Die Worte sind harsch, der Zorn sitzt ganz offensichtlich sehr tief: „50 Jahre Schmähungen, Lügen, Erniedrigung und Abweisungen durch die deutsche Regierung und insbesondere bayerische Behörden sind mehr als genug für uns.“ So begründen Ankie Spitzer und Illano Romano, zwei der Witwen der bei dem Olympia-Attentat 1972 getöteten elf israelischen Sportler, die Absage der Teilnahme aller Opferfamilien an einer geplanten Gedenkfeier 50 Jahre nach dem schrecklichen Ereignis.
Die am 5. September in München und Fürstenfeldbruck geplante Veranstaltung drohe ohne die Angehörigen der Opfer jedoch „zur Groteske zu verkommen“, warnt der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU). Zumal er den Zorn der Hinterblieben gut verstehen kann: „Auch 50 Jahre nach dem palästinensischen Terroranschlag sind wir noch meilenweit von einem fairen Umgang entfernt.“
Staat behandelt die Hinterbliebenen herablassend und drückt sich vor Entschädigung
So werde bis heute vonseiten des deutschen Staates mit den Opferfamilien „nicht auf Augenhöhe gesprochen“, kritisiert Spaenle. Zudem müsse die Bundesrepublik Deutschland endlich „die nötigen Mittel für eine Entschädigung bereitstellen“, fordert er. Es sei geradezu „beschämend“, wie stattdessen auch nach 50 Jahren noch immer „der Mantel des Schweigens über das Versagen des Staates bei dem Attentat gebreitet“ werde.
Am 5. September 1972 waren acht palästinensische Terroristen in die Unterkunft der Israelis im Olympischen Dorf eingedrungen. Zwei Sportler wurden sofort ermordet, die neun anderen Geiseln starben zusammen mit einem bayerischen Polizisten Stunden später bei einem dilettantischen Befreiungsversuch in Fürstenfeldbruck.
Befreiungsversuch war komplett untauglich
Dort lief so ziemlich alles schief, was schief laufen konnte: So waren etwa zu wenige Scharfschützen vor Ort, weil die Information über die Anzahl der Geiselnehmer nicht rechtzeitig weitergegeben wurde.
Radpanzer der Polizei blieben auf dem Weg nach Fürstenfeldbruck im Verkehr stecken. Bei den in Fürstenfeldbruck eingesetzten Polizisten handelte es sich zum Teil um junge Freiwillige ohne jegliche Erfahrung bei Geiselnahmen.
Die Hilfe israelischcer Terrorspezialisten war abgelehnt worden
Zuvor war offenbar von deutscher Seite ein israelisches Angebot zum Einsatz einer eigenen Spezialeinheit abgelehnt worden – wer dafür verantwortlich war, ist bis heute unbekannt. Eine Befreiungsaktion im Olympiadorf scheiterte auch daran, dass die Vorbereitungen live im Fernsehen zu sehen waren – auch von den Terroristen.
Spaenles klare Worte: „Das war Staatsversagen“
Der gescheiterte Polizeieinsatz, zunächst im Olympischen Dorf und dann auf dem Militärflugplatz in Fürstenfeldbruck „war schlicht Staatsversagen“, findet Spaenle deshalb: „Das muss man endlich auch einmal so sagen.“
Bis heute erging keine Entschuldigung an die Hinterbliebenen
Moralisch vielleicht noch schlimmer als dieses erste Versagen war aber der Umgang der Verantwortlichen aus Politik und Polizei in den Jahren danach mit den Hinterbliebenen. Die forderten vor allem Aufklärung über die Umstände des Todes ihrer Angehörigen.
„Niemand hat sich jemals bei mir entschuldigt, bis heute nicht“, sagte Ankie Spitzer, die damals ihren Ehemann Andrei verloren hatte, kürzlich der „Süddeutschen Zeitung“.
Angehörige wurden vom deutschen Staat systematisch jahrzehntelang belogen
Stattdessen seien die Angehörigen Jahrzehnte lang von deutschen und bayerischen Behörden belogen worden – etwa indem behauptet wurde, es gäbe keine Akten zur gescheiterten Befreiungsaktion. Eine Lüge, die erst zusammenbrach, als ein Archivmitarbeiter den Angehörigen 1992 anonym 80 Seiten aus eben diesen Akten zuspielte.
Trotzdem werde „bis heute vieles verborgen gehalten“, kritisiert Spitzer. Der frühere Münchner Polizei-Vizepräsident Georg Wolf habe ihr sogar einst vorgeworfen, die Israelis seien selbst schuld gewesen an dem Massaker – weil sie „den Terror auf deutschen Boden gebracht“ hätten, so erzählt es Spitzer.
Seit Jahrzehnten kämpfen die Angehörigen um eine Anerkennung des deutschen Versagens und eine Entschuldigung, aber auch um eine deutliche finanzielle Entschädigung. Zehn Millionen Dollar pro Opferfamilie wären angemessen, findet Spitzer: „Wir fordern das nicht aus Habgier, uns geht es um Gerechtigkeit“, beteuert sie.
Symbolische Anerkennung soll durch hohe Entschädigungssumme erfolgen
Denn nur eine hohe Summe, so sehen das die Hinterbliebenen, wäre auch eine symbolische Anerkennung der deutschen Verantwortung für das tödliche Fiasko. Die Bundesregierung hat nun kürzlich offenbar zehn Millionen Euro angeboten – für alle elf Opferfamilien.
Davon sollten noch viereinhalb Millionen Euro abgezogen werden, die bereits 1972 und 2002 als humanitäre Hilfe gezahlt wurden. „Hochnotpeinlich“, nennt Spaenle diese Verrechnung.
Die Angehörigen lehnten das Angebot empört ab – und kündigten in einem Brief an Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an, die offizielle Gedenkfeier Anfang September zu boykottieren.
Zwar betonten Sprecher der bayerischen Staatsregierung und des Bundesinnenministeriums, auch nach der Absage weiter mit den Hinterbliebenen verhandeln zu wollen. Dennoch droht das Gedenken nun endgültig im Eklat zu versinken.
Denn wenn die israelischen Opferfamilien nicht kommen, wird auch mit einer Absage des ebenfalls geladenen israelischen Staatspräsidenten Izchak Herzog gerechnet. Dabei hatte sich die deutsche Seite durchaus bewegt: Das Bundesinnenministerium hat unter dem Titel „Aufarbeiten. Erinnern. Anerkennen.“ ein Konzept vorgelegt, das unter anderem eine deutsch-israelische Historiker-Kommission zur Aufarbeitung offener Fragen vorsieht sowie eine „klare politische Einordnung“ des Attentats in Aussicht stellt.
Bislang hatte einzig Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) eine deutsche Mitverantwortung angedeutet – 2017, 45 Jahre nach dem Attentat.