Wir haben Frau Hesse gefragt, wie es ist, wenn man sich nach einer langen Beziehung und im fortgeschrittenen Alter trennt und wieder neu anfangen möchte? Und welche Rollen Dating, Familie, die eigene Attraktivität und Intimität spielen? Zuletzt gehen wir auch der Frage nach ob die Franken anders daten als der Rest der Republik.
Liebe Frau Hesse, mit welchen Beziehungsproblemen kommen Paare, aber vielleicht auch Alleinstehende ab 60 zu ihnen zur Beratung?
Eva-Maria Hesse: Ganz häufig kommen Paare zu mir, wenn tatsächlich ein gewisser Raum entstanden ist, um sich mehr um die Paarbeziehung oder um sich selbst zu kümmern. In den Jahrzehnten davor geht es oft um Themen wie die Kinder oder wo und wie wollen wir leben. Da spielt auch die berufliche Komponente eine große Rolle. Das heißt, es bleibt oft keine Zeit, sich um einen selbst zu kümmern oder eben die Beziehung zu hinterfragen und sich um diese zu kümmern.
Die Kinder sind aus dem Haus, man arbeitet vielleicht nicht mehr und hat wieder mehr Zeit für sich als Paar. Warum trennen sich gerade dann Paare nach langen Beziehungen?
Hesse: Dieses berühmte Empty-Nest-Syndrom taucht auf und die vorherigen Aufgaben fallen weg. Dieses sich Sorgen, dieses sich kümmern oder auch die berufliche Herausforderung sind oft mit einer Struktur verbunden. Strukturen geben immer einen gewissen Halt. Brechen diese dann weg, dann kommt es zu Unruhen in der Paarbeziehung. Dabei wird dann oft deutlich, dass die Paare miteinander sprechen verlernt haben. Was dann auch eine Rolle spielt, ist die Frage welche Rollen übernimmt jetzt jeder? Jeder hat Erwartungen an diesen neuen Lebensabschnitt und da wäre es wichtig, über unterschiedliche Bedürfnisse zu reden.
Wie können diese neuen Strukturen geordnet werden und welche Tipps können Sie Paaren in der Situation mit an die Hand geben?
Hesse: Ja, also es wäre wichtig, über die Bedürfnisse und Erwartungen zu sprechen. Wie stelle ich mir jetzt das Zusammenleben weiterhin vor, wenn beide mehr zuhause sind? Welche Bedürfnisse und Wünsche gibt es? Weswegen Paare auch oft zu mir kommen, ist die mangelnde emotionale Nähe und auch die mangelnde körperliche Nähe. Also das Thema Sexualität, Erotik spielt dann auch eine größere Rolle, weil sich auch hier was verändert.
Was ist, wenn es die Probleme nicht überwinden werden konnten und sich für die Trennung entschieden wurde. Viele Paare in diesem Alter haben Kinder oder Enkelkinder. Wie kann man der Familie behutsam erklären: „Mama/Oma und Papa/Opa sind nicht mehr zusammen“?
Hesse: Also erfahrungsgemäß ist es so, dass selbst wenn die Kinder 20 sind oder selbst wenn die Kinder 30 sind, die Nachricht, wir trennen uns, jetzt nicht unbedingt zu Freudensprüngen führt. Es ist auch für ein dreißigjähriges Kind eine Veränderung, nicht mehr die Eltern zusammen zum gleichen Zeitpunkt erleben zu dürfen. Diese Nachricht macht einfach traurig. Möglicherweise führt sie auch zu Widerstand, weil man halt den alten Zustand haben möchte und nichts verändern möchte. Und da muss man sich drüber im Klaren sein, dass eine Trennung aber zum Leben dazugehören kann. Und man sollte dann ins Vertrauen gehen und darauf bauen, dass in der Regel Menschen auch mit Verlust und Trennung umgehen können. Dann sollte man den Kindern und auch den Enkelkindern je nach Alter sagen: “Das Leben verändert sich, wir haben es wirklich versucht, Wege zu finden, um weiter miteinander durchs Leben gehen zu können, aber es gelingt uns nicht und wir bleiben nach wie vor Vater und Mutter oder Oma und Opa.”
Die Botschaft sollte sein, dass das Leben sich verändert, Menschen sich verändern, man es wirklich versucht hat, es aber leider nicht gelungen ist und deswegen kommt es zu diesem Schritt.
“Es wäre gut, sich zu trauen und ein bisschen was auszuprobieren. Einfach in den Kontakt zu gehen und dann sieht man weiter.
”

- Hier geht es zur Website von Eva-Maria Hesse.
Wie lerne ich jetzt mit 60 oder älter jemanden Neues kennen? Welche Vorteile gibt es durch die wachsende Bedeutung von Online-Singlebörsen?
