Manchmal sitzt Amelie Fuchs vor einem Stapel ungeöffneter Briefe. Es sind nicht ihre, sondern die ihrer Klienten. An manchen klebt die Angst, den Schuldenberg nicht mehr bewältigen zu können.
Die Sozialpädagogin arbeitet in der Präventionsstelle der Stadt Bamberg und ist oft die letzte Rettung für Menschen, die kurz davor stehen, ihr Zuhause zu verlieren. Sie hilft, wenn Mieten ausstehen und fristlose Kündigungen oder Räumungen bevorstehen.
Doch immer häufiger wenden sich auch Menschen an sie, denen die steigenden Energiepreise und die prekäre Wohnungssituation in Bamberg zu schaffen machen.
„Einige unserer Klientinnen und Klienten müssen hohe Nachzahlungen leisten, die sie nicht bewältigen können. Wir haben seit dem Jahresbeginn einzelne Gas- und sehr viele Stromsperrungen gemeldet bekommen“, erzählt Amelie Fuchs. „Ich bekomme immer wieder Anrufe von Eltern, die zum Beispiel sagen: ,Wir sind beide berufstätig und haben jetzt eine hohe Nebenkostennachzahlung gekriegt. Woher sollen wir das Geld nehmen?‘“
Allein bei den Stadtwerken Bamberg hat es 2024 im Versorgungsgebiet vereinzelt Gassperrungen und über 300 Stromsperren gegeben. „Die Sperrung des Stromzählers ist unser allerletztes Mittel der Wahl, vorher versuchen wir, mit den Kunden eine Lösung zu finden“, sagt Pressesprecher Jan Giersberg.
„Das Schlechteste, was man machen kann, ist Mahnungen zu ignorieren und zu hoffen, dass es besser wird.“ Er empfiehlt, sich bei Engpässen früh mit den Stadtwerken, dem Jobcenter oder dem Sozialamt in Verbindung zu setzen. In solchen Fällen kommt auch Amelie Fuchs zum Einsatz.
Sie strickt individuelle Lösungen
Das primäre Ziel der Präventionsstelle ist es, den Wohnungserhalt von Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu sichern und Wohnungs- sowie Obdachlosigkeit zu vermeiden. Die Anlaufstelle, die im Amt für soziale Angelegenheiten der Stadt Bamberg angesiedelt ist, gibt es seit 1984. „Lange bevor das in Deutschland im Kommen war“, erzählt Amelie Fuchs, die seit drei Jahren für Menschen individuelle Lösungen strickt und Hilfen vermittelt.
Gibt es Wohngeldanspruch, der nicht geltend gemacht wurde? Könnte das Bürgergeld beantragt oder aufgestockt werden? „Oft geht es darum, die Menschen an die Leistungen heranzuführen, die ihnen zustehen und wovon sie möglicherweise gar nicht wissen – und dann die Antragstellung zu begleiten.“
Präventionsstelle Bamberg leistet aufsuchende Hilfe
Amelie Fuchs könne nachvollziehen, wenn Menschen den Kopf in den Sand stecken. Denn manchmal sei es selbst für Fachkräfte schwierig, sich in diesem „starren System“ zurechtzufinden. Bei einer bevorstehenden Räumungsklage wird sie informiert, versucht Kontakt zu den Betroffenen herzustellen – schickt Briefe, ruft an. Wenn keiner reagiert, klingelt die Sozialpädagogin an der Haustür. Denn sie weiß, dass vielen in einer solchen Situation die Kraft fehle, Briefe oder Anrufe entgegenzunehmen. „Manche resignieren, isolieren sich und ignorieren die Post.“
Ein Drittel der Zwangsräumungen im Jahr 2024 verhindert
In Notfällen kann die Präventionsstelle Stiftungsmittel zur Verfügung stellen, wovon die Miete gezahlt werden kann. Eine Art Darlehen, das monatlich zurückgezahlt werden muss. Im Jahr 2024 wurden der Präventionsstelle zufolge 42 Räumungstermine in Bamberg angesetzt – 28 haben stattgefunden. „14 Zwangsräumungen haben wir verhindern können. Das entspricht einem Drittel.“
Wohnungsmarkt in Bamberg ist hart umkämpft
Doch immer öfter habe Amelie Fuchs das Gefühl, einen Notstand verwalten zu müssen. „Fehlender bezahlbarer Wohnraum ist das Strukturproblem Nummer eins“, sagt die 28-Jährige. „Ich bekomme oft Anrufe von Personen, deren Miete erhöht worden ist, die sich das nicht leisten können und sagen: ,Wir müssen in eine kleinere Wohnung ziehen. Wo finden wir etwas?‘“
“Fehlender bezahlbarer Wohnraum ist das Strukturproblem Nummer eins.
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Auch in der Weltkulturerbestadt sind Wohnungen hart umkämpft. Laut der Stadt Bamberg lag die durchschnittliche Vergleichsmiete pro Quadratmeter im Juni 2024 bei 7,62 Euro. Einer Erhebung von „ImmoScout24“, einer Online-Plattform für Wohn- und Gewerbeimmobilien, lag der Preis eines Quadratmeters in Bamberg im vierten Quartal 2024 durchschnittlich bei 10,34 Euro.
Mietspiegel der Stadt Bamberg im Jahr 2024
Mieten in den vergangenen zehn Jahren
Immer mehr Wohnungslose in Bamberg
Vor allem durch die Corona-Pandemie habe sich die Situation verschärft, da Lohnausfälle, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit Menschen in prekäre Situationen gebracht haben. „Nach der Corona-Pandemie ist die Anzahl der Postfächer bei uns von 100 auf 150 in die Höhe geschnellt“, erzählt Peter Klein von „Menschen in Not“. Die Mitarbeitenden der Wärmestube mit integrierter Beratungsstelle in Bamberg arbeiten Hand in Hand mit der Präventionsstelle.
„Mein Eindruck ist es, dass arme Menschen derzeit kämpfen müssen – trotz Bürgergelderhöhung. Die Inflation hat die Erhöhung gefressen.“ Wenn jemand erstmal obdachlos geworden ist, sei es das Schwierigste, wieder in eine eigene Wohnung zurückzufinden. „Je länger die Obdachlosigkeit dauert, desto mehr verstetigt sie sich. Präventionsarbeit ist daher das Wichtigste.“
“Das Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist schon längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
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„Das Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist schon längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wir haben mittlerweile Klienten, die einen festen Job haben und wohnungslos werden“, sagt Mario-Christian Schmidt.
Der Leiter der Erwachsenenhilfe im Amt für soziale Angelegenheiten der Stadt Bamberg empfindet das behördliche Hilfe-System als zu „hochschwellig“. Mal schnell im Jobcenter, Arbeitsamt, Sozialamt oder bei der Familienkasse anrufen, sei schwierig. „Das kann einen halben Tag dauern, weil man in der Warteschleife landet und nach einer Viertelstunde herausgekickt wird. Das frustriert und macht wütend.“
Teilweise gebe es keinen persönlichen Kundenverkehr mehr, Anträge können nur noch digital und schriftlich eingereicht werden. Das schließe Menschen, die keine digitalen Endgeräte haben, aus. Wie soll eine ältere Person, die kein Handy hat, eine App installieren?
„Manche Fälle rühren einen und man denkt auch nach Feierabend darüber nach“, erzählt Amelie Fuchs. Für sie fühle es sich oft an, als würde sie gegen Windmühlen arbeiten. An den grundlegenden Schrauben kann die Sozialarbeiterin wenig drehen. Doch sie versuche alles, um die Situation zumindest im Einzelfall zu verbessern.




















