Pro Dienstpflicht von Martin Kreklau
Wenn im Zusammenhang mit der Diskussion um die Einführung einer Dienstpflicht von "Zwangsarbeit" die Rede ist, kann man als vernünftig denkender Mensch nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Als ob die Generationen, die noch Wehr- oder Zivildienst leisten mussten, im Joch der Knechtschaft gequält worden seien und noch Jahre später unter den bleibenden Schäden zu leiden hätten.
Das Gegenteil ist doch der Fall: Viele berichten, dass diese Zeit im Dienst für die Allgemeinheit zu den besten ihres Lebens gehört.
Die wenigsten jungen Menschen haben nach dem Abschluss ihrer schulischen Laufbahn schon eine genaue Vorstellung davon, wohin die Reise gehen soll. Die Erfahrungen, die man in dieser Selbstfindungsphase macht, sind prägend für das weitere Leben.
Und ein soziales Dienstjahr bietet die Möglichkeit, diese Erfahrungen mit Gleichaltrigen aus unterschiedlichen sozialen Schichten zu teilen. Das sorgt für soziale Durchlässigkeit - man lernt andere Menschen kennen, andere Perspektiven und Horizonte.
In der "Bubble" im eigenen Saft kochen
Nicht umsonst spricht man heute oft von einer "Bubble", in der sich die jungen Menschen bewegen, von einer Blase, in der sie buchstäblich im eigenen Saft kochen: von Menschen umgeben, die denselben Hintergrund haben, dieselbe Meinung, dasselbe Wertesystem. Doch das bildet die Gesellschaft nun einmal nicht ab.
Einen weiteren Vorteil hätte das Dienstjahr: Es würde helfen, Vorurteile abzubauen und viel mehr Menschen in Kontakt mit einem sozialen Beruf zu bringen. Oder es könnte helfen, dass die Bundeswehr in großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr als Rumpeltruppe mit krummen Gewehren und flugunfähigen Hubschraubern wahrgenommen wird.
Der Vorschlag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kommt aber zur Unzeit. Während der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie viele Pflegekräfte fehlen. Nach dem russischen Krieg gegen die Ukraine wurde klar, wie viele Soldaten zur effektiven Bündnisverteidigung fehlen. Jetzt über Wehr- und Zivildienst zu sprechen zeigt, dass man nur die Löcher stopfen will. Doch das kann und darf nicht das Ziel sein.
Gute Bedingungen, vernünftige Bezahlung
Klar ist auch, dass man das alte System von Wehr- und Zivildienst nicht wieder aufleben lassen kann. Die Regelungen zu einem Dienstjahr müssten in die heutige Zeit passen: gute Bedingungen, vernünftige Bezahlung.
Dass der Dienst einen positiven Effekt auf die Gesellschaft hat, ist indes kein Bauchgefühl. Es gibt Studien - beispielsweise von der Wirtschaftsuniversität Wien -, die die positiven sozialen Auswirkungen, in diesem Falle des
Zivildienstes, belegen. Teamfähigkeit, Eigenverantwortung, praktische Fähigkeiten, Fachwissen, Belastbarkeit, mehr Toleranz und Empathie: Mehr als zwei Drittel der Befragten gaben an, diese Kompetenzen während des Dienstes gestärkt zu haben.
Das muss auch der einzige Sinn einer solchen Verpflichtung sein: Die Stärkung des Zusammenhalts durch die persönliche Entwicklung der Menschen.
Eine funktionierende demokratische Gesellschaft ist eben kein Selbstläufer. Man muss dafür arbeiten, damit sie Bestand hat. Doch "Pflicht" ist in unserer Lebenswelt, in der vieles optional und nur weniges obligatorisch ist, leider zu einem Unwort geworden.
Contra Dienstpflicht von Jochen Nützel
Allein wenn Nikolaus Blome für etwas plädiert, weiß ich: Es muss ein Haken dabei sein. Der Politikchef von RTL und Aushilfskolumnist bei Spiegel online hat ernstlich die diskutierte Dienstpflicht ins Spiel gebracht, um das Chaos an deutschen Flughäfen zu beenden.
