Seine letzte Woche war außergewöhnlich und bemerkenswert. Erich Bilek wusste, dass er bald sterben wird. Eine andere Erklärung gibt es für seine letzten Taten nicht.
Er hat sich am Telefon von einer Handvoll bester Freundinnen und Freunden leise, aber mit klaren Worten verabschiedet. Seiner vertrauten Nachbarin Rosemarie, die ihn in den letzten fünf Jahren liebevoll mit pflegte, gab er einen Tag vor seinem Tod noch ein Geschenk.
Per Whatsapp schickte er eine bewegende Sprachnachricht an seinen Enkel, schwärmte dabei von alten Handballzeiten und teilte Fabian einige Wünsche für seine Beerdigung mit. Seinem Sohn Ralph sagte er schließlich am Sonntag im letzten gemeinsamen Gespräch: „Den Mittwoch erlebe ich nicht mehr...!“
Und so ist es jetzt auch gekommen. Erich Bilek ist tot. Der Coburger „Handball-Papst“ schlief in der Nacht von Montag auf Dienstag in seinem Bett zu Hause im Rödentaler Tulpenweg 8 friedlich ein. Er wurde 95 Jahre alt.
Wenn sich Erich Bilek in den zurückliegenden neun Jahrzehnten etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann musste das auch so gemacht werden. In den allermeisten Fällen klappte es. Er war ein liebevoller Sturkopf. Ein treu sorgender Familienvater. Ein Handballfanatiker. Zuletzt ließen seine Beharrlichkeit, sein Durchsetzungsvermögen nach, seine Kräfte schwanden.
Erich Bilek: Mit dem Tod einig ...?
Dass er sich allerdings sogar mit dem Tod einig war und scheinbar genau wusste, wann er gehen muss, verblüfft. Doch genau dieser Umstand ist auch ein Trost für seine Familie. Erich Bilek war viele Jahre glücklich mit seiner Frau Carola verheiratet. Beide hatten drei Kinder. Detlev, Ralph und Iris. „Er hat auch mir nochmals genau erklärt, wie seine Beerdigung über die Bühne gehen soll“, sagt Ralph.
„Mein Vater will eine Erdbestattung und das Ave Maria soll unbedingt zu hören sein.“ Die Todesanzeigen in den beiden Tageszeitungen müssten gar nicht so groß sein, schließlich war Erich Bilek nach eigenen Worten ein „Sparfuchs“. Ein Nachruf im Sportteil würde vollkommen reichen. „Er hatte auch klare Vorstellungen, wer diese Zeilen nach seinem Tod verfassen soll“, so der Sohn.
Erich Bilek war mit Leib und Seele Buchhalter, von 1959 bis 1983 erst bei der Firma Griebel in Scheuerfeld, anschließend bei Glas Müller am Güterbahnhof, ehe er ins Tiefbauamt der Stadt Coburg wechselte.
Als Verwaltungsleiter im städtischen Schlachthof arbeitete er bis zu seiner Pensionierung am 1. Januar 1995. Doch ganz egal, wo er beschäftigt war, seine Gedanken drehten sich stets um den geliebten Handballsport. „Sogar im Urlaub war die Schreibmaschine dabei. Und auch der alte Matrizendrucker musste mit. Lieber einen Koffer weniger“, erinnert sich Ralph Bilek an seine Jugendzeit.
Ein ganz besonderer Tag
Der 16. November ist für die Bileks ein ganz besonderer Tag. Am 16. November 1994 wurde Erich Bilek Opa. 30 Jahre später, am 16. November 2024, starb seine geliebte Tochter Iris. Als der „Handball-Narr“ von seinem stolzen Sohn am Telefon erfuhr, dass Fabian soeben geboren und er doch jetzt Opa sei, reagierte Erich Bilek in einer für ihn typischen und unnachahmlichen Art und Weise: „Das ist schön. Aber hast Du auch das Pokalbild vom TV Neuses gemacht? Das brauchen wir unbedingt ...“
Einen besonderen Tag erlebte Erich Bilek auch im Mai dieses Jahres, als er anlässlich des 25. Jubiläums des HSC Coburg in seinem Rollstuhl auf die Platte in der Arena gerollt wurde. Im Kreis seiner damaligen Mitstreiter, mit denen er den Klub allen Widerständen zum Trotz aus der Taufe gehoben hatte, genoss er das Bad in der Menge. Er überreichte mit Tränen in seinem von Sorgenfalten gezeichneten Gesicht zum ersten und nun auch zum letzten Mal den „Iris-Bilek-Gedächtnispokal“.
