Teil 2 von 2
Warum die Symphoniker in Spanien Palmen pflanzen
Chefdirigent Jakub Hrůša streift sich beim Bäumepflanzen ein gelbes T-Shirt über.
Chefdirigent Jakub Hrůša streift sich beim Bäumepflanzen ein gelbes T-Shirt über.
Selmar Schülein
F-Signet von Selmar Schülein Fränkischer Tag
Barcelona/Bamberg – Auf Spanien-Tour mit den Bamberger Symphonikern: Sie sind Vieflieger und wollen doch vorbildliche Klimaschützer sein. Deshalb graben sie in der Erde.

Bis herausgefunden werden kann, dass es sich lediglich um eine Kleiderkiste handelt, die noch von einer alten Tournee auf der Checkliste steht, jedoch gar nicht erst von Bamberg mitgenommen wurde.

Die Lösung ist so einfach wie gewieft und ganz nebenbei sogar noch vollkommen legal: Es wird einfach eine zusätzliche Kiste zum Zoll gebracht, die nun eben als diese nicht benötigte Kleiderkiste mitreisen muss.

Künftig nur noch mit Bus und Bahn 

Dennoch: In Zentraleuropa will das Orchester künftig ausschließlich mit Bus oder Bahn fahren.

Doch existiert eine solche emissionsärmere Option bei weiteren Distanzen überhaupt, oder liegt dieses Unterfangen mit den Sachzwängen einer Branche quer, deren Logiken von außen nur schwer einsehbar sind?

Vor dem Konzertsaal in Teneriffa werden die Instrumente in Lkws verladen.
Vor dem Konzertsaal in Teneriffa werden die Instrumente in Lkws verladen.
Selmar Schülein

Wäre in einigen Jahren womöglich sogar eine Tournee-Reportage mit dem Titel „100 satteln um – ein Reiseorchester verzichtet aufs Fliegen“ möglich?

Nach den heutigen Bedingungen des Klassikbetriebs stößt man hier schnell an Grenzen, die sich nur schwer durch die einzelne Kulturinstitution mit den ambitioniertesten Klimaschutzzielen weiter verschieben lassen: Aus einer internationalen Tournee würde bei dann nur noch ein: „Tour? Ne!“ 

Die Bamberger Symphoniker haben sich einen Ruf erspielt 

Auch wenn die Hochkultur teils wettbewerbsfern anmuten mag: Jedes Orchester ist angewiesen auf Veranstalter, die es anfragen und buchen. Solche Anfragen resultieren vor allem aus dem internationalen Ruf, den sich ein Orchester erspielt hat.

Ein Ruf, der mühsam aufgebaut, gepflegt und sichtbar gemacht werden muss. Zuletzt hatten die Bamberger Symphoniker zwei Mal in Folge den International Classical Music Award (ICMA), einen der renommiertesten Preise für Klassik-Aufnahmen erhalten.

Im ständigen Austausch: Orchesterdirektor Markus Karl Stratmann (l.) und Intendant Marcus Rudolf Axt
Im ständigen Austausch: Orchesterdirektor Markus Karl Stratmann (l.) und Intendant Marcus Rudolf Axt
Selmar Schülein

So etwas sei gut, erklärt Marcus Rudolf Axt, der Intendant des Orchesters, der im Flieger nach Teneriffa ein Buch über Klimaschutz und Volkswirtschaft liest. Wie er haben auch andere Mitglieder des Orchesters ein entschiedenes Interesse daran, den Klassikapparat nachhaltiger umzubauen.

Flugphoniker oder Zugphoniker?

Eine gewichtigere Währung als solche Preise aber sei noch immer, ob ein Klangkörper in der Carnegie Hall in New York auftritt oder nur in Hallen in Schweinfurt und Bayreuth.

Für ein Orchester von Weltrang existiert nicht einfach die Entscheidung zwischen Flugphoniker oder Zugphoniker. Entsprechend darf man diese Kulturinstitutionen unter keinen Umständen mit den Maßstäben messen, die man an einzelne Reisende anlegt.

Die Bamberger Symphoniker gelten als reisefreudig 

Orchester müssen die legendären Orte bespielen, um bestehen zu können. Sie müssen dort spielen, wo auch die Berliner Philharmoniker und andere große Namen auftreten.

Vor dem Konzert in Barcelona spielt sich Hornist Hasko Kröger hinter der Bühne ein.
Vor dem Konzert in Barcelona spielt sich Hornist Hasko Kröger hinter der Bühne ein.
Selmar Schülein

Nicht nur aus wirtschaftlichen Zwängen heraus, sondern auch als Teil ihres Kulturauftrags, der im Falle der Bamberger Symphoniker von einer besonderen Vergangenheit geprägt ist: Seit ihren Anfängen gelten sie als eines der reisefreudigtsen Orchester Deutschlands, begleiteten als erste Musiker nach dem Zweiten Weltkrieg offizielle Staatsdelegationen ins Ausland, waren als erstes deutsches Orchester wieder zu Besuch in Frankreich.

Geht es etwa nur um grüne PR? 

Mehr als 7.500 Konzerte in über 500 Städten und 63 Ländern zählt ihre Reisehistorie. Längst hätte das Orchester aus dem beschaulichen Bamberg zum Mond fliegen können, so viel Wegstrecke hat die oberfränkische Klassik-Weltadresse mittlerweile auf dem Kilometerkonto.

