Sorgen
Ein Fall bereitet den EU-Vertretern Kopfzerbrechen: Sloweniens Staatspräsident Janez Jansa hat die Abordnung von zwei Staatsanwälten, die ihm die Justizministerin des Landes, Lilijana Kozlovic, vorgeschlagen hat, gestoppt. Hohlmeier meinte deshalb: „Der Start der Europäischen Staatsanwaltschaft kommt keinen Tag zu spät.“
Der liberale EU-Abgeordnete Moritz Körner (FDP) sagte angesichts der Vorfälle in Slowenien: „Diese Tatsache zeigt, dass noch viel zu tun ist, bevor alle Korruptionssümpfe in der EU erfolgreich trockengelegt werden konnten.“
Gerät ein Premierminister ins Visier?
In einem weiteren möglichen Verfahren könnte sogar ein amtierender Premierminister der Gemeinschaft ins Visier der Ermittler geraten: Andrej Babis, Ministerpräsident Tschechiens, wird seit Jahren vorgeworfen, als Regierungschef Einfluss auf die Vergabe der landwirtschaftlichen Beihilfen zu nehmen und diese der von ihm gegründeten Agrar-Holding Agrofer zukommen zu lassen. Bis zu 3000 Verfahren erwartet Ritter pro Jahr.
Allein im Bereich des Mehrwertsteuer-Betrugs rechnet die Brüsseler Kommission mit einem Schaden von fast 50 Milliarden Euro.