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Weihnachtsampelmännchenbier
Weihnachtskrimi: A roder Doder, mittn aufm Schönleinsplatz
Weihnachtskrimi 2022
 // Micho Haller
Signet des Fränkischen Tags von Helmut Vorndran
Bamberg – Bambergs Bürgermeister liegt plötzlich reglos in der Gaststube auf dem Boden. Der mutmaßliche Täter mit erhobener "Waffe" über ihm. Der Wirt und seine Gäste reagieren auf ihre ganz eigene Art und Weise, bevor es schließlich zu einer Auferstehung mitten in der Stadt kommt. Unser Weihnachtskrimi 2022.
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Der 24. Dezember fühlte sich für Uwe Kieselhauer in diesem Jahr überhaupt nicht wie Heiligabend an. Von weihnachtlicher Ruhe keine Spur, ganz im Gegenteil. Erst hatte der Wirt des Engala vormittags eine Bierverkostung für eine Gruppe fränkischer Biersommeliers hinter sich gebracht und jetzt musste er auch noch alle Türen in seiner Wirtschaft streichen. Mit grimmigem Gesicht klatschte er die knallrote Farbe mit seinem dicken Pinsel gegen die verschlissene Oberfläche des Türstockes, aber es half ja alles nichts. Eine Ehe brachte nun einmal die eine oder andere Misslichkeit mit sich, vor allem dann, wenn Frauchen mit dem Charme eines Leopard-Panzers eindeutige Ansagen machte.

Die Bagage zu einem kostenlosen Umtrunk eingeladen

„Bis Heilichabend sin die Düren gstrichen Uwe, und zwar schö grau, sonst glabberds im Kardong!“, hatte Frau Kieselhauer die unmissverständliche Erwartung an ihren Gatten geäußert. Das war gestern gewesen, also war die zeitliche Umsetzung der beziehungstechnischen Befehlslage einigermaßen ambitioniert. Dazu hatten diese fränkischen Brauereitester sein neuestes Bier mehr oder weniger in die Tonne getreten. Da es ein thüringisches Rezept war, hatte der Wirt als Etikett extra ein rotes Ampelmännchen auf schwarzem Grund anfertigen lassen. Diese Ignoranten erklärten ihm jedoch, dass man ein Bier, selbst wenn es die Krönung der fränkischen Brauschöpfung darstellen sollte, wegen eines solchen Etikettes ja sofort ablehnen müsse, und zwar aus patriotischen Gründen, hatte sich beispielsweise Sommelier Hirnbacher aus Bad Kissingen geäußert. Um Schlimmeres zu verhindern, hatte Uwe Kieselhauer die ganze Bagage zu einem kostenlosen Umtrunk in den Nebenraum eingeladen, wo sie jetzt immer noch saßen und soffen. 

Der Wirt betrachtete missmutig den knallroten Pinsel in seiner Hand. Nichts war einem gedeckten Grau unähnlicher, aber im Keller war nur noch dieser alte, rote Lack zu finden gewesen. Da musste seine Frau jetzt eben ein paar optische Kompromisse machen, basta.

Der Bürgermeister mit einer gewaltigen Platzwunde am Kopf

„Frohe Weihnachten, Uwe“ tönte urplötzlich eine kräftige, männliche Stimme hinter dem gestressten Wirt. Kieselhauer erschrak derart, dass er seinen Körper mit der Geschwindigkeit eines Hubschrauberrotorblattes herumschwang. Als Ergebnis wurde die alte Holztür, die gegenüberliegende Wand sowie die beiden vor ihm stehenden Männer mit einer exakt waagrechten, roten Linie auf etwa Nabelhöhe beglückt. Mit dem Blick des gehetzten Waldaffen starrte der Wirt den Bürgermeister seiner Stadt, Andreas Laschmann, sowie den Chef des Stadtmarketings, Klaus Ochsinger, an, die beide leicht irritiert die rote Tröpfchensignatur auf ihren Anzügen betrachteten. Ach Gott, die beiden hatten ja den Saal gebucht, weil sie ein vertrauliches Gespräch führen wollten, aber da saßen ja jetzt die fränkischen Biertester.

„Mir müssen umdisponieren, Herrschaften. Der Nebenraum is voll, aber ihr döffd da nei.“, meinte Uwe Kieselhauer und deutete Richtung Gastraum. Sekunden später schlossen die politischen Persönlichkeiten die Tür der Gaststube hinter sich und der Wirt tauchte seinen riesigen Pinsel in stiller Verzweiflung erneut in die unerschöpflichen Tiefen seines Farbeimers. Die Tür sollte jedoch unbestrichen bleiben, denn plötzlich war ein gellender Schrei aus der Gaststube zu hören. Mit dem Pinsel in der Hand stürmte der Inhaber des Engala hinein und blieb sofort wie angewurzelt stehen. Zwischen den Tischen lag regungslos Bambergs Bürgermeister, mit einer gewaltigen Platzwunde am Kopf auf dem frisch gewischten Boden. Über ihm, der Leiter des Stadtmarketings, Klaus Ochsinger, mit geröteten Gesichtszügen und einem abgebrochenen Stuhlbein in der Hand. Kieselhauer war kein Arzt, aber der Bürgermeister wirkte ziemlich tot. Der Wirt des ältesten Gasthauses in Bamberg war ob dieses Anblickes absolut fassungslos. 

