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Auf Campus in den USA
Ködnitzerin erlebt hautnah Anti-Israel-Proteste an Uni
Pro-Palästina-Protestcamp - München
Der Protest soll nun woanders stattfinden. (Archivfoto) // Sven Hoppe/dpa
Ködnitz – Ihre Universität in New York glich zeitweise einer Festung: Die Kauerndorferin Franziska Sittig hat die Anti-Israel-Stimmung am Campus täglich erlebt. Nun arbeitet sie in einem Buch Hintergründe auf.
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Eine Studentin aus dem Landkreis Kulmbach ist mittendrin, statt nur dabei, als sich auf dem Campus ihrer Universität mitten in New York eine neue Bewegung breit macht. Plötzlich werden Palästina-Fahnen entrollt; mit Palästinenserschals Vermummte campieren auf dem Gelände in Manhattan und skandieren in der Hauptbibliothek "Free Palestine". Die Demonstranten hängen Banner auf und zeigen offen Symbole der Hamas, wünschen dem Staat und dem Volk Israel den Tod - und seinen Verbündeten. All das vollzieht sich unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023, als palästinensische Terroristen in der israelischen Grenzregion zum Gazastreifen mehr als 1000 Menschen ermorden und Hunderte Geiseln nehmen.

Franziska Sittig
Die Ködnitzerin Franziska Sittig hat nach ihrem Master-Abschluss zusammen mit Noam Petri ein Buch veröffentlicht, das sich mit den Palästina-Protesten an Universitäten in den USA und Deutschland befasst. // privat

Die besagte Studentin ist Franziska Sittig aus Ködnitz. Sie bereitet sich zu dem Zeitpunkt an der Columbia University in New York auf ihren Master-Abschluss vor. Dabei befasst sie sich mit europäischer Politik sowie den Beziehungen und Interaktionen zwischen Staaten, internationalen Organisationen und anderen Akteuren auf globaler Ebene, kurz "International Affairs". Die Proteste direkt vor den Fenstern der Hörsäle wirken verstörend auf die heute 24-Jährige.

In mehreren Artikeln berichtet sie für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) über das, was im intellektuellen Herzen des "Big Apple" vonstattengeht. Sie traut ihren Augen kaum, wie angebliche Widerstandsgruppen wie die Hamas "trotz ihrer grundlegend menschenverachtenden Natur in Schutz genommen werden".

Franziska Sittigs Schlussfolgerung der Täter-Opfer-Umkehr: "Wenn das westliche System - und damit ist immer auch Israel mitgemeint - pauschal als böse angesehen wird, kann jedes einzelne Element umgedeutet und delegitimiert werden." Studenten seien trainiert in der Kunst dieser Umdeutung, konstatiert sie. "Der 7. Oktober gilt dann nicht mehr als größtes Massaker seit dem Holocaust, sondern als bewaffneter Gegenschlag gegen den Apartheidstaat Israel. Terroristen werden zu bewunderten Märtyrern."

Hintergründe einer kruden Allianz sichtbar machen

Aufgrund dieser Ereignisse und Erlebnisse fasst Franziska Sittig einen Entschluss: Sie möchte der Allgemeinheit nicht nur davon erzählen, sondern über die Hintergründe informieren. Über Instagram tauscht sich die Kauerndorferin mit anderen Studentinnen und Studenten zu dem Thema aus. Dabei kommt sie mit Noam Petri zusammen, ehemals Vizepräsident der jüdischen Studierenden in Deutschland. Mit ihm entsteht eine ungewöhnliche Streitschrift: "Die intellektuelle Selbstzerstörung: Wie der Westen seine eigene Zukunft verspielt". Eine Abhandlung, die sich als "Weckruf" für den Kulturkreis verstehen lässt, den der Westen als seinen deklariert.

Die beiden Autoren legen anhand zahlreicher Beispiele von hier und jenseits des Atlantiks dar, welche Gefahr sie in den Protesten und den Drahtziehern dahinter für einen freien Meinungsdiskurs und eine pluralistische Gesellschaft erachten. Sie sind der Ansicht: Diese Bewegung untergräbt ausgerechnet an Universitäten, jenen Orten freien Denkens und Forschens schlechthin, nicht nur die Freiheit, sondern befeuert zugleich den Antisemitismus. 

