Das Absperrband flattert im Wind. Die Straßen sind wie leergefegt. Hin und wieder fährt ein Auto durch das Wohngebiet in Mistelbach. Die Blicke der Fahrer richten sich dann immer auf das etwas abseits gelegene Haus mit dem markanten blauen Erker. In dem Gebäude starb am frühen Sonntagmorgen ein Ehepaar. Eine 47-Jährige und ihr 51 Jahre alter Mann wurden erstochen. Unter Verdacht steht der 18-jährige Freund der ältesten Tochter (16). Das Paar hat noch drei weitere minderjährige Kinder.
Nur ab und zu kommt ein Fußgänger am Montagnachmittag an dem Anwesen vorbei. Einer von ihnen ist Bernd Koppe. Der Mistelbacher kannte die Eheleute. "Sie wohnten früher bei meinen Eltern zu Miete, waren immer sehr freundlich", erzählt er. Als Fußballtrainer habe er auch einen Sohn der Familie trainiert. Dass sich in dem kleinen Ort so eine Tragödie abspielen konnte, kann Koppe nicht fassen. "Die Stimmung ist gedrückt, ich bin selbst noch geschockt", sagt er mit Blick auf das schreckliche Geschen, das sich in der Nacht zum Sonntag in der Wohnsiedlung ereignet hat.
Grund für die Tat wird noch ermittelt
Warum es zu dem Gewaltausbruch gekommen ist, ermittelt die Polizei noch. Fest steht bislang, dass der 18-Jährige als Freund der Tochter die Nacht mit in dem Haus verbracht hat.
Kurz vor 1 Uhr hörten Nachbarn Hilferufe aus dem Wohnhaus und setzten einen Notruf ab. Als Einsatzkräfte der Bayreuther Polizei kurze Zeit später das Einfamilienhaus in Mistelbach betraten, fanden sie im Keller des Anwesens zwei leblose Körper vor. Sowohl die Frau als auch der Mann wiesen Stichverletzungen auf. Im Einfamilienhaus nahm noch in der Nacht die Spurensicherung der Kriminalpolizei Bayreuth die Arbeit auf.
Der tatverdächtige 18-Jährige war zunächst geflüchtet, stellte sich aber wenige Stunden nach der Tat und nach einer Großfahndung der Polizei selbst. Er ließ sich widerstandslos festnehmen und wurde am frühen Montagnachmittag auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bayreuth dem Ermittlungsrichter vorgeführt, wo er Medienberichten zufolge die Tat gestanden haben soll. Der junge Mann befindet sich nun in einer Justizvollzugsanstalt.
Die vier minderjährigen Kinder des Ehepaars (das jüngste wurde erst 2016 geboren) befanden sich zur Tatzeit in verschiedenen Räumen des Hauses. Beamte der Kriminalpolizei, die Notfallseelsorge sowie das Jugendamt kümmerten sich um ihre Betreuung.
Was sich in seiner unmittelbaren Nachbarschaft abgespielt hat, kann auch Karl-Heinz Hacker nicht glauben. Er habe Sohn und Tochter des Ehepaars mit Freund und Freundin noch am Freitagabend draußen gesehen, sie hätten sich ganz normal unterhalten. Von der Tat selbst hat Hacker nichts mitbekommen.
Entsetzen auch in Neudrossenfeld
Das Verbrechen sorgte nicht nur in der Gemeinde im Landkreis Bayreuth für Entsetzen, sondern auch in Neudrossenfeld im Landkreis Kulmbach. Denn der Getötete arbeitete hier seit 2008 als Kinder- und Jugendarzt und war bei seinen kleinen Patienten und deren Eltern überaus beliebt. Seine Frau war bis vor zwei Jahren am Klinikum Bayreuth als Ärztin beschäftigt.
Bei der Tatwaffe hat es sich laut Polizei um ein Messer gehandelt. Mehrere Messer, so hieß es am Montag, seien sichergestellt worden.