"Das ist kein Mord Uwe"

„Mei Stuhl ... des war mei bester Stuhl.“, stammelte er hilflos, bevor er begriff, dass sein demoliertes Möbel womöglich das kleinste Problem darstellte.

„A Mord!“ rief er jetzt laut mit erhobenem Pinsel, aber Klaus Ochsinger schüttelte nur grimmigen Blickes den Kopf.

„Das ist kein Mord Uwe das ist eine parteiinterne Angelegenheit“, tönte er mit funkelnden Augen, was den aufgelösten Wirt aber nur wenig zu überzeugen wusste. 

„Red doch kan Quatsch, Ochsinger, der is hie, mir müssen die Bolizei rufen, sofford!“ rief der aufgeregte Wirt. 

„Der is doch eh scho dod“

„Na...“, war nun eine weitere Stimme hinter ihnen zu vernehmen.

„Euer Bürchermasder hat doch eh scho dauernd die Justiz am Hals. Jetzt widder Bolizei, des bringt den doch um“, sinnierte Biersommelier Mönch aus Kulmbach laut vor sich hin.

„Der is doch eh scho dod.“, widersprach ihm Rafael Neider aus Forchheim danebenstehend und nahm einen Schluck aus seinem Krug. Kieselhauer konnte es nicht glauben. Hatten diese Idioten nichts Besseres zu tun, als die Katastrophe vom Spielfeldrand aus biersüffelnd zu kommentieren? 

„So kann des jedenfalls ned bleiben, Uwe. A Doder had in aaner Wirtschaft nix verlorn, über Weihnachden gleich gar ned. Die machen dir gladd bis Dreikönich alles dichd!“ mahnte jetzt Willi Scharpf aus Heilgersdorf mit erhobenem Zeigefinger. Kieselhauer starrte ihn nur wortlos an, dann dämmerte auch ihm die fatale Erkenntnis. Entschlossen deutete er mit tropfendem Pinsel auf den liegenden Laschmann.

„Der da muss fort!“, rief der Wirt des Engala aufgeregt fuchtelnd, was zu weiteren, roten Tropfenmustern im Raum führte. Dann fiel Kieselhauers Blick auf eine der Ampelmännchenflaschen und er hatte endlich die rettende Eingebung.

„Mir hocken uns etzerd amal da her und trinken an Schnaps, bis draußen dunkel is. Und nacherd bringa mir den wo na, wo der erscht amal ned auffälld“, erklärte er bestimmt. „Wer is dafür?“ stellte der Wirt des Engala umgehend die Frage und sofort hoben sich Hände und ein Pinsel zustimmend.

Die roten Figuren umrahmten einen bewegungslosen Mann

Die Schwestern Walpurgis und Adelgunde Schober waren auf dem direkten Weg zur Christmette im Dom, als ihnen beim Gang über den Schönleinsplatz etwas Seltsames auffiel.

„Guck amal Adel, die Scheißerla ham Zuwachs grichd“, verkündete die 73-jährige Adelgunde und deutete mit ihrem Gehstock zu den roten Skulpturen auf der Rasenfläche. Als sie sich zu besagter Stelle begaben, staunten sie nicht schlecht. Die roten Figuren umrahmten einen bewegungslosen Mann, der komplett in roter Farbe lackiert und mit ausgebreiteten Armen, auf dem Rücken zwischen den Hockenden lag, die ihn höchst interessiert betrachteten. 

„Kört des so?“, stellte Adelgunde Schober mit mürrischem Unterton fest, auch Walpurgis zeigte sich wenig begeistert.

„Vielleichd is des widder Kunst. A Ampelmännla aus der DDR.“ Kopfschüttelnd betrachtete Walpurgis Schober diese aus ihrer Sicht äußerst unpassende Installation. Ihre Schwester Adelgunde stocherte derweil prüfend mit ihrem Gehstock an dem Regungslosen herum.

„Endweder a Schauschbieler - oder der is dod. Aber a roder Doder, mittn aufm Schönleinsplatz, an Heilichabend, des bassd doch ned“, stellte sie verärgert fest und ihre Schwester nickte zustimmend. Zu weiteren Feststellungen kam es indes nicht, denn der rote Tote begann, sich plötzlich zu bewegen und mit lautem Stöhnen unbeholfen aufzurichten. 

Der Bürgermeister und die Auferstehung an Heiligabend

„Jesus Maria“, riefen die entsetzten Schwestern und bekreuzigten sich, da sie nun erkannten, wer hier vor ihnen stand.

„Ich werd verrückt, der Bürchermasder, und der lebd!“ rief Walpurgis Schober entsetzt und deutete hektisch auf den Gehstock ihrer Schwester, die selbigen schon drohend erhob.

„Hau zu Adelgunde, aber richtich!“, befahl die 73-Jährige, aber der Auferstandene hob bereits höchst verwirrt seine Hände.

„Ich akzeptiere den Strafbefehl“, krächzte Laschmann heiser und drückte jeder der verblüfften alten Damen einen mit roter Farbe verschmierten 500 Euro Schein in die Hand. 

„Frohe Ostern!“ gab der verwirrte Bürgermeister noch von sich, bevor er unsicheren Schrittes in Richtung Innenstadt verschwand. Walpurgis und Adelgunde Schober schauten dem Ampelmann noch einige Sekunden staunend hinterher, bevor sich die beiden alten Damen hocherfreut auf den Weg zur Christmette im Dom machten, um dem Herrn für seine weihnachtliche Gnade zu danken.

- ENDE -

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