Mit großen Scherzen hielt sich Boris Johnson dieses Mal zurück, wohlwissend, dass es schwer werden würde, im Gesicht von Angela Merkel abzulesen, ob sie seinen Humor auch immer so lustig findet. Stattdessen gab es während des Besuchs der Kanzlerin im Vereinigten Königreich vor allem viele warme und herzliche Worte. Sie wurde am Freitagmittag vom britischen Premierminister auf dessen Landsitz in Chequers mit zwei Ellenbogen-Begrüßungen empfangen. Es war nicht nur ihre voraussichtlich letzte Staatsvisite in Großbritannien, sondern auch ihr 22. Besuch als Kanzlerin. Mit Johnson war der Blick nun in Richtung Zukunft gerichtet, die schwierigsten Hürden habe man in den Gesprächen hinter sich gelassen, sagte Merkel. Es sollte ein von der Kanzlerin lancierter Neuanfang sein, auch wenn sie bei dessen Ausgestaltung nach der Bundestagswahl im September fehlen wird.
Ein Kooperationsvertrag ist geplant
Während des Vier-Augen-Gesprächs ging es nicht nur um tagesaktuelle Punkte wie Impfungen oder Würstchen, über die London und Brüssel derzeit im Rahmen des Nordirland-Protokolls streiten. „Da Großbritannien nicht mehr in der EU ist, können wir nun ein neues Kapitel in unserer Geschichte aufschlagen“, sagte Merkel während der Pressekonferenz und setzte damit den Ton. Das Ziel: Das enge und vertrauensvolle Verhältnis zwischen den beiden Ländern hervorzuheben, zu stärken, zu vertiefen. Geplant ist dafür ein „Freundschaftsvertrag oder Kooperationsvertrag“, nachdem die Dauer-Querelen zwischen Großbritannien und der EU wegen des Brexit auch Spuren in den bilateralen Beziehungen zwischen Berlin und London hinterlassen haben.
Und auch der Stil der beiden Regierungschefs darf ohne Zweifel als unterschiedlich bezeichnet werden. Hier die eher unaufgeregte Seriosität der Kanzlerin, dort der rhetorisch gern ausschweifende Entertainer Johnson. In den vergangenen Jahren wirkte es oft, als ob die Deutsche gute Miene zum britischen Spiel aufzusetzen versuchte, das begleitet wurde von einer harschen Rhetorik aus London und regelmäßigen Drohungen gegenüber Brüssel. Am Freitag schien das vergessen, man versprach vielmehr, für die verbliebenen Meinungsverschiedenheiten pragmatische Lösungen zu finden, und betonte die gemeinsamen Werte und Interessen, etwa in sicherheits- und außenpolitischen Fragen. Merkel lobte zudem die Zusammenarbeit mit dem Konservativen. Sie habe sich immer gut mit Johnson verstanden. „Jeder hat seine eigene Art“, sagte sie. „Wir stellen uns nicht gegenseitig ein Zeugnis aus.“ Fast schon zeigte sich der Premier erleichtert; er lachte und bedankte sich für das Kompliment. Dabei teilte auch Johnson Nettigkeiten aus. So dankte er der Kanzlerin für ihr „historisches Engagement, nicht nur für die deutsch-britischen Beziehungen, sondern für die Diplomatie auf der ganzen Welt“. Bei aller zur Schau getragenen Harmonie bargen einige Punkte auf der Agenda Konfliktpotential. Insbesondere beim Thema Live-Spiele der gerade stattfindenden Fußball-EM herrscht Uneinigkeit.
Merkel sieht hohe Zuschauerzahlen kritisch
So betrachtet Merkel die hohen Zuschauerzahlen bei den noch ausstehenden Matches in London kritisch. „Ich bin sorgenvoll und skeptisch, ob das gut ist und nicht ein bisschen viel.“ Johnson dagegen verwies darauf, dass die Impfquote in Großbritannien hoch und daher die Zahl der Toten sehr niedrig seien. Auch sei er vom Hygienekonzept der Stadien überzeugt. Bei den Halbfinalspielen und dem Finale im Londoner Wembley-Stadion sollen nächste Woche jeweils 60 000 Zuschauer zugelassen werden, obwohl in Großbritannien wegen der Delta-Variante die Infektionszahlen seit Wochen dramatisch steigen.
Der Nachmittag bestand aus einem Programm, das wirkte wie im Schnelldurchlauf. Um 16 Uhr Ortszeit schon war Merkel dann zur Audienz bei Königin Elizabeth II. auf Schloss Windsor geladen. Beinahe nervös wirkte die Kanzlerin, als sich die beiden Frauen begrüßten. Die Queen verwies auf die Fotografen. „Sie wollen immer ein Bild machen, Geschichte schreiben“, sagte Ihre Majestät. Merkel lächelte verlegen. „Ja, es ist Geschichte, hier zu sein“, sagte sie. Doch der Deutschen wurde eine weitere Ehre zuteil: Sie sprach in einer virtuellen Sitzung direkt zum britischen Kabinett.Damit war sie die erste ausländische Regierungschefin seit US-Präsident Bill Clinton vor 25 Jahren, die eine solche Rede halten durfte.