Autoren sprechen von "institutionellem Verrat"

Mittels welcher Wirkmechanismen dieser "institutionelle Verrat" mal offen, mal heimlich geschieht, analysieren Sittig und Petri präzise und stringent. Franziska Sittig, die unter anderem für das "Manhattan Institut" arbeitete - ein klassischer "Think-Tank" -, befasst sich seit ihrem Master-Abschluss beim "Counter Extremism Project" mit den Auswirkungen der Gräueltaten jenes 7. Oktober 2023 und wie sich Studenten auf dem Campus ihrer Universität plötzlich vehement gegen Israel stellen. "Tod Israel, Tod USA, Tod dem Westen - das war und ist allgegenwärtig", sagt die 24-Jährige.

Mit ihrem Co-Autor Petri konstatiert sie: Es handele sich hier um kein Partikularproblem,  also ein Einzelphänomen; die Proteste entwickelten sich in ganz ähnlichem Rahmen in zahlreichen Ländern. "Es gibt Nationen und sogar Kontinente übergreifende Strukturen, die Gruppen sind vernetzt, wir sehen ähnliche Vorgänge in den USA und Deutschland wie von England bis nach Australien."

Die Botschaft des Autoren-Duos ist unmissverständlich: "Die Öffentlichkeit soll wissen, wer diese Gruppen sind, da sie in der medialen Berichterstattung oft zu kurz oder gar nicht vorkommen." Als These formulieren die beiden: Was sich hier begegnet, quasi im Konsens unterhakt, sei eine "woke-islamistische Allianz".

Sittig und Petri wollen zeigen, wo sich diese scheinbar paradoxe Allianz zwischen Linken und Islamisten vielerorts Bahn bricht. "Beide Lager hält keine gemeinsame Idee zusammen, sondern eint der gemeinsame Hass auf dieselben Feindbilder." Vor allem an Universitäten sei diese Verbindung stark ausgeprägt.

Zwei Seiten, aber die gleichen Narrative

Die Antriebsfeder für das ungleiche Gespann der genannten Verbündeten seien die oft gleichen Narrative "vor allem selbsterklärter Minderheiten, die sich unterdrückt und nicht wahrgenommen fühlen". Nicht wenige fühlten sich, aus welchen Gründen auch immer, vom "großen westlichen System ausgegrenzt". Dieses System soll zerstört werden.

Die Autoren kommen zur Conclusio: "Das Ziel auf beiden Seiten ist dasselbe, die Heran- und Vorgehensweise eine andere." Das gemeinsame Feindbild "erkläre", warum sich sogar queere Gruppen unter Namen wie "Queers for Palastine" an den Protesten beteiligen. "Wobei einem das überhaupt nicht in den Kopf will: Wie sollten gerade sie ihr Anderssein in einem islamisch geprägten Land ausleben?", fragt Noam Petri.

Wo die Hamas den Status des Befreiers hat

Um es auf den Boxsport zu übertragen: In der "linken Ecke" stünden vor allem selbsternannte sozialistische Gruppen, bei denen der typische Klassenkampf noch gelebt und gedacht werde. Das reiche so weit, dass Gruppen wie die Hamas als Befreiungsorganisationen ein Existenzrecht gewährt werde - und damit Absolution erteilt oder zumindest Verständnis für deren Handeln entgegengebracht werde, mag es noch so grausam sein.

Wie derlei Kooperationen funktionieren, wie Studenten unter anderem mit Mitgliedern der Hisbollah zusammengebracht würden und welche Querverweise sich auf dem wie abseits des Uni-Campus finden lassen: Dafür tragen Sittig und Petri zahlreiche Belege zusammen. Die Kontakte reichen gerade in den USA weit hinein in die politische Klasse, unter anderem in die Partei der Demokraten und sogar in die UN, wo sich konträrste Kandidaten zusammenschlössen, die lediglich eines eint: der Hass auf das westliche System.