Hesse: Also klar, das ist eine Möglichkeit, da jemanden kennenzulernen, ohne das Haus verlassen zu müssen und vermeintlich an einem sicheren Ort bisschen die Fühler auszustrecken. Allerdings ist das Rausgehen auch eine sehr, sehr gute Möglichkeit, um jemanden kennenzulernen. Vielleicht über den Sportverein oder übers Tanzen. Es gibt auch Singlereisen oder Angebote für Singles, wo man dann auch mal zusammen wandern geht. Also, dass man sich bemüht zu zeigen, damit man auch gefunden werden kann. Ältere Menschen haben vielleicht ein bisschen Hemmungen, was Dating-Apps anbetrifft. Dieses Selbstverständnis der jungen Leute, das ist bei vielen Menschen ab 60 allenfalls nicht da.
Partnersuche-ab-60.de ist die seriöse und kostenlose Dating-Plattform für alle Singles im Goldenen Alter, die auf der Suche nach neuen Begegnungen sind.
Welchen Vorteil bietet es, wenn man jemanden aus der Nähe kennenlernt? Also jemand der aus Franken kommt?
Hesse: Wenn man über eine Dating-Börse den Erstkontakt herstellt, dann kann man sich schnell auch mal in einem Café treffen. Für viele Menschen ab 60 ist es einfacher, das Feeling zu spüren, wenn die Person gegenübersitzt. Über die Medien zu kommunizieren, ist noch nicht so selbstverständlich, wie das bei vielen jungen Leuten ist. Zumal Menschen ab 60 oftmals nicht mehr diese Flexibilität und diese Spontanität mitbringen.
Welche Fragen sollte ich mir stellen, wenn ich jemanden neu kennenlerne? Gibt es Unterschiede zum Dating in den 20ern?
Hesse: Wenn man sich dann tatsächlich trifft, dann kommt es zu dem Punkt, welche Gedanken und Erwartungen sind im eigenen Kopf. Worum geht es einem bei dieser Begegnung? Also die Fragen, welche Bedürfnisse habe ich in Bezug auf eine neue Beziehung, gerade was das Bindungsthema anbetrifft.
Bin ich auf der Suche nach einer neuen Partnerin oder einem neuen Partner, um gemeinsame Zeit zu verbringen und quasi nicht allein zu sein? Geht es mir um Aktivitäten, aber weiterhin möchte ich allein in meiner Wohnung sein und mir meine Selbstständigkeit bewahren? Oder ist mein Ziel noch mal mit jemanden zusammenzuziehen und wirklich dieses bis ans Lebensende zu haben und vielleicht sogar noch mal heiraten?
Man sollte sich seine Gedanken machen und diese Bedürfnisse dann auch äußert.
Woher weiß ich dann, dass das die Person ist, mit der ich alt werden möchte, wie man so schön sagt?
Hesse: Ich glaube, das ist keine Frage, die jetzt besonders mit 60 oder mit 30 relevant ist. Ich denke, es ist natürlich ganz stark dieses Liebesgefühl, das da sein muss. Man muss sich von der anderen Person einfach gesehen und geliebt fühlen. Und wenn das der Fall ist, dann ist es der Schritt in die richtige Richtung. Generell sollten grundsätzliche Fragen geklärt werden und wenn die gut besprochen sind und es dann matched, dann ist es vielleicht tatsächlich die richtige Person.
Welche Rolle spielen beim Kennenlernen dann auch das eigene Selbstbild, Unsicherheiten oder die Sorge um die eigene Attraktivität, wenn man lange nicht mehr gedatet hat?
Hesse: Natürlich kommt es immer ein bisschen drauf an, warum bin ich allein oder warum es eine Trennung gab. Habe ich meine Partnerin oder meinen Partner durch den Tod verloren, dann ist es eine andere Thematik, als wenn eine Trennung gab. Das hat oftmals Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl. Wenn man verlassen wurde oder betrogen wurde, dann gibt es schon oft ein Knacks. Dann geht man möglicherweise geschwächter in eine neue Beziehung oder ist empfindlicher beim Vertrauensthema.
Und wenn man dann natürlich sich auf die Suche nach einer neuen Partnerin oder einem neuen Partner macht und dann eine Ablehnung bekommt, dann zieht es einen vielleicht nochmal zusätzlich runter. Da muss man sich darüber im Klaren sein, dass nicht jedes Date matched, aber dass man hier einfach achtsam und mitfühlend mit sich selbst ist und sich nicht in so ein Strudel reindreht.
Haben Sie Tipps für Menschen, die sich mit ihrem Selbstbewusstsein oder ihrer Attraktivität schwertun?
Hesse: Wenn man merkt, dass man da nicht so gut aufgestellt ist, kann man sich natürlich Unterstützung von außen holen durch Therapeuten, um wieder mehr in seine Kraft und Stabilität reinzukommen. Sich auf Fähigkeiten besinnen: Worauf bin ich stolz, was kann ich gut, was erfüllt mich selbst auch mit Leidenschaft.
