Sepp Geiger hatte Ideen, Mut und Visionen. Der gewissenhafte Kirchgänger lebte zielstrebig und voller Hingabe, war sich seiner Stärken und Schwächen stets bewusst. Er genoss den Augenblick. Fast immer bekam er das, was er wollte. Jetzt ist der „Kümmerer von Friesen“ tot. Den aussichtslosen Kampf gegen Leukämie hat er verloren. Geiger starb am Samstagnachmittag. Er wurde 72 Jahre alt.
Er nahm sein Schicksal schnell an und bot dieser heimtückischen Krankheit die Stirn wie ein überzeugter Strafverteidiger dem Staatsanwalt. Mit anfänglichem Erfolg: „Mir geht es wieder besser“, sagte er im Frühjahr nach einer Stammzelltransplantation mit leiser Stimme am Handy. Es sei unglaublich, was ein Mensch aushalten könne und wozu der Körper fähig sei. Da hatte er bereits eine mehrwöchige Isolationszeit im Jenaer Klinikum hinter sich.
Eine zermürbende Zeit
Die letzten Monate waren mühsam und schwer für einen Menschen, der sein Leben lang die Eigenschaft hatte, andere zu inspirieren, zu faszinieren, von seinen Vorhaben und Absichten zu begeistern. Eine zermürbende Zeit, erst im Rollstuhl, später nur noch im Bett.
Es wurde still um Sepp Geiger. Seine Ehefrau Helga litt, seine Friesener Freunde waren machtlos. Geigers Kräfte schwanden, er brach nahezu alle Kontakte ab.
Sein Handy war am 13. September das letzte Mal online. Nur mit seiner geliebten Frau, die er bei einer Wallfahrt nach Glosberg in den Siebzigerjahren kennengelernt und 1981 geheirat hatte, war er noch verbunden. Viele Wochen in Jena, die letzten Tage auf der Palliativstation in Kulmbach. Einen Tag vor dem 1. Advent schlief Sepp Geiger für immer ein.
Ein letztes mal im Stadion
Und dennoch: Er war auf der Zielgeraden seines Daseins ein Kämpfer. Als sich der erste Bezirksliga-Aufstieg des SV Friesen zum 25. Mal jährte, feierte er noch im Frühjahr mit alten Weggefährten im geliebten, vor allem mit seinem Geld umgebauten SVF-Sportheim. Er war dabei, als die Kumpels einen Kranz am Grab von Johannes Lehnhardt niederlegten. Die Friedhofsstufen hinauf fielen ihm extrem schwer, doch den „Hannes“ hatte Sepp ins Herz geschlossen. Er war für ihn mehr als ein Fußballtrainer – ein Freund. Überhaupt war es ein gutes Gefühl, „den Sepp“ als Freund zu haben.
Im April dieses Jahres stand der großzügige Mäzen, wie so oft, noch einmal mit seinem langen, grün-weißen Schal um den Hals und einer Maske im Gesicht an der Bande hinter dem Sportheim-Tor. Am „Sepp-Geiger-Platz“ in seinem Frankenwaldstadion. Es war das letzte Mal.
Die Scheune und das Kreuz
Josef Geiger sah sich gerne als „Kümmerer von Friesen“. Er war mit Rat und vor allem mit Tat immer zur Stelle.
Egal wo und wann es zwickte im Flößerdorf – der Sepp half! Als Vorsitzender der Dorferneuerung war er einer der treibenden Kräfte. Er rettete die umstrittene, alte Dorfscheune, weil er die immer höher steigenden Energiekosten über mehrere Jahre aus der eigenen Tasche beglich. Auch die Kirche profitierte: Geiger finanzierte letztes Jahr fast im Alleingang ein neues Kirchenkreuz mit einem großzügigen fünfstelligen Betrag.