In Deutschland fehlt das Bewusstsein

Welche Folgen das für den aktuellen politischen Diskurs in Deutschland haben kann? Die Autoren stellen fest: Hierzulande fehle oft das Bewusstsein dafür, wie breit die Front der Gegner "unserer Art zu leben" leider sei. "Daher kommt der Antrieb für dieses Buch", sagt Franziska Sittig. "Wir zeigen, wie solche Allianzen aus scheinbar unvereinbaren Vertretern geschmiedet werden."

Die westliche Zivilisation stehe von zwei Seiten im Kreuzfeuer. "Die islamistische Seite tut das aus dem bekannten religiösen Beweggrund, die Woken mit einem merkwürdigen westlichen Selbsthass." Letztere zögen als Konsequenz aus der Geschichte, dass der Westen aufgrund seiner Verfehlungen keine Existenzberechtigung habe, weil er sexistisch, imperialistisch und ausbeuterisch sei.  Sittig: "Die woke Idee ist seit den 1960er-Jahren immer mehr in den Mainstream gerückt und etabliert dabei einen Schutzschirm für Islamisten."


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Die feindliche Übernahme werde nicht unmittelbarer Zukunft erfolgen, wohl aber sich über einen Zeithorizont 15 bis 20 Jahren auswirken. "Dann dürften die genannten Ideen breiten Raum greifen, wenn sie erst einmal durch die Universitäten und weiter in die Eliten gesickert ist."

Das unterfüttere en passant einen nicht mehr nur latenten, sondern real existierenden Judenhass. "Welche Form von Antisemitismus übersehen oder verharmlosen wir immer noch oder wieder? Leider fast alle Formen, vor allem jene, die sich in körperlicher Gewalt niederschlagen", sagen die Autoren. "Man stelle sich vor, man würde anderen Minderheiten wie etwa schwarzen Gruppen den Zutritt verweigern. Was ist dann? Es würde die Hölle losbrechen. Aber wenn es um die jüdische Gemeinschaft geht, haben wir bei unseren Recherchen in den Medien festgestellt: Es wird kaum oder nicht ausreichend genug adressiert."

Kein anderes Volk wie das israelische müsse sich einem derartigen Bewertungsspagat unterziehen. In den USA würden Juden mal als "Pigs" tituliert, also Schweine und Untermenschen, und andererseits attestiere man ihnen ein Dasein als Elite, die die Meinung und angeblich sogar das Wetter manipuliere.

Franziska Sittig: Achtsamkeit statt Gutgläubigkeit

Franziska Sittig leitet aus der Arbeit zu diesem Thema für sich ab: "Wer die Unis verliert, verliert seine Zukunft. Deswegen muss die Devise lauten: Achtsamkeit statt Naivität. Wenn jemand sagt ,Tod Israel,. Tod USA, Tod dem Westen - dann glaubt ihm genau das, denn es ist keine leere Drohung." Wir im Westen sollten zugleich Dankbarkeit zeigen "für das große Glück, dass wir hier in dieser Kultur aufwachsen und leben dürfen".

Solche Privilegien seien nicht selbstverständlich. Daher brauche es Mut, das Erreichte zu verteidigen und an die nächste Generation weiterzugeben. Vor allem und gerade an den Hochschulen als den Horten des Wissens abseits von Ideologien und religiös motiviertem Fanatismus.

Lobende Worte von Islamismus-Experten

In den ersten Bewertungen wurde die Schrift ausdrücklich gelobt. Lorenzo Vidino, ein Experte für Islamismus in Europa und Nordamerika, schreibt: "Sittig und Petri überzeugen durch eine bemerkenswerte Kombination aus Klarheit, moralischem Mut und akademischer Strenge. Insbesondere beleuchten sie die ideologischen und operativen Wechselwirkungen zwischen islamistischer und hyperprogressiver Politik, einem Phänomen, das weit über den Hochschulbereich hinausgeht und in intellektuellen, politischen und sicherheitspolitischen Kreisen auf höchster Ebene in ganz Europa intensiv diskutiert wird. Das Ergebnis ist eine bahnbrechende Studie, die breite Beachtung verdient."

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