Gipfeltreffen
Bald jeder Zweite in der EU geimpft
Bundeskanzlerin Angela Merkel (rechts) und Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, während des EU-Gipfels. Themen des zweitägigen Treffens waren unter anderem die Corona-Pandemie und der Klimaschutz.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (rechts) und Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, während des EU-Gipfels. Themen des zweitägigen Treffens waren unter anderem die Corona-Pandemie und der Klimaschutz.
John Thys, dpa
F-Signet von Detlef Drewes Fränkischer Tag
Brüssel – EU- Mitgliedstaaten spenden 100 Millionen Vakzine an arme Länder. Der große Krach beim Klimaschutz steht der Gemeinschaft erst noch bevor.

Ursula von der Leyen ließ es sich nicht nehmen, die „guten Nachrichten“ persönlich zu überbringen. Beim zweiten Tag des Treffens der 27 EU-Staats- und Regierungschefs legte die Präsidentin der Kommission zunächst eine Impfbilanz vor, die sogar die Skeptiker in den Reihen der Staatenlenker still werden ließ.

Bis zum Ende des Monats Mai werden 46 Prozent der erwachsenen EU-Bürger eine Erstimpfung erhalten haben. Das sind rund 170 Millionen Menschen. Und dabei kommt die Kampagne erst richtig in Schwung. Im zweiten Quartal hatte die Brüsseler Kommission mit 300 Millionen Impfdosen gerechnet. Tatsächlich lieferten Biontech, Astrazeneca, Moderna sowie Johnson&Johnson aber 413 Millionen. Im dritten Vierteljahr sollen es sogar 529 Millionen Dosen werden.

Angesichts dieser Zahlen zögerte der EU-Gipfel nicht lange und beschloss, bis Ende des Jahres 100 Millionen Vakzine (30 Millionen aus dem deutschen Kontingent) an ärmere Länder abzutreten – bevorzugt offenbar in Afrika.

Große Einigkeit herrschte in Brüssel angesichts dieser Zahlen auch über das Impfzertifikat, mit dem die Bürger spätestens ab Ende Juni wieder frei reisen dürfen. Für Geimpfte, Genesene sowie negativ Getestete werde es dann einen QR-Code geben, der den Impfstatus an den Grenzen, am Flughafen oder auch im Hotel fälschungssicher nachweisen soll.Allerdings gibt es noch erheblichen Nachholbedarf in einigen Mitgliedstaaten, die noch nicht darüber entschieden haben, welche Freiheiten die Menschen mit dem Nachweis zurückbekommen sollen – darunter ist auch Deutschland. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zeigte sich allerdings am Dienstag in Berlin überzeugt, dass auch die Bundesrepublik Ende Juni das EU-Impfzertifikat ausgeben könne. Die Staatenlenker der Gemeinschaft zeigten sich zufrieden.

Abstimmungen beginnen

Doch die Einigkeit hielt am gestrigen letzten Tag des Gipfels nicht lange an. Denn obwohl die Union sich bereits grundsätzlich auf ein Klimaschutzziel für 2030 (55 Prozent weniger CO2-Emissionen gegenüber 1990) und 2050 (Klimaneutralität) verständigt hat, beginnen in diesen Wochen die Abstimmungen für den Weg dorthin.

Die EU-Kommission will am 14. Juli ihr Programm „Fit for 55“ präsentieren – und das dürfte einige bittere Pillen beinhalten. So soll, ersten Verlautbarungen beim Gipfel zufolge, der Emissionshandel auch auf weitere sensible Bereiche ausgedehnt werden. Dazu zählen Gebäude und Verkehr.

Mit anderen Worten: Heizen und Autofahren könnten zum Teil deutlich teurer werden. Das halten die Regierungschefs aus dem Osten allerdings für nicht zumutbar. Schon heute zahlen viele Bürger dieser Staaten gemessen am Einkommen deutlich höhere Preise als etwa die Bundesbürger.

Um aus diesem Zirkel herauszukommen, diskutierten die Staatenlenker am Dienstag eine neue Form der Lastenteilung. Polen und andere mittel- und osteuropäische Länder wollen erreichen, dass die wohlhabenderen Partner im Norden und Westen des Kontinents größere Anteile am Emissionsabbau übernehmen – vor allem Deutschland.

Westen soll stärker einsparen

Das würde bedeuten, dass die Bundesrepublik, Frankreich oder die skandinavischen Länder den Ausstoß der Klimagase im Verkehr und bei den Gebäuden deutlich schneller und umfangreicher senken müssten als bisher vorgesehen. Anders, so argumentierten die Ost-Chefs in Brüssel, sei die Umstellung nicht zu meistern.

„Klimapolitik und soziale Umverteilung – da geht es ums Eingemachte“, sagte ein ranghoher EU-Diplomat am Rande der Beratungen. Entscheidungen mussten dieses Mal noch nicht getroffen werden. Aber spätestens im Herbst dürfte es dann hart auf hart gehen.

KOMMENTAR von Delef Drewes

Ein gemeinsamer Gegner vereint

Dieser Gipfel war ein Testfall für die Geschlossenheit der Europäischen Union. Ohne die tatkräftige Mithilfe des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko und mutmaßlich auch des russischen Präsidenten Wladimir Putin hätte es um den Zusammenhalt der Europäer vermutlich nicht so gut ausgesehen.

Denn sowohl bei den Beziehungen zu Russland wie auch beim Impfzertifikat und der konkreten Verteilung der Klima-Lasten gingen und gehen die Bruchlinien quer durch das Bündnis. Dann aber holten die belarussischen Behörden die Passagiermaschine einer EU-Airline vom Himmel – und da wirkte das Prinzip, dem zufolge nichts mehr vereint als ein gemeinsamer Gegner.

Abgesehen von der Bevölkerung in Weißrussland, der man nun die letzte verbleibende Möglichkeit genommen hat, um das Land zu verlassen, konnten die EU-Staatenlenker gegenüber Lukaschenko eine harte Antwort geben, sich aber keine Stunde später für den Dialog mit Moskau aussprechen. Konsequent ist das nicht.

Denn in Brüssel gibt es nur wenige, die nicht an eine Beteiligung des Kreml an der Flugzeug-Entführung glauben. Der Bannstrahl traf zwar mit Lukaschenko den Richtigen, schonte aber Putin, der somit einmal mehr einen Beleg dafür bekommen hat, dass er der EU offenbar alles antun kann, ohne Angst vor weitreichenden Reaktionen haben zu müssen.

Dennoch nutzte die Gemeinschaft das scharfe Signal an Minsk, um ihr gewachsenes Selbstbewusstsein zu demonstrieren.

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