0
Kein Auftritt in Gent
«Schande»: Absage an israelischen Dirigenten Shani wühlt auf
Lahav Shani
Lahav Shani ist beim Festival nicht willkommen. (Archivbild) // Sven Hoppe/dpa
Neuer Chefdirigent der Münchner Philharmoniker
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter reagierte entsetzt auf die Entscheidung. (Archivbild) // Sven Hoppe/dpa
Wolfram Weimer
Für Weimer ist eine rote Linie überschritten (Archivbild). // Michael Kappeler/dpa
Zubin Mehta und Lahav Shani
Shani wurde in Israel Nachfolger von Zubin Mehta. (Archivbild) // Sven Hoppe/dpa
von dpa
München/Gent – Ein belgisches Festival sagt kurzfristig den Auftritt der Münchner Philharmoniker mit dem Dirigenten Lahav Shani ab - unter Hinweis auf Israels Politik. Die Empörung in Deutschland ist groß.
Artikel anhören

Ein Musiker darf nicht auftreten, weil er sich angeblich nicht genug von der Regierung seines Landes abgrenze: Die Ausladung der Münchner Philharmoniker mit dem israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem belgischen Festival hat in Deutschland extrem scharfe Reaktionen ausgelöst. Wieder geht es um Antisemitismus in der Kulturszene, um die immer hitzigere Debatte über den Gazakrieg, um Freiheit der Kunst und politische «Gesinnungsprüfungen». Es geht um sehr viel.

Das Flanders Festival Ghent hatte die kurzfristige Absage des für den 18. September geplanten Konzertes damit begründet, dass der in Tel Aviv geborene Shani auch Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra ist. «Im Lichte seiner Rolle als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestras sind wir nicht in der Lage, für die nötige Klarheit über seine Haltung dem genozidalen Regime in Tel Aviv gegenüber zu sorgen», heißt es in einer Erklärung auf der Homepage des Festivals.

Die rechtsreligiöse Regierung um Benjamin Netanjahu wird zwar auch im eigenen Land teilweise scharf kritisiert. Sie ist aber vor drei Jahren demokratisch gewählt worden. Außerdem sitzt die israelische Regierung nicht in der Küstenstadt und Wirtschaftsmetropole Tel Aviv, sondern in Jerusalem. 

Shani habe sich zwar in der Vergangenheit mehrfach «für Frieden und Versöhnung» ausgesprochen, hieß es weiter in der Erklärung. Dennoch habe man entschieden, nicht mit Partnern zusammenzuarbeiten, die sich nicht eindeutig von «diesem Regime» distanziert haben.

«Kultur-Boykott»

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer war einer der Ersten, der sich am Mittwochabend meldete. Der Fall sei eine «Schande für Europa», erklärte er. «Unter dem Deckmantel vermeintlicher Israel-Kritik wird hier ein Kultur-Boykott betrieben. Das ist blanker Antisemitismus und ein Angriff auf die Grundlagen unserer Kultur.»

Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, sprach von einem der «krassesten Beispiele des aktuellen Judenhasses». Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sah einen «ganz und gar unsäglichen und zutiefst antisemitischen Vorgang». Denn es sei antisemitisch, Jüdinnen und Juden für Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu machen, sagte Klein.

Der Genter Festivalleiter Jan van den Bossche wies den Vorwurf des Antisemitismus zurück, verteidigte die Absage aber ausdrücklich. Lahav Shani sei ein fantastischer Künstler. Aber: «Wir wissen nicht, wo er in diesem Konflikt steht, und Völkermord lässt unserer Ansicht nach keinen Raum für Unklarheit», erklärte Van den Bossche nach den heftigen Reaktionen aus Deutschland.

Boykottaufrufe und Proteste

Doch ist das alles kein Einzelfall. «Mir wurde in Gesprächen von israelischen Künstlerinnen und Künstlern berichtet, dass Kolleginnen und Kollegen von ihnen oft erwarten, dass sie sich von der Regierung distanzieren», sagte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann. «Das ist in meinen Augen ein nicht hinnehmbarer Übergriff.»

