Energielieferungen
Noch keine Alarmstufe beim Gas
Eine Gasverdichterstation der Jamal-Europa-Pipeline in der Nähe von Njaswisch in Belarus.
Eine Gasverdichterstation der Jamal-Europa-Pipeline in der Nähe von Njaswisch in Belarus.
Sergej Grits/AP/dpa
Christian Grimm von Christian Grimm Fränkischer Tag
Berlin – Russland dreht im Streit über die Bezahlung Polen und Bulgarien das Gas ab. Die Bundesregierung sieht unsere Versorgung bisher als sichert an.

Russland versorgt Deutschland weiter mit Gas – die Frage ist nur, wie lange? Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck geht davon aus, dass Russlands Präsident Wladimir Putin Deutschland nicht den Hahn abdreht.

„Für heute kann ich sagen, die Gaslieferungen kommen stetig und in der gleichen Menge nach Deutschland“, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch in Berlin. Aus diesem Grund verzichtet er darauf, die zweite Notfallstufe bei der Gasversorgung auszurufen.

Habeck wollte aber auch nicht verhehlen, dass der russische Überfall auf die Ukraine die europäische Ordnung auf den Kopf gestellt hat. „Das ist die Realität, wo Energie als Waffe eingesetzt wird und wir sehen müssen, dass wir nicht wehrlos sind.“

Denn die Entscheidung Putins, die beiden Länder von russischem Gas zu trennen, hat die deutsche Gewissheit erschüttert, dass der Kreml auch in Zeiten größter Spannung Energie bereitstellt. Laut Habeck stammen aktuell noch 35 Prozent des deutschen Gasverbrauchs aus den sibirischen Lagerstätten. Vergangenes Jahr waren es noch 55 Prozent.

Ein Abriss der Lieferungen aus den sibirischen Feldern würde Deutschland in eine Wirtschaftskrise stürzen. Ökonomen beziffern den Absturz in der Spanne zwischen 3 und 6 Prozent.

Habeck glaubt nicht daran, dass sich eine derartige Ausnahmesituation präzise vorhersagen lässt und befürchtet geschlossene Fabriken sowie Hunderttausende Arbeitslose bei sprunghafter Inflation. Bevor Leute zu Hause frieren müssen, würde die Industrie zwangsweise abgeregelt.

Deutsche Wirtschaft ist schon im Krisenmodus

Allein der starke Anstieg der Energiepreise in den vergangenen Monaten, der sich aus Kriegsangst und der starken Nachfrage nach Alternativen zu Russland speiste, hat die deutsche Wirtschaft zurück in den Krisenmodus geschickt. Habeck hat deshalb die Wachstumsprognose heruntergesetzt.

Die Preise schnellen so kräftig nach oben wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Hoffnungsschimmer ist, dass die Arbeitslosigkeit bei 5 Prozent stabil bleiben dürfte. „Der Krieg gegen die Ukraine und seine wirtschaftlichen Auswirkungen erinnern uns daran, dass wir verwundbar sind“, sagte der Minister.

Wegen seiner Größe und starken Industrie ist Deutschland der wichtigste Kunde russischer Energie in Europa. Jede zweite Wohnung hierzulande wird mit Gas geheizt.

Deutschland soll bis Anfang April 40 Milliarden Dollar für russisches Gas bezahlt haben

Im Gegenzug sorgt Deutschland für hohe Einnahmen für den russischen Staat. Rund 40 Prozent des Budgets werden aus dem Rohstoffsektor finanziert. Allein seit dem Überfall auf die Ukraine Ende Februar hat Russland zweistellige Milliardenbeträge eingenommen. Eine Schätzung lautet auf 40 Milliarden Dollar und das nur für den Zeitraum bis Anfang April.

Wichtig ist das Geschäft für Präsident Putin derzeit, weil es für hohe Deviseneinnahmen sorgt und über das Umwechseln in Rubel den Kurs der russischen Währung stabilisiert. Gewinnt der Rubel an Wert, sinkt der Inflationsdruck und die Russen haben mehr Kaufkraft.

Wirtschaftssanktionen sorgen für tiefen Abschwung in Russland

Die westlichen Wirtschaftssanktionen als Antwort auf den Überfall der Ukraine haben das Land in einen tiefen Abschwung gestürzt. Der Internationale Währungsfonds erwartet ein Schrumpfen um 8,5 Prozent.

Noch tiefer hinab könnte der Westen Russland stoßen, wenn er ein Energieembargo beschließen würde, also vollständig auf Kohle, Öl und Gas verzichtet. Bereits beschlossen hat die EU, ab dem Sommer keine russische Kohle mehr zu kaufen. Andere Lieferanten wie Kolumbien sollen mehr nach Europa exportieren.

Bald nicht mehr auf Russen-Öl angewiesen

Bei Öl deutet sich an, dass der Zeitpunkt ebenfalls in greifbarer Nähe liegt. Deutschland als wichtiger Verbraucher kann nach der Einschätzung des Wirtschaftsministers eigentlich schon heute ohne Putins Öl auskommen.

Letztes Hindernis ist die Raffinerie in Schwedt an der Oder, die dem russischen Konzern Rosneft gehört und über die Freundschafts-Pipeline direkt mit Russland verbunden ist. Sie erzeugt Diesel und Benzin für Berlin und den Nordosten Deutschlands.

Die Raffinerie soll nun alternativ über eine zum Rostocker Hafen führende Röhre Öl erhalten oder durch Tank-Lkw. Weigert sich Rosneft, kann Habeck sie mittels eines neuen Gesetzes enteignen.

„Man kann nicht sagen, niemand merkt es, aber es würde nicht mehr zu einer Vollkatastrophe kommen“, schätzt der Minister.

Bei der Gasversorgung „muss man das Unrealistische probieren“

Bei Gas ist die Lage komplizierter, weil der Brennstoff Deutschland über Pipelines erreicht und es bislang kein eigenes Flüssiggasterminal gibt. Jetzt soll binnen zwei Jahren eines bei Brunsbüttel an der Nordsee in Rekordzeit hochgezogen werden – notfalls ohne finale Baugenehmigung. „Es ist nicht realistisch“, räumte Habeck ein, aber es gelte, das Unrealistische zu probieren.

Weil feste LNG-Terminals voraussichtlich erst in einigen Jahren in Betrieb gehen sollen, will der Bund kurzfristig drei schwimmende Importterminals in Deutschland installieren. Die Suche nach einem Standort läuft derzeit.

Nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe werden „inzwischen mindestens sieben Projekte an vier Standorten geplant“, genannt werden drei Anlagen in Wilhelmshaven, jeweils ein Terminal in Stade, Brunsbüttel und Rostock sowie die Absicht Hamburgs, im Hafen ein Terminal zu installieren.

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