Darum sucht das Orchestermanagement nach echten Lösungswegen, die mehr als ein bisschen grüne PR im Saisonprogramm mit dem Motto „Schöpfung“ sind.

Die Bamberger Symphoniker pflanzen Bäume 

Drei Tage später in einer abseitigen Gegend auf Gran Canaria zwischen hausgroßen Reklametafeln und in die Landschaft geworfenen Straßen. Jakub Hrůša, Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, macht sich – gefolgt von einigen Presse- und Medienvertretern aus Spanien und Deutschland – auf den Weg zu einem ausgetrockneten Flussbett auf.

Die Bamberger Symphoniker pflanzen auf Cran Canaria kleine Bäume.
Die Bamberger Symphoniker pflanzen auf Cran Canaria kleine Bäume.
Selmar Schülein

Auch der Intendant des Orchesters läuft auf dem Pfad. Sie beide wollen an diesem Tag Bäume pflanzen.

Nicht nur ein Ablassbetrag beim Click auf die Flugbuchung für irgendein fragwürdiges Kompensationsprojekt auf einem unbekannten Fleckchen Erde, sondern dort, vor Ort im Zielland, wo genau diese Pflanzen nun gebraucht werden; für eine Renaturierungsprojekt, das von Botanikern begleitet und von Einheimischen durchgeführt wird.

Die Symphoniker kompensieren ihre Schadstoffe 

Eine echte Kompensationskomposition. Die Bamberger Symphoniker haben den CO2-Fußabdruck inklusive weiterer Schadstoffe ausgerechnet, der durch ihre Anreise mit dem Flugzeug entsteht.

Durch die Pflanzung von kanarischen Palmen und wilden Olivenbäumen wollen sie diesen ökologischen Fußabdruck mit einem nachhaltigen Handabdruck ausgleichen.

Die Symphoniker wollen eine neue Norm setzen 

Die Orchesterleitung denkt Nachhaltigkeit als etwas Ganzheitliches, das sich auch aus den öffentlichen Auftritten, Positionierungen und Programmen des Orchesters ergeben soll: Nachhal(l)tigkeit also als ein Nachhall der Auftritte, die sie in die verschiedensten Regionen der Erde führen.

Eine Tournee der Bamberger Symphoniker ist eine riesige logistische Herausforderung.
Eine Tournee der Bamberger Symphoniker ist eine riesige logistische Herausforderung.
Selmar Schülein

Bei allem Schmutz, den so eine Reise macht, setzen sie zugleich auf den Vorbildeffekt und die Möglichkeit, eine neue Norm zu setzen. Annette Lux vom Orchesterreisebüro gesteht: „Es gibt auch Orchester, die sagen mir: Einfach so billig wie möglich! Auch wenn ich den Nachhaltigkeitsaspekt als Option ins Spiel bringe, wird das entschieden abgelehnt.“

Die Symphoniker logieren nur in besonderen Hotels 

Die Bamberger Symphoniker dagegen wählen nur klimazertifizierte Hotels, lehnen bei der Planung die schnelle Option eines Charterflugs auf Wunsch der Musiker ab – das Orchester möchte, wo es geht, lieber Bus und Bahn nehmen – und sie suchen sich ihre Kompensationsprojekte vor Ort gewissenhaft aus. 

Gabriele Campagna spielt Geige bei den Bamberger Symphonikern.
Gabriele Campagna spielt Geige bei den Bamberger Symphonikern.
Selmar Schülein

So wird etwa die Pflanzaktion auf Gran Canaria langfristig von der Umweltorganisation „Ben Magec-Ecologistas en Acción“ betreut. Durch viele Freiwillige vor Ort, durch heimische Forsttechniker sowie Biologiestudierende und Botaniker, die mit der Universität Göttingen kooperieren.

Man hat sich also Mühe gegeben, keine intransparente Kompensationsleistung mit einem unbeteiligten Click auf den Bezahlen-Button, sondern ein regionales Projekt mit Zukunftsaussicht und Expertise zu wählen. 

Jakub Hrůša und das gelbe T-Shirt 

Auf der Rückfahrt zum Hotel wird mit dem Dirigenten gescherzt: Ob er das gelbe T-Shirt, das ihm die Organisation zum Einpflanzen der Palmen geschenkt hat, heute Abend auf dem Podest nicht vielleicht statt seines Konzertanzugs tragen wolle. Sofort antwortet er: „Ja, ich werde es tragen. Unter meinem Sakko.“

Anspielprobe auf Gran Canaria: im Freizeitlook und mit Ausfällen, den Atlantik im Rücken.
Anspielprobe auf Gran Canaria: im Freizeitlook und mit Ausfällen, den Atlantik im Rücken.
Selmar Schülein

Spät am Abend dann hinter der Bühne. Der Jubelsturm nach der zweiten Zugabe des Abends ist soeben verebbt, die Musiker schälen sich aus ihren Fracks und Kleidern, als plötzlich laute Rufe gefolgt von Lachen durch die Gänge dringen. Da steht der Chefdirigent, sein Sakko aufgeknöpft, darunter ein leuchtend gelbes T-Shirt.

Vielleicht gibt es sie ja wirklich, die Möglichkeit, dass Orchester mit ihrer Vorbildfunktion als Kulturbotschafter (oder: Kulturbot-Charter) Signale mit Nachhall auf ihren Reisen in die Welt aussenden.

Lesen Sie auch Teil 1 der Tourneereportage: 

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