Kürzlich forderten Hunderte Schauspieler und Mitarbeiter der Filmbranche, darunter die Hollywood-Stars Tilda Swinton und Mark Ruffalo, einen Boykott israelischer Filminstitutionen. Denn diese seien am «Völkermord» an den Palästinensern beteiligt, heißt es in dem Aufruf.

Auch deutsche Künstler werden politisch

Die israelischen Kampfhandlungen sind in öffentlichen Debatten der Kulturbranche zu Gaza deutlich präsenter als das Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 in Israel, das den Gaza-Krieg auslöste. Bei den Filmfestspielen in Venedig gewann jüngst ein Film über ein getötetes palästinensisches Mädchen im Gazastreifen den zweitwichtigsten Preis. Das Massaker der Hamas und anderer Terroristen in Israel am 7. Oktober 2023 spielt im Film keine Rolle.

In Deutschland fordern viele Prominente einen Kurswechsel der deutschen Regierung im Umgang mit dem Gazakrieg. Schauspieler, Musiker und andere Kulturschaffende riefen Bundeskanzler Friedrich Merz in einem offenen Brief zum Stopp aller Waffenlieferungen an Israel und zu weiteren Sanktionen auf. Organisatoren einer Gaza-Demo in Berlin am Wochenende mit Schauspieler Dieter Hallervorden und dem Rapper Massiv werfen der israelischen Regierung «Völkermord» vor - ein Vorwurf, den Israel strikt zurückweist.

«Differenzierte Positionen sind eine Herausforderung»

Der in Tel Aviv geborene Publizist Meron Mendel, Leiter des Bildungszentrums Anne Frank in Frankfurt, ist selbst Kritiker der israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu und deren Kriegsführung im Gazastreifen. Aber die Absage an Shani aus Gent nennt auch er einen Skandal. «Wenn man die Regierung Netanjahus mit allen jüdischen Israelis – unabhängig ihrer politischen Haltung – praktisch gleichsetzt, ist man schon sehr nah an Antisemitismus.»

In Israel gebe es massiven Widerstand gegen Netanjahus Politik. «Die Mehrheit stellt sich gegen den Krieg und die Vertreibung der Palästinenser in Gaza», sagte Mendel. «Auch Lahav Shani stellt sich gegen dieses Vorgehen. Diese Leute zu bestrafen ist, ungeachtet der Frage des Antisemitismus, einfach moralisch falsch.»

Schuster: Künstlerische Freiheit «nicht selektiv» gewähren

Für den Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, geht es um mehr als die aktuelle Gaza-Debatte. «Wer einen Künstler aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seiner jüdischen Religion ausgrenzt und diskreditiert, tritt die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit Füßen», sagte Schuster der dpa. «Jüdische oder israelische Künstler müssen sich offenbar erst politisch rechtfertigen, um am kulturellen Leben teilhaben zu dürfen.» Doch dürfe künstlerische Freiheit nicht selektiv gewährt werden, betonte Schuster.

Genau diese Grundsatzfragen sieht auch der Deutsche Kulturrat. Von Künstlern werde eine politische Pro- oder Contra-Haltung zu dem Staat verlangt, in dem sie leben oder in dem sie geboren sind, sagte Zimmermann. «Künstlerinnen und Künstler sind keine Diplomaten oder Politikerinnen. Ihr Arbeitsfeld ist die Kunst.»

«Eine gewisse Ironie»

Er erinnerte dabei auch an die Reaktionen auf Russlands Überfall auf die Ukraine, als russische Künstlerinnen und Künstler ausgeladen wurden. Für Zimmermann schließt sich hier der Kreis zum Fall Shani. Der 36 Jahre alte Dirigent soll im September 2026 bei den Münchner Philharmonikern Nachfolger des Russen Waleri Gergijew werden. Dieser war rausgeworfen worden, weil er sich aus Sicht des Münchner Stadtrats nach dem russischen Angriff die Ukraine nicht hinreichend von Russlands Präsidenten Wladimir Putin distanziert hatte. 

«Wenn es nicht so traurig wäre, könnte der ganzen Situation eine gewisse Ironie abgewonnen werden», sagte Zimmermann. «Ich denke, der aktuelle Fall zeigt ganz klar, dass mehr Differenzierung zwischen Kunst und Politik erforderlich ist.»

Inhalt teilen
  • kopiert!