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Plastikmüll im Wald
Naturschützer alarmiert: Baumhüllen sind Gefahr für den Boden
Plastikmüll Wald
Aus den Kunststoff-Wuchshüllen für Gehölze wird schnell jede Menge Plastikmüll, den kein Waldbesitzer auf seiner Fläche haben möchte. // Jochen Nützel
Kulmbach – Der Harvester ist durch, über allen Wipfeln ist Ruh. Nicht so am Boden: Hier, wo junge Eichen, Buchen & Co. gen Himmel streben, sickert der Saft aus Plastikrückständen ein. Wie das?
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Sie sind kaum zu erspähen, weil sich das Unterholz flugs den Boden zurückholt: Wuchshüllen aus Kunststoff, die einst frisch gepflanzte Bäume auf der Kahlschlagfläche vor Verbiss, Wind und Spätfrösten schützen sollten. Ein per se guter Gedanke, leider nicht nachhaltig, denn: Sobald die Bäumchen ihrem Mini-Gewächshaus entwachsen sind, zerfällt die Hülle und zerbröselt in Myriaden von Plastikteilchen. Das hat aufgrund der Menge solcher Hüllen schwerwiegende Auswirkungen für den Waldboden.

Laut Bund Naturschutz (BN) landet jeder dritte Setzling hinter einem solchen Plastikumhang. Das hat Folgen, wie eine Studie der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (HFR) zeigt: Für Baden-Württemberg weist die Statistik für die vergangenen 20 Jahre eine Menge zwischen 4,5 und 7,7 Millionen Wuchshüllen aus. Für Bayern gibt es keine derartige Auswertung, aber die Naturschützer gehen von ähnlichen Zahlen aus.

Vorteile stehen Nachteile gegenüber

Die Hauptnachteile von Wuchshüllen, wie sie auch von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) hervorgehoben werden, sind nicht unerheblich: Sie sollen demnach ein ungleichmäßiges Längenwachstum fördern, das der Baumstabilität zuwider läuft; ferner erhöhen die Hüllen das Risiko von Fäule und Schimmelbildung. Auch die ebenfalls eingegrenzte Konkurrenzvegetation kann gefördert werden. Weitere Folgen können Triebdeformationen sein (bei schräg stehenden oder umgefallenen Wuchshüllen durch mangelhafte Befestigung durch den Pflock). Es ist auch schon vorgekommen, schreibt die LWF, dass Hüllenteile im Stammbereich einwachsen und sich nur schwer entfernen lassen, was für den Jungbaum eine nicht unerhebliche Schwächung darstellt.

Kompostierbar oder nicht

Der BN macht deutlich, dass von 58 für die Verwendung im Forst geeigneten Wuchshüllen lediglich drei Modelle über eine „unabhängig zertifizierte Aussage zum Abbauverhalten durch Kompostierung“ verfügen. Immerhin acht Modelle seien nicht aus Kunststoff gefertigt, sondern anderen Materialien wie Holz, Papier oder Jute. Aber: Angaben über eine eventuell vorgenommene Haltbarmachung fehlten.

Die Naturschützer verweisen darauf, dass nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz nicht-kompostierbare Hüllen als Abfall gelten, wenn ihnen die Bäumchen entwachsen sind und sie ihre Aufgabe erfüllt haben. Ergo müssten sie eingesammelt und fachgerecht verwertet/entsorgt werden. 

Die Wirklichkeit sieht anders aus, wie die Hochschul-Statistik zeigt: Demnach verbleiben zwischen 50 und 80 Prozent der Stützen im Wald. Für Baden-Württemberg kämen dadurch in 20 Jahren zwischen 780 und 1340 Tonnen Kunststoff zusammen. Etwa nach acht Jahren verlören die Hüllen ihre Stabilität und dekonstruierten durch Sonnenlicht, Wasser und Wärme; mit zunehmender Dauer werde dieser oberirdische Zerfall beschleunigt.

Mit allen schädlichen Nebenwirkungen für das Bodenleben, wie der BN anführt. Die Abbau- und Zerfallsprodukte würden von Bodenlebewesen aufgenommen und können deren Lebensfunktionen stören oder schädigen. Da Kleinstlebewesen wiederum von größeren Arten vertilgt, geraten die Mikroplastikteile schließlich in die Nahrungskette.

Sind Bioprodukte die Lösung? 

Bleibt zu fragen: Wären Wuchshüllen aus sogenanntem Biokunststoff eine Alternative oder gar die Lösung? Hierzu hat der BN eine klare Haltung: „Auch als kompostierbar bezeichnete Hüllen sind nicht problemlos: Da die Prüfnorm DIN 13432 nur die Kompostierung unter idealen Bedingungen einer industriellen Kompostieranlage – mit 90 Prozent Abbau innerhalb von sechs Monaten bei 58 Grad – untersucht, kann von einer entsprechenden Einarbeitung bei Waldbedingungen nicht ausgegangen werden.“

Der Naturschutzbund bemängelt den Begriff „biobasierter Kunststoff“, da dieser nur aussage, dass das Material vollständig oder teilweise aus Pflanzen gewonnen wurde – allerdings nichts über die Anbaumethode der Pflanzen. Zudem ist laut BN nicht jeder biobasierte Kunststoff automatisch abbaubar, kann also durch Mikroorganismen vollständig zu Kohlendioxid und Wasser umgewandelt werden.

Alternativen zu Kunststoffhüllen gibt es im Handel – jedoch sind viele eher teurer als die Plastikvariante. Ein möglicher Ersatz bilden Baumwickel aus Jute. Bekannt in der forstlichen Anwendung ist der „Kehlheimer Setzlingsschutz“. Andere Modelle sind eine Mischung aus Jute, Baumwolle und Wachs. Auch diese gelten als vollständig kompostierbar. Dazu gibt es Varianten aus Holz, wie sie auch Kulmbachs Stadtförsterin Carmen Hombach mitentwickelt hat: der sogenannte „Leisti“.

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