Im Klartext: Um das Versagen von mit Milliarden Euro gepamperten Unternehmen zu kaschieren, sollen zwangsdienstverpflichtete junge Menschen die Koffer schleppen und den zügigen Ablauf garantieren, damit der stress-/coronaverbots-/lebensgeplagte Teutone ohne Verzögerung zu seinem Brutplatz am Ballermann fliegt.
Und Börsengiganten wie Lufthansa können von Gesetzgebers Gnaden weiterwursteln - der Dödel aus der Pflichtabteilung hat es gefälligst zu richten.
Zivis sollen die Fehler der anderen ausbaden
Damit wäre auch en passant der gewichtigste Grund gegen eine neue Ära des Pflichtjochs genannt. Ich kenne aus eigener Anschauung die Phase, in der ein Notstand fröhliche Urständ feierte und wir "Zivis" die Kastanien aus dem Feuer holen mussten.
Das waren in der Behinderten- und Altenpflege die Lückenbüßer-Jahre in den 80ern und 90ern. An der Personalsituation hat sich nichts geändert, oder hab ich was verpasst? Soll sich das also 30 Jahre später wiederholen wegen des großen Erfolges?
Und wenn jetzt die unvermeidliche Frage aufploppt: Hat es Dir geschadet? Dann antworte ich: Nein, ich mochte sogar, was ich tat. Jetzt kommt das große ABER: Das ist die falsche Frage.
"Bringschuld" für die Allgemeinheit?
Die Frage ist: Warum sollten sich Politik in Tateinheit mit den kommerziellen Anbietern in diesem Gewerbe ihrer Verantwortung entziehen dürfen und Aufgaben auf jene abwälzen, die es nur deshalb trifft, weil sie jung sind und scheinbar eine wie auch immer definierte "Bringschuld" für die Allgemeinheit zu begleichen haben? Wollen wir dann auch für die neuen "Pflichtis" klatschen? Oder wären wir bereit, den Dienst ordentlich zu entlohnen?
Da wäre Punkt 2: die Motivation. Möchten Sie sich im Alter von einem jungen Erwachsenen waschen und füttern lassen, der das mit innerer Abscheu tut? Oder verteidigen lassen von einem, der rumballern will, weil das seiner Neigung entspricht, er anderweitig aber nicht an Waffen kommt?
Punkt 3: Bei der Dienstpflicht wird es zwangsläufig zu den gleichen Ungerechtigkeiten kommen, wie bei der Wehrpflicht.
Der eine wird den wortgewandten Unterstützer haben, der ihn als unabkömmlich einstuft (ob im Betrieb oder im höherklassigen Sportverein), während die andere ohne diesen Fürsprecher ein Jahr gebunden ist. Persönliches Pech. Gleichheitsgrundsatz - wird eh überschätzt.
Pflicht stärkt keinen Gemeinschaftssinn
Punkt 4: Es ist verständlich, wenn Menschen grundsätzlich eine Vorschrift suspekt anmutet, die just von jenen Leuten erdacht wurde, die diese Pflicht garantiert nicht (mehr) persönlich einzulösen brauchen.
Und prinzipiell: Eine Pflicht stärkt keinen Gemeinschaftssinn, wenn jemand keinen Sinn dahinter vermutet, sondern pure Nötigung von oben/des Staates (der wir ja alle sind).
Wahres Streben kommt aus innerem Antrieb, nicht aufgrund äußerer Einflussnahme. Wer sich aus einer Aufgabe, Persönlichkeitsentwicklung oder gar Erkenntnisgewinn verspricht, wird sie gerne erfüllen, sogar ganz freiwillig.
Wer den Antrieb hat, alte Menschen zu begleiten, einen Wald aufzuforsten oder das Land zu verteidigen, der kann das bereits jetzt tun. Ohne Zwang, dafür als Gewinn für sich und uns alle.
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