In der extrem angespannten Situation rund um den Ukraine-Konflikt hat auch eine Reihe diplomatischer Gespräche auf höchster Ebene keinen Durchbruch gebracht. Mit Blick auf US-Warnungen vor einem möglicherweise bald bevorstehenden russischen Angriff auf das Nachbarland sprach der Kreml am Wochenende von „provokativen Spekulationen“ und „Hysterie“.
Sowohl Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron als auch US-Präsident Joe Biden riefen Putin in Telefonaten zur Deeskalation auf und warnten vor schwerwiegenden Konsequenzen im Falle einer russischen Aggression. Anfang der Woche will sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz in Kiew und Moskau für eine friedliche Lösung einsetzen.
Bundesregierung sieht Bedrohung
Vor den Krisengesprächen von Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Kiew und Moskau hat die Bundesregierung ihre große Sorge über den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine deutlich gemacht. Die Truppenmassierung „könne man nur als Bedrohung empfinden“, hieß es am Sonntag aus Regierungskreisen in Berlin.
Scholz will an diesem Montag in die Ukraine und einen Tag später nach Russland reisen. Vor allem die Reise nach Moskau stelle sich dar „als Teil der mit unseren Partnern, insbesondere Washington und Brüssel, abgestimmten Krisendiplomatie“, hieß es dazu in der Bundesregierung.
Schwerwiegende Sanktionen angedroht
In Moskau ist am Dienstag ein längeres Treffen zwischen Scholz und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin geplant. Beide kennen sich von früheren Gelegenheiten, unter anderem vom G20-Gipfel in Hamburg, bei dem Scholz 2017 als Erster Bürgermeister der Hansestadt Gastgeber war. Es ist gleichwohl den Angaben zufolge das erste offizielle Vier-Augen-Gespräch der beiden Politiker.
Der Kanzler werde dabei deutlich machen, dass ein Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine „schwerwiegende Konsequenzen haben wird, schwerwiegende Sanktionen nach sich ziehen wird“, hieß es in Regierungskreisen weiter. Für den späteren Nachmittag deutscher Zeit ist am Dienstag eine Pressekonferenz im Kreml geplant.
Der Besuch von Scholz ist Teil einer langen Reihe von Gesprächen zur diplomatischen Beilegung des Konflikts. Es gebe „eine intensive Abstimmung“, hieß es in Regierungskreisen, man sei mit den USA sowie mit Staats- und Regierungschefs in der EU „in einem kontinuierlichen Austausch“. Der Kanzler werde deutlich machen, dass die russische Seite diesbezüglich von „einem sehr großen Maß an Einigkeit“ ausgehen müsse.
Scholz werde auf eine Deeskalation durch Russland dringen, eine Lösung des Konflikts erwartet indes niemand von dem Besuch. „Ich gehe nicht davon aus, dass wir mit irgendeinem konkreten Ergebnis da rauskommen“, erklärte ein ranghoher Diplomat.
Angesichts des Aufmarschs Zehntausender russischer Soldaten an der Grenze zur Ukraine hatte die US-Regierung am vergangenen Freitag davor gewarnt, dass Russland möglicherweise noch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele am 20. Februar das Nachbarland angreifen könnte. Der Kreml dementiert solche Vorwürfe vehement. Für möglich gehalten wird auch, dass der Kreml eine Drohkulisse aufbauen will, um eigene Sicherheitsforderungen durchzusetzen. Moskau verlangt ein Ende der Nato-Osterweiterung und einen Verzicht auf eine mögliche Aufnahme der Ukraine in das westliche Militärbündnis.
Selbst der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich angesichts der alarmierenden Äußerungen aus Washington irritiert. „Falls Sie oder jemand anderes zusätzliche Informationen über einen 100-prozentigen Einmarsch am 16. (Februar) haben, dann geben Sie uns bitte diese Information“, sagte er. Kiew sei sich bewusst, dass es Risiken gebe. Dennoch gebe es im öffentlichen Raum zu viele Berichte über einen großen Krieg Russlands gegen die Ukraine. „Der beste Freund für die Feinde ist Panik in unserem Land“, sagte Selenskyj.
Staaten rufen ihre Bürger zurück
Dennoch wächst auch in Europa die Sorge vor einer militärischen Eskalation. Zahlreiche europäische Staaten riefen am Wochenende ihre Bürger zur Ausreise aus der Ukraine auf – darunter auch Deutschland. Zuvor hatten das bereits unter anderem Großbritannien, Australien und die USA getan. Israel erklärte, man habe die Zahl der Flüge aus der Ukraine deutlich aufgestockt, um israelische Bürger zurückzuholen.