Wenn die Leere gefüllt wird, ist das schon Reichtum? Mitnichten! Es braucht die Seele, das Gefühl, dass die Sinne bei Gebrauch derselben interagieren, also sich vernetzen.
Nicht wenige Menschen glauben in „Lost Places“ Sinneserfahrungen zu machen, die sonst nicht zu spüren sind. Real ist dabei mal der kontrollierende Hausmeister oder im schlimmeren Fall die Polizei, die wegen des Hausfriedensbruchs zur Tat schreiten. Die Treibhäuser am östlichen Rand der Altstadt von Münnerstadt sind so eine Location, eigentlich ein seit geraumer Zeit verlassener Platz, der jetzt in Teilen ein Stück weltoffene Seele geworden ist. Zumindest für die nächsten zwölf Wochen in den Mürschter Kunst-Sommer hinein.
Seelenverwandschaft
What „Else!³“. Zum dritten Mal gibt es auf das englische Synonym von Gleichgültigkeit bis Hoffnung von der gleichnamigen Münnerstädter Kunst- und Kulturszene eine Antwort auf die Frage, ob die in die Treibhäuser eingebrachte, spartenübergreifende Kunst nun eine Seelenverwandtschaft ist, mit der sich die Besucherinnen und Besucher zu identifizieren versuchen.
Noch bis 29. Mai kann man unter den Glasdächern wandeln. Wer einen Wintergarten ohne Klimatisierung hat, weiß auf was man sich da einlässt. Das wussten die Kunstschaffenden schon, bevor sie ihre Objekte und Bilder für die Ausstellungen zur Verfügung stellten. Hier spürt jede und jeder gewollt den Klimawandel. Dabei ist einfach nur logisch, dass Kunstschaffende sofort begannen, pflanzliche Experimente vorzubereiten, die während der Kunstwochen den Verlauf des Wachstums anzeigen und zum Ende ein Ergebnis präsentieren wollen.
Drei Ausstellungszyklen
Theoretisch dürfen die Kunstfreunde dreimal zu Besuch kommen. Die Ausstellungszyklen „Treibhaus 1 bis 3“ beginnen jeweils zum Monatsbeginn. Zwischen 13 und 20 Künstlerinnen und Künstler zeigen in jedem Abschnitt ihre Arbeiten.
„Treibhaus 1“ findet Raum in den ehemaligen Versand- und Verpackungshallen, sowie im etwa 100 Meter langen Mittelgang zwischen den Gewächshäusern. Wochenlange Putz- und Reparaturaktionen waren nötig, damit jetzt von der Kunst nichts ablenkt. Jetzt haben die Räume etwas Magisches, Gleichgültigkeit hat keinen Platz, Verwunderung schon.
Pinkfarbene Linien
Es fallen die pinkfarbenen Linien auf dem Betonboden auf. Pink ist die Farbe von „Else!³“. Der Blick nach oben zeigt Natur pur, eine Installation von Herbert Holzheimer (71), dem Langenleitener Bildhauer, vor dem Holz eigentlich erzittern müsste, denn seit Jahrzehnten findet er Möglichkeiten, dem Naturprodukt Form und Ausdruck zu geben. Seine künstlerische Seele gibt auch eine weitere Passion wieder, dem in Verwesung befindlichen Hölzern neues Leben einzuhauchen, durch die Herausbildung oft bizarrer Strukturen ein völlig neues Gedankenbild zu erzeugen.
Unübersehbar ziehen die „One Liner“ der Berliner Künstlerin Christiane Gaebert (59) Blicke auf sich, kaum dass man der vier mal zwei Meter großen Leinwand nach rechts gegenwärtig wird. Da staunen Menschen mit spontanem Gesichtsausdruck, aber auch ein Orang -Utan in die Halle hinein, so als wären sie schon mal da gewesen, in der Unwirklichkeit des ehemaligen Gärtnereibetriebes.
Mal was ganz anderes
Der Blick fällt auf „Dérangement“ von Katrin Hubl aus Oerlenbach. Sie arbeitet vorwiegend in Holz, aber hier hat sie sich auf Fundstücke aus der Gärtnerei eingelassen. Die Skulptur ist, auf die Glashalle bezogen, eine fast vollkommene Symbiose, diese hängenden Verwindungen aus serienmäßigen Pflanzenanzuchtplatten, die mit Kabelbindern verbunden wurden. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Es fasziniert das Gigantische, das Fossile, ja wenn man so will, das Unheimliche.
