Streit soll in den besten Familien vorkommen. Im Nürnberger Stadtrat haben sich die Befürworter und Gegner des 365-Euro-Tickets am Freitag einen durchaus unterhaltsamen Schlagabtausch geliefert. Im Zentrum stand die Frage: Dürfen die Nürnberger per Bürgerentscheid über die Einführung eines günstigen Jahrestickets abstimmen? Nein, lautete die Antwort der überwiegenden Mehrheit.
Neben den schwarz-roten Bündnispartnern aus CSU und SPD haben auch die Grünen gegen einen Bürgerentscheid votiert. Zuvor hatte Finanzreferent Harald Riedel (SPD) die Räte eindrücklich von einem „Horrorszenario“ gewarnt. Fast 25 Millionen Euro müsste die Frankenmetropole für das 365-Euro-Ticket jährlich berappen. „Wenn das Jahresticket kommt, müssten wir viele freiwillige Leistungen streichen“, sagte Riedel und warnte von einem großen „Streichkonzert“.
„Das sind keine Fantasien“
Um das nötige Geld für das Ticket aufzutreiben, würden beispielsweise alle 600 Personalstellen im Kulturbereich dem Rotstift zum Opfer fallen müssen. „Das sind keine Fantasien eines hysterischen Kämmerers“, unterstützte Riedel den Vorschlag der Stadtverwaltung. Der sieht vor, den Bürgerentscheid aus Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit rechtlich nicht zuzulassen.
Direkt in Richtung der Linken-Stadtratsmitglieder sagte Riedel warnend: „Wir werden Axt an Leistungen legen, die Ihnen selbst wichtig sind.“ Titus Schüller von den Linken erinnerte dagegen fast schon süffisant daran, wie sich die Meinung der maßgeblichen Parteien zum 365-Euro-Ticket innerhalb von zwei Jahren um 180 Grad komplett gedreht hätten.
365-Euro-Ticket als „Meilenstein mit Vorbildcharakter“
CSU-Oberbürgermeister Marcus König habe vor zwei Jahren noch stolz von einem „Meilenstein mit Vorbildcharakter“ geschwärmt. Die SPD habe über den neuen „Dauersparpreis“ gejubelt. Und die Grünen hätten nach der einstimmigen Entscheidung für das 365-Euro-Ticket vor lauter Freude sogar Anzeigen in den Zeitungen geschaltet.
Mit dem neuerlichen Anlauf zum Bürgerentscheid wollte Schüller die Stadtspitze nun zur Einhaltung der einseitig aufgekündigten Vereinbarung zur Einführung des 365-Euro-Tickets drängen. König schaltete sich persönlich nicht in die Debatte ein. Für die CSU hat Fraktionschef Andreas Krieglstein die „Kehrtwende“ bekräftigt.
Ukraine-Krieg als Problem für den Haushalt
SPD-Fraktionschef Thorsten Brehm beklagte, dass die Befürworter offensichtlich die „Zeitenwende“ außer Acht ließen. Der Ukraine-Krieg hätte bereits negative Folgen für den ohnehin klammen Haushalt der Frankenmetropole. Durch die Einführung des 365-Euro-Tickets würde Nürnberg nicht nur den eigenen Haushalt gefährden, sondern auch noch den Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN) vor eine Zerreißprobe stellen.
„Dieses Bürgerbegehren können wir daher nicht für zulässig erklären“, sagte Brehm. Dafür erhielt er Beifall von Grünen-Fraktionschef Achim Mletzko. Seine Partei könne der ablehnenden Haltung der Juristen im Rathaus ebenfalls in jedem Punkt folgen. Mletzko habe den Eindruck, dass sich die rund 18.500 Unterzeichner des Bürgerbegehrens nicht über die dramatischen Finanzfolgen im Klaren gewesen seien.
Eine „politische Komödie“
Ernesto Buholzer Sepúlveda von der Politbande zur Förderung soziokultureller Freiräume, Partizipation und Nachhaltigkeit war anderer Meinung. Er habe den Eindruck, einer „politischen Komödie“ beizuwohnen. 2020 hätte der Stadtrat einstimmig für die Einführung des 365-Euro-Tickets gestimmt. 2022 lehnt der gleiche Stadtrat das selbe Jahresticket plötzlich ab und beruft sich dabei „nur“ auf juristische Argumente. Den Bürgern das Recht auf einen Entscheid abzusprechen, sei „fadenscheinig“ und „peinlich“, sagte das Ratsmitglied.
Nach einer rund 90-minütigen Debatte entschied der Stadtrat mit großer Mehrheit am Freitag schließlich, das Bürgerbegehren als unzulässig zurückzuweisen. Von der Tribüne haben Zuschauer das Votum mit vereinzelten „Buh“-Rufen quittiert. Wenn Gerichte möglicherweise nicht doch noch anders entscheiden, ist der geforderte Bürgerentscheid über das 365-Euro-Ticket in Nürnberg nun vom Tisch.
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