Normalerweise würde eine Blaskapelle auf der Bühne im Saal vom „Hartleb“ sitzen und „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt“ spielen, wenn der Ehrengast aus Nordrhein-Westfalen eintrifft. Aber der Ehrengast, Franz Müntefering, kommt erst mal nicht, und überhaupt ist ja nichts normal in diesen Zeiten.
Immerhin: Die Kreis-SPD darf eine Versammlung machen, zusammen mit dem Ortsverein Maroldsweisach. 50 Personen sind zugelassen, und weil die Durchgeimpften in diesen 50 dank einer Sondergenehmigung nicht mitgezählt werden müssen, könnten es sogar ein paar Personen mehr sein, die sich da versammelt haben. Franz Müntefering, ehemaliger Parteivorsitzender, ehemaliger Minister und immer noch aktiv in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren der SPD, wird genau das loben: Dass die SPD in den Haßbergen trotz Corona mit den gebotenen Vorsichtsmaßnahmen zusammenkommt und dass sie ihren verdienten Mitgliedern persönlich Dank sagt.
Geduld ist gefragt
Mit Spannung warten die Gäste auf den hohen Besuch im Saal der Brauerei Hartleb. Müntefering hatte sich angekündigt, um an der Feier zur Ernennung von Susanne Kastner als Ehrenmitglied im Vorstand des SPD-Kreisverbandes Haßberge, teilzunehmen. Es wird eine Parallelveranstaltung zum offiziellen großen Wahlkampfauftakt der SPD an diesem Wochenende mit viel Lokalkolorit.
Der Ortsverein der SPD Maroldsweisach hatte Glück, dass er schon frühzeitig den Bundespolitiker eingeladen hatte. Zeitgleich mit der Ehrung wird nämlich in Bochum der Wahlkampf mit Kanzlerkandidat Olaf Scholz eröffnet. Müntefering hält jedoch an seiner Zusage fest, in den Landkreis Haßberge zu kommen, wenn er auch mit über einer Stunde Verspätung eintraf. Schuld daran sind Zugausfälle bei der Deutschen Bahn. Schließlich holt René van Eckert, der Kreisvorsitzende der SPD Rhön-Grabfeld, den Gast am Bahnhof in Fulda mit dem Auto ab und chauffiert ihn in die Marktgemeinde.
Steile Karrieren
Wenn Müntefering all dies auf sich nimmt, , dann hat das natürlich einen Grund: Der Kreisvorstand der SPD macht Susanne Kastner zu seinem Ehrenmitglied – Ehrenmitglied der SPD kann sie auf Kreisebene nicht werden, das ist bei Parteien kompliziert. Müntefering soll die Laudatio halten.
Keine Begrüßungsmusik also. Müntefering betritt den Saal ganz unaufgeregt, die Aktentasche in der Hand, ein Lächeln im Gesicht. Klopft auf die Tische rechts und links zur Begrüßung, und dann stehen die Versammelten, klatschend, auch ohne Musik zum Einzug. In Maroldsweisach ist die SPD immer noch eine Nummer, und Müntefering ist die Erinnerung an die Zeit, als die SPD die Bundestagswahlen deutlich gewann (1998 und 2002) und noch nicht so deutlich verlor (2005).
Der rote Faden
Müntefering selbst wird darauf zu sprechen kommen, in einer etwa einstündigen Rede, die von einem Thema zum anderen mäandert und doch immer wieder auf die zentralen Botschaften zurückkommt: Dass alle Menschen gleich-wertig seien, dass die Sozialdemokratie genau darauf aufbaue, dass der Staat Freiheiten garantieren und Gerechtigkeit schaffen müsse, aber die Solidarität nicht verordnen könne. Solidarisch handeln müssten die Leute schon selbst.
„Ich war bekannt im Ort als kleiner Klugscheißer“, sagt Müntefering über die Anfänge seiner politischen Karriere. Als die SPD in den 1960-er Jahren bei der Bundestagswahl wieder einmal verlor, fasste Müntefering den Entschluss „Ich mach jetzt mit“ und trat der SPD bei. 1975 wurde er als Nachrücker das erste Mal in den Bundestag gewählt.
Eine feste Größe
1989 kam es zu Münteferings erstem Kontakt mit Susanne Kastner, als diese als Nachrückerin für die Abgeordnete Anke Martiny, damals noch in Bonn, Mitglied des Bundestages wurde. Rasch habe sich Kastner zur festen Größe in der SPD entwickelt. so sei es 1998 auch keine Frage gewesen, die engagierte Maroldsweisacherin zur parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion zu ernennen. Weitere Stationen: 2002 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Mitglied im Landesvorstand der Bayern-SPD, Mitglied im Bundesvorstand. Zur Wahl 2013 trat die ehemalige Religionslehrerin nicht mehr an.
Mit „Weitsicht, Gerechtigkeitssinn und Resolutheit“ ist Susanne Kastner ein großes Glück für die SPD gewesen, so SPD-Kreisvorsitzende Johanna Bamberg-Reinwand, die der 74-Jährigen die Auszeichnung überreicht.
„Begeisterungsfähigkeit ist ihr Leitbild“, sagt die Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar über die Jubilarin. Bereits als kleines Mädchen sei sie, Dittmar, ein Fan der Maroldsweisacherin gewesen.
65 Jahre dabei
Susanne Kastner als Vorsitzende des Ortsvereins nimmt Ehrungen vor. Ralf Beck, Petra Erhardt, Peter Pratsch, Günter Reß, Bernd Schobert und Mario Werres sind seit 25 Jahren der SPD treu. Mit einer Parteizugehörigkeit von stolzen 65 Jahren übertrifft Maroldsweisachs Altbürgermeister Ottomar Welz sogar Franz Müntefering, der „erst“ 55 Jahre Mitglied ist. . Von 1972 bis 1996 wirkte der heute 86-jährige Welz über zwei Jahrzehnte als Bürgermeister von Maroldsweisach zum Wohle der Allgemeinheit. Recht hatte er vor langer Zeit mit seiner Aussage: „Susanne, Du schaffst es in den Bundestag“.