Es ist wichtig, dieses gesunde und gute Eigenleben zu entwickeln. Worauf habe ich Lust, was reizt mich und möchte ich ausprobieren. Da kommt dann eine Lebendigkeit und eigene Leidenschaft wieder hoch, was dann auch für andere attraktiv macht, aber eben auch für einen selbst.
Wenn ich jetzt wieder anfange, Leute kennenzulernen. Wie schaffe ich es, auch im Alter, wieder einer Person zu vertrauen und eine neue Beziehung aufzubauen?
Hesse: Indem man mutig bleibt, sich immer wieder auch neu einzulassen und Schritt für Schritt in der Achtsamkeit bleibt: Wie fühlt sich das gerade für mich an. Was fühle ich, was denke ich, was brauche ich und das dann natürlich auch gut zu kommunizieren. Und wenn sich etwas nicht gut anfühlt, dann Konsequenzen draus ziehen und im Vertrauen ganz stark versuchen, mit sich selbst in sich selbst zu bleiben.
Ein weiterer Punkt beim Kennenlernen oder auch schon vorher bei der Trennung ist Körperkontakt. Welche Rolle spielen Intimität und Sexualität im Alter?
Hesse: Mit 60 verändert sich der Körper oder hat sich da verändert. Wechseljahre, Lustempfinden, aber auch gewissen Ängste sind da große Themen. Je mehr man im Selbstvertrauen ist, umso besser, weil dann wirke ich auch selbstbewusster und bin mehr in meiner Mitte.
Ein Punkt, wo man vielleicht sich auch noch mal weiterentwickeln könnte, ist, welche Erfahrungen habe ich bisher gemacht in puncto Erotik und Sexualität. Was waren gute Erfahrungen, was waren vielleicht nicht so gute Erfahrungen. Hier wird wenig ehrlich miteinander gesprochen. Und das ist in Beziehungen so, wo die Menschen jünger sind, aber das ist auch bei älteren Menschen der Fall.
Ich finde, es ist einfach wichtig, körperlich miteinander zu sein, einen zärtlichen Umgang zu haben und vor allem auch diese Liebespaarebene zu versorgen. Dass man sich als Frau und Mann wahrgenommen fühlt. Da kann man unheimlich viel tun, völlig fernab vom Sexualakt. Wichtig ist, dass Dates ausgemacht werden, man sich attraktiv für die andere Person macht, sodass man sich begehrenswert fühlt und da eben auch was dafür tut. Es geht gar nicht so sehr um Sex haben als solches, sondern eben um begehrt werden und diese Sinnlichkeit im Sinn von Zärtlichkeit.
Wir gehen jetzt davon aus, dass es funktioniert hat und es eine neue Person im Leben gibt. Dann kommt eine ähnliche Frage wie zu Beginn: Wie sage ich meinen Kindern oder Enkelkindern, dass es wieder einen Partner oder eine Partnerin an meiner Seite gibt?
Hesse: Also dass man einfach die Menschen, die einem wichtig sind, an seinem Leben teilhaben lässt, an den Gedanken, an den Gefühlen und dazu gehört auch ein neuer Partner oder eine neue Partnerin. Dass man da einfach langsam so Schritt für Schritt für Begegnung sorgt und mal was miteinander unternimmt. Und nicht gleich sofort ein Riesending daraus macht, sondern vielleicht mal ein bisschen unkomplizierter.
Um das ganze zusammenzufassen: Haben Sie einen Rat für Singles, die sich nach einer langen Zeit getrennt haben oder es überlegen zu tun, um sie für den Neuanfang zu ermutigen?
Hesse: Einfach offen bleiben und sehr achtsam, was die eigenen Gedanken und Gefühle anbetrifft. Wie fühlt es sich an, wenn ich mit meinem Gegenüber zusammen bin, fühlt es sich gut an oder nicht so gut. Und dann eben auch gegebenenfalls die Konsequenzen draus ziehen. Man sollte sich Zeit lassen und gut bei sich bleiben, um dann auch gute Entscheidungen treffen zu können, auch wenn man denkt, dass man diese Zeit mit 60 nicht mehr hat. Genau das ist der Fehler.
Zum Abschluss noch eine Frage für unsere fränkischen Leser: Glauben sie, dass Leute aus Franken anders Daten als aus anderen Regionen? Können Sie unseren Lesern einen guten Tipp geben?
Hesse: Ich könnte mir vorstellen, dass sich die Franken ein bisschen schwerer tun. Hier wird oft gesagt: “Ned gschimpft isch globt gnua” oder auch, dass die Franken ein wenig Mundfaul sein. Da glaube ich, haben es manch andere Bundesländer einfache. In anderen Regionen quatschen die Leute einfach drauf los oder halten mit jedem ein bisschen Smalltalk.
Mein Rat wäre, einfach ein bisschen unkomplizierter zu sein und nicht so schnell zu bewerten. Auch mal offener für das ein oder andere zu sein.









