Ukraine-Krise
US-Rhetorik: Washington nutzt Worte als Waffen
Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Biden, warnt vor einem russischen Einmarsch.
Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Biden, warnt vor einem russischen Einmarsch.
Manuel Balce Ceneta, dpa
Karl Doemens von Karl Doemens Fränkischer Tag
Berlin – Die USA zeichnet ein düsteres Bild vom Konflikt zwischen der Ukraine und Russland – und erinnert in der Argumentation an frühere Konflikte.

Das Telefonat zwischen US-Präsident Joe Biden und seinem russischen Gegenspieler Wladimir Putin war kaum beendet, als das Weiße Haus am Samstag ausgewählte Journalisten zu einem Hintergrund-Briefing zusammenschaltete. Professionell und substanziell sei das 62-minütige Gespräch verlaufen, berichtete ein ranghoher Regierungsvertreter. Aber: „Es gab keine grundsätzliche Änderung in der Dynamik.“

Moskau spricht von Hysterie

Dass Regierungen in internationalen Konflikten mit Propaganda und Bildern um die Deutungshoheit kämpfen, ist keine Neuigkeit. Doch im Ukraine-Konflikt treibt die Biden-Regierung die gezielte Öffentlichkeitsarbeit auf die Spitze. Seit Wochen hat sie detaillierte Geheimdienstinformationen über russische Truppenbewegungen verbreitet, einen angeblichen Plan für eine russische Provokation unter falscher Flagge herausposaunt und alarmierende Schätzungen über zivile und militärische Opferzahlen verbreitet.

Von Hysterie und Propaganda ist deswegen in Moskau die Rede. Im Weißen Haus weist man das zurück. Von einer Doppelstrategie spricht man dort, die sich um eine diplomatische Lösung bemühe, aber die Gefahren klar benenne. Dazu soll auch die aktuelle Informationsschlacht dienen: „Russland befindet sich durch unsere Transparenz über seine Intentionen im öffentlichen Raum in der Defensive“, sagte der Beamte.

Tatsächlich spricht wenig dafür, dass Joe Biden eine militärische Auseinandersetzung im Osten Europas befördern möchte. Der Demokrat sieht China, nicht Russland, als den strategischen Gegner der USA. Er ist mit dem Versprechen ins Amt gekommen, die Kriege zu beenden und hat dafür in Afghanistan einen hohen politischen Preis gezahlt. Er hat kategorisch den Einsatz von amerikanischen Truppen in der Ukraine abgelehnt und nur 3000 Soldaten nach Polen geschickt. Auch der amerikanischen Bevölkerung brennt – jenseits der Washingtoner Denkfabriken – die Lage in Kiew nicht auf den Nägeln brennt: Jeder zweite Befragte meint nach aktuellen Umfragen, Washington solle sich aus dem Konflikt heraushalten. Nur jeder vierte würde militärisch eingreifen, falls Moskau die ukrainische Regierung stürzt oder den Donbass annektiert.

Unmittelbar vor dem Telefonat von Biden und Putin hat das Weiße Haus den Ton am Wochenende noch einmal verschärft. Sicherheitsberater Jake Sullivan warnte ausdrücklich, ein russischer Einmarsch drohe möglicherweise schon während der Olympischen Spiele. Er könnte mit Bomben und Raketen-Attacken beginnen, die Zivilisten ohne Rücksicht auf ihre Nationalität töten: „Alle Amerikaner in der Ukraine sollten das Land in den nächsten 24 bis 48 Stunden verlassen.“

Das sind klare Worte. Sie erklären sich, so heißt es in Washington, vor allem mit zwei Erfahrungen: Bei der letzten russischen Aggression im Jahr 2014 hatten die US-Geheimdienste ihre Erkenntnisse nicht offengelegt. Damals konnte Putin die Nato überraschen und die Krim ohne ernsthafte Konsequenzen annektieren. Die andere Erfahrung ist frischer und stammt aus Afghanistan: Da hatte sich Washington auf die örtliche Regierung verlassen und die Evakuierung von Amerikanern und Ortskräften zu spät vorbereitet. Das führte zu einem Debakel.

Offensive Kommunikation

Nun will Biden durch eine offensive Kommunikation vorbauen: Die Alliierten sollen sich keine Illusionen machen und die US-Bürger in der Ukraine nicht auf eine Rettungsaktion setzen. Vor allem aber sollen durch die Publikation der amerikanischen Geheimdiensterkenntnisse Putins Pläne erschwert werden.

Die Strategie birgt freilich Risiken: Den Irak-Krieg im Jahr 2003 hatte Washington mit Geheimdienstinformationen begründet, die sich später als falsch herausstellten.

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