Schlaganfall 2020
Nach einem Schlaganfall 2020 ging es mit Erich Bilek körperlich rapide bergab. Er lag fast nur noch im Bett. Mit einem sogenannten Hebelifter und unter großer Anstrengung von Helfern wurde er vom Bett in den Rollstuhl gesetzt. „Aber geistig war er bis zum letzten Tag 100 Prozent fit“, sagt seine Schwiegertochter Petra, die sich vor allem nach dem Tod von Iris Bilek kümmerte.
Erich Bilek war es besonders wichtig, am Todestag seiner Tochter noch einmal am Grab zu sein. Auch dieser Wunsch wurde dem greisen Jahrhundertzeugen, der am 12. Februar 96 Jahre alt geworden wäre, von seinen Söhnen noch erfüllt.
Es wäre mühselig, all die Verdienste und die dafür erhaltenen Ehrungen des Verstorbenen rund um den Handballsport aufzuzählen. Als langjähriger, gewissenhafter und stets treuer Mitarbeiter in den Sportredaktionen der beiden Coburger Tageszeitungen kämpfte er um jede Spalte und versuchte immer, den Handball in den Mittelpunkt zu stellen.
Der ehemalige Sportredakteur Volker Gundel erinnert sich: „Als Erich jeden Sonntagabend mit Aktentasche unter dem Arm in die Redaktion kam, Iris mit ihrer kleineren Tasche dahinter, habe ich ihn immer heimlich ob seiner Zähigkeit und Ausdauer in Sachen Handball-Journalismus bewundert.“
Als Bezirksvorsitzender hat Bilek ohne Rücksprache einfach eine zusätzliche Spielklasse eingeführt, um Talenten mehr Spielpraxis zu ermöglichen und somit den Weg nach oben zu erleichtern. Erich Bilek war aber nicht nur über 60 Jahre ehrenamtlicher Berichterstatter und Funktionär aus Leidenschaft, er war früher auch selbst Spieler und Schiedsrichter.
Höhepunkte seiner langen und verdienstvollen Laufbahn waren neben zahlreichen Engagements bei der Coburger Turnerschaft oder später beim HSC 2000 die Spielleitertätigkeit im Kreis Coburg sowie die langjährige Tätigkeit als Bezirksvorsitzender des Bezirks Oberfranken.
Bundesverdienstmedaille
Bilek gehörte dem erweiterten Präsidium und dem Verbandsgericht beim Bayerischen Handballverband (BHV) an. 1998 wurde er Ehrenvorstand des Bezirks Oberfranken und seit 1999 auch Ehrenmitglied des BHV. Stellvertretend für seine große Zahl an Ehrungen und Auszeichnungen steht das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland. Typisch Erich: „Der Bayerische Verdienstorden wäre mir lieber gewesen.“
Ob es Zufall ist, dass der Mitgründer des heutigen Zweitligisten HSC 2000 Coburg ausgerechnet am ersten Jahrestag der Urnenbeisetzung seiner im November letzten Jahres verstorbenen Tochter Iris Bilek starb? Fakt ist jedenfalls, dass jetzt beide wieder vereint sind und mit Argusaugen von oben in die HUK-Arena blicken.
Sie werden zusammen fluchen und schimpfen, wild über die eine oder andere Schiedsrichter-Entscheidung diskutieren und bestimmt das beste Foto – dann aus der Vogelperspektive – heraussuchen. Gut möglich, dass Iris und Erich nach dem nächsten Sieg ihrer „Gelb-Schwarzen“ dann gemeinsam einstimmen: „Heut ist so ein schöner Tag …“
Christoph Böger











