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Zeitumstellung
Gefangen in der Zeitschleife
Durch die Zeitumstellung von Samstag auf Sonntag können wir eine Stunde länger schlafen.
Durch die Zeitumstellung von Samstag auf Sonntag können wir eine Stunde länger schlafen. // Christoph Soeder, dpa
Brüssel – Am 30. Oktober werden die Uhren um eine Stunde zurückgestellt. Das Thema sorgt iommwer wieder für Ärger in Brüssel.

Ein Wort fehlt in der Beschreibung der Saga um die Zeitumstellung nie: „eigentlich“. Denn eigentlich dürfte es diesen Text überhaupt nicht geben. Die Zeitumstellung sollte schon abgeschafft und damit das halbjährlich wiederkehrende Ritual in der Europäischen Union mit der Uhrendreherei längst Geschichte sein.

Zwei Mal im Jahr Empörung

Dem ist nicht so. In der Nacht von Samstag, 29., auf Sonntag, 30. Oktober, werden abermals die Uhren von 3 Uhr auf 2 Uhr zurückgestellt – dann gilt wieder die winterliche Normalzeit. Obwohl dies eine Stunde mehr Schlaf bedeutet, sorgt das Thema nicht nur bei vielen Bürgern für Ärger, sondern auch in Brüssel herrscht zuverlässig zwei Mal im Jahr Empörung.

Denn das EU-Parlament votierte bereits im März 2019 mit breiter Mehrheit für das Ende des Mini-Jetlags. Doch seitdem ist so gut wie nichts passiert. Der Grund: Die Regierungen in den Mitgliedstaaten können sich nicht auf eine gemeinsame Position einigen.

Letzter Vorstoß ist schon drei Jahre her

Mittlerweile scheinen sie nicht einmal mehr nach einem Konsens zu suchen. Das letzte Mal, dass der Rat darüber diskutierte, war im Jahr 2019 während der finnischen EU-Ratspräsidentschaft. Sie hätten das Thema „auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben“, kritisierte der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber.

Dabei müsse es zurück auf die Agenda. „Wir können Fortschritte in diesem Thema nicht auf ewig vertagen und damit den Mehrheitswillen der Bevölkerung ignorieren.“

Droht ein Flickenteppich ohne Zeitzonen?

Heute unterteilt sich die Gemeinschaft in drei Zeitzonen. Die Entscheidung, welche Zeit gelten soll, ist jedem Mitgliedstaat selbst überlassen. Dementsprechend herrscht Chaos. Um beim neuen Status Quo ein Durcheinander zu verhindern, sei laut Ferber vor allem die Absprache und Koordinierung der Standardzeiten unter den 27 Ländern wichtig.

„Ansonsten erhalten wir in unserem Binnenmarkt einen Flickenteppich an Zeitzonen, den es unbedingt zu vermeiden gilt“, so der CSU-Politiker.

Derzeit gibt es eine Gruppe, darunter die Niederlande und Dänemark, die eine ständige „Normalzeit“, die oft als Winterzeit bezeichnet wird, befürwortet. Unter anderem Deutschland, die baltischen Staaten und Polen favorisieren dagegen die Sommerzeit. Das wiederum hieße beispielsweise für Spanien, dass es im Winter bis kurz vor 10 Uhr dunkel bliebe. Zum jetzigen Stand der Dinge tendiert derweil Griechenland.

Ewig grüßt das Murmeltier

Ein Sprecher der EU-Kommission schien sich diese Woche ebenfalls in der Halbjährlich-grüßt-das-Murmeltier-Zeitschleife gefangen zu fühlen. Wie schon sechs Monate zuvor wiederholte er, was er vor sechs Monaten wiederholt hatte: „Der Ball liegt im Feld der Mitgliedstaaten.“ In den Regierungszentralen aber wird er ignoriert.

Die Lust scheint sich in Grenzen zu halten, sich mit dem unliebsamen Thema zu beschäftigen. Dabei klang einmal alles so schön, so einfach, so harmonisch. Ewiger Sommer oder winterliche Normalzeit? Die Frage gab Brüssel sogar an die Wähler weiter und konnte damit so etwas wie Bürgernähe demonstrieren. 4,6 Millionen Menschen stimmten 2018 bei der Online-Befragung ab, drei Millionen allein aus Deutschland.

Was wollen die Menschen?

Das war zwar weder repräsentativ noch bindend, aber der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker betrachtete das Ergebnis als Auftrag zur Abschaffung der Zeitumstellung. „Die Menschen wollen das. Wir tun das“, preschte er vor, um dann einen Satz nachzuschieben, der heute bemerkenswert absurd klingt: „Die Zeit drängt.“

Seine Behörde präsentierte im September 2018 einen Gesetzesentwurf, laut dem im März 2019 – eigentlich – zum letzten Mal verpflichtend alle EU-Staaten an der Uhr hätten drehen müssen. Trotz Zustimmung des EU-Parlaments blieben die Mitgliedstaaten unbeeindruckt.

Fragwürdige Energieeinsparung

In Brüssel verweist man traditionell auf Verkehrsbetriebe und Unternehmen, die EU-weit tätig sind und für die es angeblich leichter wäre, wenn sie nicht zwei Mal pro Jahr mit dem Wechsel von alter und neuer Zeit hantieren müssten. Kritiker führen dagegen an, dass die Argumente an jenes aus den 70er Jahren erinnern, als man die Sommerzeit erfand und große Energieeinsparungen versprach.

Allerdings wurde dieses Ziel kaum erreicht.

Laut Umweltbehörden wird zwar am elektrischen Licht gespart, dafür in den kühlen Monaten am Morgen mehr geheizt. Auch wenn viele Menschen von Problemen erzählen, wenn mal wieder an den Uhren gedreht wird und auch Tiere oft ihren Rhythmus verlieren. Dass die Sommerzeit beliebter ist, begründen die Befürworter vor allem mit einem Mehr an Lebensqualität aufgrund von langen hellen Abenden. Die sind ab Sonntag erst einmal vorbei.

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