Einer Partei gehörte er zwar nie an, obwohl Geiger Sympathien für die SPD bekundete. Dennoch hatte sein Wort Gewicht in Friesen. Einer seiner besten Freunde nannte ihn einmal einen „sozialistischen Kapitalisten“. Es war Norbert Kraus, sein langjähriger Weggefährte schon seit gemeinsamer Kindergartenzeiten und jetzt Ehrenvorsitzender des SV Friesen. Das Duo Geiger/Kraus prägte die Glanzzeiten des Klubs.
Geiger war aber vor allem ein ausgezeichneter, weit über die Landkreisgrenzen Kronachs hinaus anerkannter Anwalt. Mit allen Wassern gewaschen. Nach dem Abitur und dem Jura-Studium ging es steil bergauf. Ein Erfolgsmensch, der seinen Job von der Pike auf gelernt hatte.
1988 machte sich Geiger in Kronach selbstständig. Mit durchschlagendem Erfolg. Sein Beruf war seine Berufung. Er habe sich Tag und Nacht für jeden eingesetzt und dabei sei immer der Mensch im Mittelpunkt gestanden – so war es aus der Kanzlei zu erfahren. Sein Team – immerhin elf Mitarbeiter – schätzen ihn als „herausragenden Juristen, der seinem Berufsstand alle Ehre gemacht hat“.
Der Traum von der Bayernliga
Trotzdem blieben Wünsche unerfüllt: Eigene Kinder hatte er keine. Er sagte gerne: „Die Spieler des SV Friesen sind meine Buben.“ Den großen Traum von der Fußball-Bayernliga erfüllten ihn seine Friesen-Jungs aber nicht – der platzte gleich zweimal in letzter Sekunde. Doch mit seiner positiven Lebenseinstellung betrachtete Geiger Veränderungen und Rückschläge auch immer als etwas Gutes. In seinen regelmäßigen Kurz-Lektüren in der Stadionzeitung des SV Friesen legte der Vereinsboss gerne den Finger in offene Wunden. Er kritisierte, tobte und schimpfte wie ein Rohrspatz.
Um nur einen Absatz später dieselben, von ihm geschätzten Menschen mit lobenden Worte wieder aufzubauen. Seine Sätze waren mal sentimental, mal völlig übertrieben, mal lustig, auch liebevoll. Viele haben über seine Beiträge geschmunzelt, sich geärgert oder gewundert, aber gelesen haben sie Geigers lyrische Weisheiten und poetische Zitate alle. Schließlich war der kleine, mächtige Mann aus Friesen, dem die SVF-Anhänger nachsagten, dass grünes Blut durch seine Adern fließe, längst eine Art Denk- und Mahnmal im Frankenwaldstadion.
Ins Fettnäpfchen getreten
Seinen Neidern und Kritikern gab Geiger immer wieder Stoff zum Lästern. Ins Fettnäpfchen trat er nach einem gegen den Lokalrivalen TSV Neukenroth mit 5:1 souverän gewonnenen Derby. Unmittelbar nach dem Abpfiff am letzten Bezirksliga-Spieltag 2023 schnappte er sich spontan das Stadionmikrofon und versprach vor den vermeintlichen Relegationsspielen vollmundig: „Bis bald, wir sehen uns in der Landesliga wieder!“ Doch daraus wurde bekanntlich nichts.
Eis für alle Kinder
Bereut hat er diesen Fauxpas nach eigenen Worten nicht. Und wer weiß, vielleicht sieht man Sepp Geiger ja irgendwann mal wieder im Himmel. Welche Geschichten er dann wohl erzählt? Wird er sich beschweren, dass es dort oben kein so gutes Bier wie in Friesen gibt? Dass die Staatsanwälte hier zu plump argumentieren, dass die Spieler aus Coburg viel zu viel Geld wollen? Oder dass im himmlischen Gemeinderat mehr geredet als gehandelt wird? Oder schwärmt er gar davon, wie schön es ist, den Drei-Käse-Hochs im paradiesischen Kindergarten beim Tollen zuzuschauen. Ganz sicher wird er all diesen Kids ein großes Eis spendieren. In Friesen aber ist abrupt eine Ära zu Ende gegangen. Christoph Böger