Mordopfer Stefan S. war ein gebürtiger Augsburger und hat seit 2008 in Neudrossenfeld als Kinder- und Jugendarzt gearbeitet. Mit seiner Frau, die selbst Ärztin und bis vor zwei Jahren am Klinikum in Bayreuth beschäftigt war, hat er vier minderjährige Kinder (5 bis 16 Jahre alt), die sich zur Tatzeit in verschiedenen Räumen des Hauses befunden haben. Ob sie die Tat mitbekommen haben? Eine Frage, auf die Polizei und Staatsanwaltschaft nicht eingehen.
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Der Schock nach der Bluttat von Mistelbach sitzt tief: bei vielen Menschen aus der Region, beim Praxisteam, aber auch bei Müttern und Vätern, deren Kinder Patienten in der Praxis für Kinder und Jugendliche sind, die mit mehreren Ärzten zwei Standorte in Bayreuth sowie in den Rotmainauen in Neudrossenfeld hat. "Schrecklich und unverständlich", steht auf einem Blatt, das an einem Holzkreuz angebracht ist, das vor der Praxis in Neudrossenfeld abgestellt wurde. "Ein wundervoller Mensch, kompetenter Arzt und Wegbegleiter vieler Familien wurde aus dem Leben gerissen. Danke für alles. Sie fliegen mit den Engeln", heißt es.
Auch Lena Hentschel aus Hutschdorf, die sich mit ihren Kindern Theo (9) und Emil (6) bei Stefan S. bestens aufgehoben gefühlt hat, spricht von einem herzensguten, kompetenten Kinderarzt . "Er wusste, wie er einem selbst bei großen Sorgen die Angst nehmen und Zuversicht schenken konnte. Wir sind traurig, fassungslos und bestürzt über seinen Tod. Selbst meine Kinder waren nach der Nachricht am Boden zerstört", sagt Lena Hentschel, die wie Sebastian Krause , der direkt neben der Praxis in Neudrossenfeld wohnt und arbeitet, fassungslos ist. Krause beschreibt Stefan S. als überaus freundlich, zuverlässig und geduldig. Der Arzt sei auch außerhalb der Sprechzeiten immer zur Stelle gewesen für seine Kinder Matilda (6) und Marla (3). "Er hatte immer ein offenes Ohr für einen, und wir haben uns ab der ersten Stunde bei ihm wohlgefühlt. Es ist ein wahnsinnig großer Verlust, nicht nur für uns Neudrossenfelder."
Von einem großen Verlust spricht auch Bürgermeister Harald Hübner. "Wir sind bestürzt", sagt Hübner, der von einem "sehr beliebten und kompetenten Mediziner spricht, der wirklich allseits beliebt war". "Wir waren froh, als er sich vor vielen Jahren mit seinem Kompagnon bei uns im Ort niedergelassen hat", betont der Bürgermeister. Am gestrigen Montag habe er, so Hübner, viele Nachrichten und Telefonanrufe erhalten, "in denen sich vor allem Mütter bestürzt gezeigt haben".
Die Kinderarztpraxis in Neudrossenfeld war gestern geschlossen. "In dringenden Notfällen werden Sie sich bitte an alle Kinderärzte in der Region", lautet die Botschaft des Praxisteams, das einen beliebten und allseits geschätzten Kollegen durch eine unerklärliche Tat verloren hat.
Auch Nachbarin Cornelia Thinius-Tost kannte den Kinderarzt . "Ich war richtig geschockt, als ich erfahren habe, wen es getroffen hat. Man denkt ja immer, solche Gewaltverbrechen sind ganz weit weg, und dann passiert so etwas", sagt die Neudrossenfelderin, die über die Hintergründe wie viele andere auch nur spekulieren kann: "Was man so hört, assoziiert man mit einem Familienstreit. Aber ob das wirklich so ist..."
Dass es im Landkreis Bayreuth innerhalb kurzer Zeit zu zwei Gewaltverbrechen mit mehreren Toten gekommen ist, kann Stefan Kriznic - ein weiterer Nachbar - nicht fassen. Anfang des Jahres hatte in Pegnitz ein 63-Jähriger seine 74-jährige Ehefrau und dann sich selbst erschossen.