Tradition oder Wahn
Stärk' antrinken: Wie gefährlich sind zwölf Bier?
Stärk' antrinken
Sind zwölf Seidla Bier an einem Tag noch normal? Franken diskutiert über Tradition und Irrsinn.
Micho Haller
Bastian Sünkel von Bastian Sünkel Fränkischer Tag
Bamberg – Ein Seidla für jeden Monat: Brauch oder Missbrauch? Experte Markus Raupach warnt vor heftigem Bierkonsum und gibt einen Profi-Tipp für den Dreikönigstag.

Ist es noch Tradition oder schon Alkoholismus? Ein vor allem in Oberfranken verbreiteter Brauch sorgt für volle Wirtshäuser und veranlasst Außenstehende zum Kopfschütteln. Ein Bier für jeden Monat soll Kraft fürs ganze Jahr geben. Das "Stärk' antrinken", "Stärk' o'trinken" oder "Stärk' rein trinken" ist der wahrscheinlich promillereichste Brauch in Deutschland. In manchen Gegenden ist es sogar verbreitet, Bockbier zu trinken. Ein Marathon für die Leber.

In Bamberg, Lichtenfels, Kulmbach, Forchheim und vielen anderen fränkischen Landkreisen wird das "Stärk' antrinken" in Kneipen, Wirtshäusern und Vereinsheimen beworben  –  schon zum Frühschoppen. Viele Gäste kommen mit einem Ziel: zwölf Bier an einem Tag zu trinken. Menschen nahe an der Alkoholvergiftung? Wie gefährlich kann das sein?

Das Gesundheitsministerium warnt vor dem Vollrausch

Das Bayerische Gesundheitsministerium äußert sich auf Anfrage unserer Redaktion mit der klassischen Warnung vor übermäßigem Alkoholkonsum: "Jährlich sterben in Deutschland mehrere zehntausend Menschen vorzeitig infolge ihres Alkoholkonsums, mehrere hunderttausend müssen im Krankenhaus behandelt werden." Das Ministerium fordert einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol. Das ist nicht weiter überraschend.

Aber wie steht jemand dazu, der Bier kennt und sogar sein Geld damit verdient? Der Bamberger Markus Raupach ist nicht nur Experte für Biersorten und -geschmack, Teil seiner Ausbildung zum Biersommelier war auch eine Gesundheitsschulung. Er warnt wie das Ministerium davor, zu viel Alkohol in kurzer Zeit zu konsumieren. Aber geht die Frage nicht noch weiter? Ist das "Stärk' antrinken" noch Tradition oder schon Wahnsinn? Wir haben nachgefragt.

Herr Raupach, was können Sie über die Geschichte der Tradition des "Stärk' antrinkens" erzählen?

Markus Raupach: Soweit ich weiß, gibt es keine wirkliche Tradition außer der, sich regelmäßig ordentlich zu betrinken und einfach alle dafür irgendwie passenden Daten herzunehmen… 

Ein durchleuchtender Blick: Markus Raupach, Biersommelier und geborener Bamberger, erklärt, wie man bei der Verkostung strategisch vorgeht.
Biertrinken als Genuss, nicht als Rauschwerkzeug: Biersommelier Markus Raupach aus Bamberg warnt zum "Stärk' antrinken" vor übermäßigen Bierkonsum.
Matthias Hoch

Zum „Stärk' antrinken“ heute: Wie wird die Tradition begangen? Was sind die „Hotspots“?

Die Hotspots sind sicherlich die Brauereien und Traditionswirtschaften, teilweise auch Vereinsheime oder andere Orte der Geselligkeit. Gerade Vereine nutzen das als Möglichkeit, einen gemeinsamen „Auftakt“ für das neue Jahr zu begehen. Zum Beispiel das Brauereimuseum auf dem Michaelsberg, wo sich traditionell alle Mitglieder am 6.1. treffen.

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Wie gefährlich ist es aus Ihrer Sicht, zwölf Bier an einem Tag zu trinken?

Grundsätzlich sollte man keine zwölf Bier an einem Tag trinken. Wenn wir die Empfehlung der WHO zugrunde legen, sollten Männer maximal einen halben Liter und Frauen einen viertel Liter normalstarkes Bier am Tag trinken, um einen „unbedenklichen“ Alkoholkonsum zu haben. Außerdem sollte man regelmäßig Tage ohne Alkoholgenuss einlegen, um der Leber auch Zeit zur Regeneration zu geben. Das ist für viele Franken schwer mit der „gelernten“ Lebenswirklichkeit vereinbar. 

Gibt es weitere Gefahren?

Neben den negativen Wirkungen des Alkohols sollte man auch berücksichtigen, dass es einige Zeit dauert, bis sich der Alkohol wieder abgebaut hat. Wenn wir mal davon ausgehen, dass ein 30-jähriger Mann über den Tag verteilt zwischen 10 und 22 Uhr tatsächlich zwölf Seidla mit 5% Alkoholgehalt trinkt, hat er am nächsten Morgen um 10 Uhr immer noch deutlich über ein Promille Alkohol im Blut. Das bedeutet drei Punkte in Flensburg, Fahrverbot und eine empfindliche Geldstrafe, wenn man in eine Polizeikontrolle gerät. Also sollte man durchaus auch den nächsten Tag in seinen Stärke-Antrinken-Plan miteinbeziehen.

Welche Tipps haben Sie für einen Dreikönigstag ohne Vollrausch?

Ich trinke an solchen Tagen in der Regel maximal drei Seidla und mache dann am nächsten Tag eine Alkoholpause. Außerdem wechsle ich gerne ab und nehme „zwischen den Bieren“ ein alkoholfreies Getränk, dann funktioniert das auch über einen längeren Zeitraum sehr gut, ohne dass man verdurstet.

Gehört zur fränkischen Kultur zwangsweise Bier?

Für mich geht es um die Kultur, die mit jeder Brauerei und der Atmosphäre im Wirtshaus verbunden ist. Das kann ich mit und ohne Alkohol genießen. Geselligkeit ist hier das Stichwort. Insofern gibt es kein Hindernis, auch mit einer Apfelschorle die Tradition des Stärke Antrinkens zu leben.

"Denn nur so werden wir langfristig Spaß haben"

Hier sind wir alle aufgefordert, einen geistigen Schwenk weg vom mehr oder weniger zwingenden Alkoholkonsum hin zur einer gemütlichen Genuss- und Wirtshauskultur zu machen. Denn nur so werden wir langfristig Spaß daran haben. Jeder soll nach seiner Façon selig werden, das gilt auch für die Wahl des Getränkes.

Wenn man sich schon "Stärk' antrinkt": Muss es zwangsweise Starkbier sein?

Auf keinen Fall. Hier gibt es glücklicherweise keine Vorschriften – und viele Bockbiere sind auch bereits ausgetrunken und sowieso nicht mehr zu haben.

Wie feiern Sie eigentlich den 6. Januar?

Normalerweise gehe ich gerne zu der Veranstaltung des Brauereimuseums. Ich war dort viele Jahre als Vorstandsmitglied aktiv und kenne alle gut. Dieses Jahr gibt es allerdings eine Ausnahme. Ich treffe mich mit meinen besten Freunden und verbringen zwei Tage mit guter Unterhaltung, Brettspielen und vielleicht auch einem Bier.


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