Jungen sitzen in selbstgebauten Fahrzeugen und fahren unter den Blicken begeisterter Zuschauermassen eine gesperrte Straße hinunter, während ihre Zeit gestoppt wird. Was ein vermeintlich "harmloses" Seifenkistenrennen mit dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft nach 1945 in Deutschland zu tun hat, das zeigen die Mitglieder des Wahlfachs "Politik und Zeitgeschichte" (PuZ) der Siegmund-Loewe-Realschule in ihrem spannenden Beitrag zum diesjährigen Geschichts-Wettbewerb des Bundespräsidenten.
"Das erste Seifenkistlrennen in Friedrichsburg war am 6. August 1949, das zweite am 18. April 1950 und das letzte am 27. Mai 1951", erklärt Naima Bannert aus der 9 D, die sich mit Jonas Wachter (9 A), Leonie Hoderlein und Patricia Skall (beide 10 A) unter Regie des Wahlfachleiters Thomas Hauptmann auf historische Spurensuche begeben hatte. Der "Kronacher Nürburgring" verlief von Thonberg nach Friedrichsburg und umfasste 1949 circa 600 Meter Streckenlänge, bevor er 1950 auf 500 Meter verkürzt wurde. Für die Sicherheit der Buben wurden in den Kurven Strohballen oder Holzwolle verteilt. Die Militärregierung stellte Sturzhelme und Startnummern zur Verfügung.
"Seit 1904 gab es in Deutschland viele Kinder, die in selbstgebastelten Fahrzeugen aus Kisten, Brettern und anderem Material Wettrennen veranstalteten", erzählt Leonie. Das erste richtige Wettrennen fand in Frankfurt am Main statt. Der Seifenkisten-Rennsport kam aber erst ab 1933 in den USA richtig auf und erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit den amerikanischen Soldaten wieder nach Deutschland. Das erste Rennen hier war 1949.
Von den Amerikanern gefördert
"Die Rennen galten als sinnvolle Freizeitgestaltung für die Jugendlichen, die bald fester Bestandteil der German Youth Activity (GYA) an vielen Standorten der Besatzungstruppen wurden", weiß sie. Der Sport gewann in wenigen Jahren sehr viel Zuwachs. Es gab viele Großveranstaltungen und sogar ein Meisterschaftsrennen in München. In den US-amerikanischen Besatzungszonen wurden Ausscheidungswettkämpfe veranstaltet. Der Gesamtsieger fuhr sogar nach Ohio, um sich dort mit seiner Seifenkiste am legendären Rennen zu beteiligen.
"Die GYA bot viele Aktivitäten für die Jugend in Kronach an", würdigt Patricia. Zum einen gab es kulturelle Angebote, wodurch Kinder und Jugendliche Neues lernen konnten. Kurse wie grafisches Zeichnen, Jugendtheater und Literatur, Jugendorchester, Laienspielgruppe, Handarbeit, Basteln und Sprachkurse konnten besucht werden. Vor allem wurden aber sportliche Angebote - z. B. Fußball, Skilaufen, Volleyball, Tischtennis, Boxen und Basketball - wahrgenommen. Einige der von der GYA initiierten Angebote gibt es noch heute.
Die Volkshochschule und der Kreisjugendring Kronach wurden wieder oder neu gegründet und viele Sportvereine verdanken die Existenz mancher Abteilung bis heute diesem Engagement amerikanischer Soldaten, beispielsweise in den Basketball-Hochburgen in Oberfranken.
"Selbst bei Kindern war das Denken aus der nationalsozialistischen Diktatur durch Schule, Hitlerjugend bzw. Bund deutscher Mädel derart eingebrannt, dass man schon fast von einer Gehirnwäsche sprechen konnte", prangert Jonas an. Die US-Army errichtete unter anderem ein Heim für Kinder und Jugendliche auf der Festung Rosenberg. Dort wurden neben vielen anderen Angeboten auch Wettbewerbe veranstaltet - nicht nur zum Spaß, sondern auch um den Heranwachsenden demokratische Spielregeln und Fairplay zu vermitteln.
Corona machte es schwieriger
Er und Naima waren von Anfang an in den Projektbeitrag involviert, Patricia und Leonie kamen erst kürzlich unterstützend hinzu. Wie die Vier einräumen, haben sie vorher kaum etwas über das Thema gewusst. Umso interessanter sei die Ausarbeitung gewesen, wobei die Corona-Pandemie vieles erschwert habe. So konnte man sich nach der Schulschließung nur noch digital bzw. telefonisch austauschen. Das Thema habe viel Archiv- und Recherchearbeit erfordert, beispielsweise per Internet, in Stadtarchiven, beim Kreisjugendring oder auch im privaten Fotoarchiv von Stefan Wicklein. Mit einem Seifenkistenfahrer aus dem Jahr 1950 wurde ebenso gesprochen wie mit Zuschauern. Informationen erhielt man auch vom US-Generalkonsulat in München, der Louisiana State University in den USA und dem 7th US Army Training Camp in Grafenwöhr. Dank gebühre auch Claudia und Uwe Bobreck.
"Im Vorfeld der Seifenkistenrennen haben die Jungen gelernt, dass jeder dieselben Voraussetzungen und Chancen bekam - sei es bei den Anschaffungskosten für das Material oder durch die Bereitstellung einheitlicher Räder und weiterer Bauteile. Oftmals wurden die Seifenkisten gemeinsam gebaut und jeder Teilnehmer erhielt unabhängig von seiner Platzierung einen Preis. Fairplay äußerte sich vor und während des Rennens und auch danach bei der Siegerehrung", verdeutlicht der Wahlfachleiter.
Tausende fieberten mit
Zudem waren die Rennen eine Veranstaltung von allen für alle. Beteiligte waren - neben den teilnehmenden Jungen und Verantwortlichen seitens der Amerikaner - auch die politischen Vertreter auf deutscher Seite, ansässige Firmen als Sponsoren und technische Unterstützer sowie Ehrenamtliche wie etwa die Freiwillige Feuerwehr Kronach oder das Rote Kreuz. Tausende Menschen fieberten an der Rennstrecke mit den jungen Rennfahrern mit. "Noch heute baut unsere Gesellschaft entscheidend darauf auf, dass sich alle mit ihrem Können und ihren Fähigkeiten, Verantwortungsbewusstsein und täglichem Engagement für ein friedliches Miteinander und Füreinander einbringen", appelliert er. Hierzu habe die GYA einen entscheidenden Beitrag geleistet, obwohl sie nach ihrer kurzen Blüte schnell in Vergessenheit geraten sei.
Für den dreidimensionalen Projektbeitrag baute Robert Lee Haynes vom der AG Bühnenbild ein Seifenkistl nach. Unterstützt wurde er dabei vom Hartan Kinderwagenwerk in Sonnefeld, der Schlosserei Horn in Küps und der Schreinerei Stöckert in Kronach. Präsentiert wird das voll einsatzfähige Gefährt, das einen Ehrenplatz in der Schule finden wird, auf einer 3 mal fünf Meter großen Straßenfolie mit vielen wissenswerten Infos rund um das Thema.