Beim außergewöhnlichen Requiem von John Rutter handelt es sich um eine Totenmesse, die sich zwischen klassisch-romantischer, vielleicht postmoderner Kirchenmusik und eingängigeren Melodienfolgen, wie man sie aus der „leichteren Klassik“ kennt, bewegt. Mit dem 1985 uraufgeführten Requiem des britischen Komponisten hat die Kulmbacher Kantorei unter Stadt- und Dekanatskantor Christian Reitenspieß nach der Corona-Pause die Tradition wiederaufgenommen, am Totensonntag ein großes kirchenmusikalisches Werk aufzuführen.
Tröstlicher Charakter
Nicht nur die allseits bekannten, großen Werke der Kirchenmusik möchte Reitenspieß dabei mit dem Chor allen Freunden der Kirchenmusik näherbringen, sondern auch Besonderes, wie dieses Werk des 1945 geborenen Engländers. Im Vergleich zum typisch schwermütigen Totengedenken ist das Werk des Gegenwartskomponisten tröstlich, leicht beschwingt und besitzt einen durch und durch positiven Charakter. Nicht, dass der Schrecken des Todes nicht mehr spürbar wäre, doch er bekommt ein versöhnliches Antlitz. Hoffnung und Zuversicht, statt Trauer und Schmerz.
Unverkennbar sind Rutters großer melodischer Erfindungsreichtum, seine vielschichtigen Harmonien und Rhythmen. Sie geben seinen Kompositionen eine suggestive Kraft, die Ausführende wie Zuhörer gleichermaßen berührt. Rutter hat sich nicht an den üblichen Ablauf einer Totenmesse gehalten, wie sie in der katholischen Liturgie festgelegt ist, sondern sie modifiziert, indem er wesentliche Teile um Psalm-Texte aus dem „Book of Common Prayer“, dem liturgischen und katechetischen Buch der anglikanischen Kirche von 1662, ergänzte. Neben dem Psalm 130 „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“ hat er auch den bekannten Psalm 23 „Der Herr ist mein Hirte“ vertont. Dafür fallen bei ihm andere Teile der Totenmesse weg.
Kantorei und Ensemble überzeugen in Kulmbach
Rutters Musik zeichnet sich zum einen durch einen großen melodischen Erfindungsreichtum, als auch durch eine vielschichtige Harmonik und Rhythmik aus. Dies alles bringen Kantorei und Instrumental-Ensemble, bestehend aus Flöte (Martina Dallmann), Oboe (Ella Thierbach), Cello (Anja Schmidt), Harfe (Felix Hahn), Pauken und Glockenspiel (Günther Peppel und Ralf Probst) unter der Leitung von Christian Reitenspieß auf das Beste zum Ausdruck.
Sängerin Mio Nakamune zeigt tolle Leistung
Dynamische Differenzierungen und teilweise komplizierte Abläufe kommen prima zur Geltung, was an der hohen Transparenz liegt, die sowohl den üppig besetzten Chor, als auch die Instrumentalisten auszeichnete. Die stärksten Stellen hat der Chor immer dann, wenn er in die Extreme geht, also entweder ins Piano taucht, oder sich in ein Forte steigert. Den überaus behutsamen Orgelpart spielte der Bayreuther Dekanatskantor Michael Dorn an der Rieger-Orgel der Petrikirche. Das Solo beim „Pie Jesu“, dem wahrscheinlich schönsten, leider auch kürzesten Satz der gesamten Komposition, gestaltete die Sängerin Mio Nakamune mit ihrem lyrischen und schlanken Sopran. Mit ihrer glockenhellen Stimme konnte sie ihrem Part durchaus Profil verleihen.
Rauschhaft virtuose Eigenkomposition von Reitenspieß
Nachdem das Rutter-Requiem mit einer Spielzeit von etwa 40 Minuten nicht „abendfüllend“ ist, gab es zuvor noch ein Werk aus der Feder des Dekanatskantors: „Media vita in morte sumus“ („Mitten im Leben sind wir im Tod“) hat der Komponist den eindrucksvollen Satz für Chor, Flöte, Oboe, Klavier und Cello überschrieben, der es verdient, öfter aufgeführt zu werden. Mit der ganz sparsamen instrumentalen Begleitung und den anspruchsvollen Sätzen hatte Reitenspieß ein melodiöses, zeitgenössisches Werk geschaffen, das so recht zum Requiem und in die Klangwelt von Rutter passt. Zwischen den vokalen Werken stand die Komposition „Danse sacrée et profane“ für Harfe und Klavier von Claude Debussy. Ganz bei sich, dem Instrument und der Kunst ist dabei Felix Hahn als Solist. Hahn kann dabei mit zupackenden Glissandi auch die verborgene rauschhaft-virtuose Seite der Harfe nach Außen kehren.
Lesen Sie auch:













