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2025 - was mich bewegt hat
In der Politik muss es wieder mehr menscheln
Coburger Tageblatt Redakteur Jonas Christmann
Jonas Christmann schreibt, filmt und fotografiert für das Coburger Tageblatt. // Foto: Michael Busch/Grafik: Sahar Nezhadbahram
LKR Coburg – Unser Autor beschäftigt sich gerne mit Politik. Verzweifelt aber oft an ihrer Übervorsicht. Er denkt sich: Es muss mehr menscheln. Das hat ihm der Abschied des dienstältesten Bürgermeisters gezeigt.
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Politik strotzt oft nur so vor Drögheit. Als Reporter, der sich gerne mit Kommunalpolitik beschäftigt, durchforstet man oft ein Dickicht aus Anträgen, Dokumenten und Beschlussvorlagen. Endlose, offizielle Anfragen an Pressestellen statt persönliche Gespräche – und bis ins Detail ausformulierte und perfektionierte Antworten nach einem Tag Bedenkzeit.

Warum nicht sagen, was ist? Macht es doch nicht komplizierter, als eh schon ist. Aber bei aller Hochachtung vor dem ikonischen Appell von „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein, „Sagen, was ist“ – die Antworten auf viele Fragen in der Politik können nicht einfach sein. Und zwar ganz einfach: weil sie nicht einfach sind.

Das ist eine gut-bespielte Klaviatur extremer Kräfte

Viele Themen sind komplex: Klimawandel, Migration, kommunaler Finanzausgleich, Haushalt und, und, und.... Mit einfachen Antworten auf komplizierte Fragen zu verführen: Das ist eine gut-bespielte Klaviatur extremer Kräfte. Komplizierte Themen zu erklären und einzuordnen: Das ist Aufgabe von Politikern und Journalisten.

Viele Politiker ziehen sich jedoch oft immer mehr zurück hinter einer wachsenden Mauer aus Pressestellen und vorgefertigten Antworten. Verstecken aus Versagensangst. 

Das Netz: Ein Ort der Selbsterreger und Aufreger

Es liegt in der Natur des Menschen, sich zu schützen vor Bedrohungen. Davon gibt es immer mehr. Im Netz, Heimat der Selbsterreger und Selbstaufreger. Und auf der Straße, wenn Krawallschergen Lokalpolitiker bedrohen und vermöbeln. Es ist trauriger Trend, dass die Anzahl der Angriffe auf lokale Mandatsträger steigt.

Man kann es Lokalpolitikern also nicht verübeln, wenn sie jedes gesagte und geschriebene Wort bedenken und überprüfen lassen. Bloß nichts Falsches aussprechen wollen. Das ist die eine Seite.

Die andere ist: Die stumpfen und nichtssagenden Aussagen regen die Selbstaufreger noch mehr auf. Schaffen noch mehr brüllende Platzhirsche, die keine andere Meinung mehr zulassen.

Wenn eine Halle nicht gebaut werden kann – dann sagt das so.

Es braucht mehr Klarheit und Ehrlichkeit. Auch dann, wenn es weh tut. Auch, wenn es die Leute nicht hören wollen und es die eigene Beliebtheit schmälern könnte. Ansonsten ergötzen sich die Krawallmacher und Apokalyptiker noch mehr an ihrer selbst gesponnenen Hybris. Und der Glaube an fundamentale demokratische Prinzipien geht immer weiter verloren. Wenn die Stadt Scheiße gebaut hat – sagen statt vertuschen. Wenn dem Landkreis das Geld fehlt – nicht drum herumreden. Wenn eine Halle nicht gebaut werden kann – dann erklärt ehrlich, warum.

Dass es in der Politik auch menscheln darf, dass sie immer noch ein Schauplatz für Transparenz und Ehrlichkeit sein kann – dafür gibt es immer noch genügend Beispiele. Zum Glück.

Wie erfrischend eine große Prise Ehrlichkeit und Menschlichkeit sein kann, hat mir ein Besuch beim dienstältesten Bürgermeister im Landkreis gezeigt. Nach über 20 Jahren im Amt wird sich der Ebersdorfer Bürgermeister Bernd Reisenweber verabschieden, nach der Kommunalwahl im März. Auch aus gesundheitlichen Gründen. Das Herz. Er hätte wohl nicht mehr garantieren können, eine volle Amtsperiode durchzuhalten.

Der Besuch in seinem Büro im Ebersdorfer Rathaus fühlt sich zuerst wie ein ganz normaler Termin an. Cappuccino wird angeboten, eine Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit sitzt mit am Tisch. Vor Bernd Reisenweber liegen sorgfältig vorbereitete Notizen. Punkte und Ergebnisse der vergangenen 20 Jahre, die er unbedingt erwähnen will. Ein wenig Lebenswerk auf ein paar Seiten Papier. 

Schnell verändert sich aber die Gesprächsatmosphäre. Aus einem Frage-Antwort-Schema entwickelt sich ein Plausch über seinen Abschied. Ungezwungen und ehrlich. Frei vom Ballast der sorgfältig aufgeschriebenen Errungenschaften und Notizen. Selbst wenn Reisenweber vor der Antwort auf schwierige Fragen ein wenig überlegen muss  – es fühlt sich bei diesem Termin kaum so an, als hätte er Angst, etwas Falsches zu sagen. Es ist eher innere Zerrissenheit, die aus seinen Überlegungspausen spricht. Ehrlichkeit. Und die Tatsache, dass ihm die Entscheidung für den Abschied wirklich nicht leichtgefallen ist. In Bernd Reisenwebers Worten: „Das Bürgermeisteramt war 24 Jahre lang mein Leben.“

Freilich konnte und kann Bernd Reisenweber jetzt auch ehrlich sein. Er trägt nicht mehr den Ballast der nächsten Bürgermeisterwahl auf seinen Schultern. Muss den Bürgern keine unbeliebten Entscheidungen mehr beibringen. Hinzu kommt: Reisenweber gehört keiner Partei ein. Die Freiheit der Unabhängigkeit ist ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Politik.

All diese Privilegien haben Bernd Reisenwebers Kollegen im Amt noch nicht. Sie müssen schwierige Entscheidungen treffen. Müssen auf Wort und Schrift achten.

Bei allem Verständnis dafür: Manchmal wäre ein wenig mehr Transparenz zwar der radikalere Ansatz, aber dafür der ehrlichere. Auch wenn’s oft weh tut.

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