Wellenstreik. Ob dieser Begriff das Zeug zum Unwort des Jahres 2024 birgt, darf bezweifelt werden. Dass er seit Wochen Hunderttausende Bahnfahrende zur Verzweiflung bringt, ist ein Fakt. Seit Dienstagnacht, 2 Uhr, streiken die Mitglieder der Gewerkschaft GDL erneut, 24 Stunden lang soll der Ausstand dauern, vor Gericht wurde der Eilantrag der Bahn gegen den Lokführerstreik abgelehnt. Es ist bereits der sechste Streik im aktuellen Tarifstreit.
Nur, dass es längst kein Tarifstreit mehr ist.
Es ist ein Machtkampf auf offener Bühne, ausgetragen von zwei ungleichen Kontrahenten. Da ist Martin Seiler auf der einen Seite, Personalvorstand des Mammut-Konzerns Deutsche Bahn, auf dem Papier wirkmächtig, im Ring gefühlt stets einen Schritt hinterher. Da ist Claus Weselsky auf der anderen Seite, Chef der vergleichsweise kleinen Gewerkschaft der Lokführer. Ein ungleicher Kampf, festgefahren, aus dem in der jetzigen Lage keine Gewinner mehr hervortreten können. Sondern nur Verlierer.
Tarifkonflikt zwischen Bahn und GDL: Nur Verlierer
Der größte Verlierer ist, und das mag abstrakt klingen, die den Klimawandel abzumildern erhoffte Verkehrswende. Doch wer verlässt sich schon gerne auf ein ohnehin allzuoft unzuverlässiges Verkehrsmittel, dass einen nun noch öfter im Regen stehen lässt? So viel Liebe zur Nachhaltigkeit ist nicht selbstverständlich. Gleich dahinter rangieren die Fahrgäste selbst, die sich mitunter fragen lassen müssen, warum sie sich die Bahnpendelei überhaupt noch antun.
Verlieren wird auch die Deutsche Bahn. Weil sie ohnehin keinen guten Stand hat; in der Politik, in der Wirtschaft, in der Gunst der Kunden. Und es nun noch mit einem Gewerkschaftsführer zu tun hat, der seine letzte Schlacht ohne Rücksicht auf Verluste durchzufechten bereit ist. Das alles torpediert das gerne erzählte Märchen von der „zukünftigen Mobilität auf der Schiene“.
GDL verspielt den Rückhalt aus der Bevölkerung
Doch auch Weselskys Streikende selbst manövrieren sich mit jedem weiteren Ausstand auf dünneres Eis. Nicht nur, dass die absolute Kompromisslosigkeit ihres Chefs ihre gut gemeinten und teils klugen Forderungen gefährdet. Je lauter und vehementer er agiert, desto näher rückt er selbst mit dem Rücken zur Wand. Wenngleich sich die Bahn aktuell kaum zu wehren weiß; die Politik wird sich dieses diplomatische Trauerspiel sicher nicht mehr länger anschauen.
Und allmählich verspielt die GDL eins ihrer wichtigsten Güter: den Rückhalt in der Bevölkerung. Die Stimmung kippt, das Verständnis für den Ausstand-Marathon unter den leidgeplagten Pendlern sinkt. Stimmen werden wieder laut, das Streikrecht zu einzuschränken. Das jedoch wäre der falsche Weg; ein verbrieftes Recht für Arbeitskampf ist richtig und wichtig.
Wie der Tarifkonflikt gelöst werden könnte
Um sich aus dieser Patt-Situation halbwegs gesittet zu befreien, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten.
Erstens: Claus Weselsky und Martin Seiler müssen, wie es beispielsweise aktuell die Unionsfraktion in Berlin vorschlägt, den Verhandlungstisch räumen und eine Rückkehr zu Gesprächen unter vernünftigen Vorzeichen zulassen.
Oder zweitens: Nicht alle in der GDL fahren den überharten Kurs ihres Bosses bedingungslos mit. Sie könnten aufbegehren, Weselsky zu einem Kompromiss drängen. Dann müssten sie zwar die Hand beißen, die sie füttert, was viel verlangt wäre.
Und doch wäre es das vernünftige Gebot der Stunde.
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