Utensilien einer Demo
Gerhard Nerowski (65) scheint gerade mal weg zu sein, hat die Pflanzentransportkarre stehen gelassen. Beladen ist diese aber mit einer überdimensionalen Getränkedose, zum Wegwerfen zerknittert und einer ausgedrückten Klebertube. Utensilien, die von einer Demo stammen könnten. Der zertifizierte Holzbildhauer aus Königsberg in Bayern findet, dass Alltagsgegenstände, wie Kamm, Flaschenverschlüsse oder gar Orangenschalen durch Vergrößerung in Eiche eine nachhaltige Bestimmung erhalten können. Kunst macht es möglich.
Der Maler Werner Tögel (72) verpasst dem Naturstoff Holz bildhaft eine neue Bestimmung. Dass zusammen mit den Farben auch in Fragmenten Zeitungen und Magazine zum Vorschein kommen, bringt viel Licht in die winter- oder herbstlandschaftliche Installation.
„Durch die Lappen gehen“
Unbedingt sollte man „durch die Lappen gehen“, durch die begehbare Raumskulptur in der Klimakammer von Dierk Berthel und Maria Boldt. Der Gang fällt schon alleine durch seine milderen Temperaturen auf. Klima eben!
Linde Unrein aus Schweinfurt kennt „Else!³“ schon vom Bahnhofsevent 2018. Bereits damals war es ihr ein Anliegen, Neues zu wagen, was damals mit einer Raumbemalung auch sehr gut gelungen war. Jetzt im Glashaus, in dem man bekanntlich nicht mit Steinen werfen soll, muss es ein politisches Bild sein, etwas was eigentlich nicht zu ihrem Schaffen gehört, aber „es musste mal raus!“.
Schmerz über Gewalt und Krieg
„ Nachrichten 21/22 – intelligence on Demand“ auf einer etwa zwei Quadratmeter großen Leinwand macht Unreins Schmerz über Gewalt, Krieg und Despotismus sichtbar. Afrika ist zu erkennen, die Ukraine zu spüren. Man fühlt die Unruhe und geht weiter zu Stillerem, zu Stephanie Krumbholz und ihren „bewegten Blättern“, genauer ein Mobile in der Luftströmung entlang der Glasfront. Hier zeigt sich wenigstens mal die Frische, die es in einem Glashaus auch geben kann – wenn überall die Türen offen sind.
Die Arbeiten des jüngsten Ausstellers bei „Treibhaus 1“ nehmen sich in der großen Halle etwas zurück. Wenn auch monochrom, so strahlen die pflanzenähnlichen und schlanken Skulpturen von Paul Diestel (27) aus Unsleben, gerade in ihrer Reihung, eine lebendige Natürlichkeit aus.
International beachtet
Marco Wagner, der in Bischofsheim wohnt und arbeitet, steuert für „Else!³“ eine übergroße Illustration aus einer Buchveröffentlichung bei, „The Cage“. Mit seinen äußerst farbintensiven Arbeiten steht er international hoch im Kurs.
Jan Polacek (72), ein künstlerischer Mitstreiter der ersten „Else!³“-Stunde, ist diesmal mit einem Treibhäuschen im Treibhaus vertreten. „Die Zukunft winkt“ textet er dazu und es winkt wirklich Manekineko, dieses japanische Urviech, aus dem Plastikmohnfeld.
Kunst und Vergänglichkeit
Dierk Berthel (60), Bildhauer aus Rannungen, ließ sich mit seiner Skulptur „Rückbau“ von einem Treibhaus inspirieren. Was heute in seiner interessanten Figürlichkeit herausragt, soll nach der Ausstellung wieder in alle Einzelteile zerlegt werden. Künstlerische „Vergänglichkeit“ als physikalisches Phänomen. Die „Abrissbirne“ des Herwig Kemmerich kann es nicht richten, denn die Kugel hat genug damit zu tun, sich ein grünes Graskleid anzulegen. Also alles andere als zerstörerisch.
Else!³ entwickelt sich in den Ausstellungszyklen immer weiter. Das spartenübergreifende Kunstprojekt ist spannend und vielseitig. Man sollte sich neugierig darauf einlassen.
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