Druskininkai ist eigentlich ein kleiner, malerischer Kurort in Litauen. Zur Grenze nach Belarus sind es gerade mal 40 Kilometer, der Übergang zu Polen ist ebenfalls nicht weit weg. In den vergangenen Wochen wurde das Dorf zu einem Brennpunkt der Politik. Rund 2000 Migranten sind es nach Angaben der Europäischen Kommission, die inzwischen aus Belarus gekommen sind.
Aber dabei handelt es sich nicht um Geflüchtete aus ehemaligen Sowjet-Republiken, sondern um Menschen aus dem Irak, aus Gambia, Mali und anderen Ländern. „Wenn die Migrationssituation in Litauen sich weiter zuspitzt, muss es neue und härtere europäische Sanktionen gegen Belarus geben“, sagte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis jetzt in einem Interview der Tageszeitung „Die Welt“. „Das hier ist keine Flüchtlingskrise, sondern eine hybride Kriegsführung gegen uns.“
Lukaschenkos Racheplan
Tatsächlich steckt dahinter nach Erkenntnissen in Brüssel und Vilnius ein perfider Racheplan des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko, um sich für die EU-Sanktionen gegen sein Land zu revanchieren. In den Herkunftsländern der Migranten sind demnach belarussische Firmen unter dem Deckmantel von Reisebüros aktiv, um die Fahrten zu organisieren. Für 7000 bis 8000 Euro pro Person werden Tickets für den Flug nach Minsk verkauft. Von dort geht es dann mit Shuttlebussen an die Grenze zu Litauen.
„Lukaschenko arbeitet mit Russland und dessen Geheimdiensten zusammen“, sagte die frühere Verteidigungsministerin Litauens und heutige Europa-Abgeordnete Rasa Jukneviciene. Der belarussische Diktator „stoppt das nicht, er organisiert es“. Lukaschenko selbst begründete seine Politik so: „Wir werden niemanden aufhalten.“ Die Menschen seien aus Kriegsgebieten unterwegs „in das warme und bequeme Europa“ und in Deutschland würden Arbeitskräfte gebraucht.
EU sol Sanktionen zurücknehmen
Litauen trifft es als erste Station, weil es eine 680 Kilometer Grenze zu Belarus hat. Doch es geht nicht allein um das kleine Baltikum-Land. Regierungschefin Ingrida Simonyte warf dem Herrscher in Minsk bereits vor, er wolle die EU gezielt spalten. In Brüssel ist man alarmiert. EU-Ratspräsident Charles Michel: „Wir verurteilen alle Versuche, illegale Migration zu instrumentalisieren, um Druck auf die Mitgliedstaaten auszuüben.“ Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die Strategie Lukaschenkos als „politisch motiviertes Muster“. Sie dürfte recht haben. Denn der belarussische Diktatur fordert nach dem Vorbild der Türkei die Rücknahme der EU-Sanktionen gegen sein Land. Dann könne er die Migranten an der Weiterreise in die Gemeinschaft hindern.
Inzwischen hat Litauen einen 30 Kilometer langen Grenzzaun errichtet, 30 Spezialisten der Grenzschutzagentur Frontex sollen ab Ende Juli die litauischen Grenzbeamten vor Ort unterstützen, einzelne Mitgliedstaaten wie Österreich haben ebenfalls Polizisten in den Baltikum-Staat entsandt. Auch aus Warschau kommen seit Tagen immer lautere Rufe, die Union müsse sich mit dem Thema befassen und über weitere Strafmaßnahmen gegen Minsk beraten.
Neues Druckmittel für Erdogan
„Wir müssen unsere Anstrengungen in Europa bündeln, um das Schmuggelnetzwerk von Lukaschenko zu zerschlagen“, fordert die litauische Regierung. Als Erstes solle sichergestellt werden, dass die Migranten an der Grenze zurückgewiesen und in ihre Heimatländer geschickt werden können.
Und außerdem will Vilnius mit den europäischen Partnern darüber beraten, wie die Flüge aus den Heimatstaaten der Migranten nach Minsk gestoppt werden können. Dazu bräuchte die EU die Hilfe der Türkei und des Irak, weil die meisten Flüge Richtung Belarus von dort starten. Beides erscheint derzeit zumindest schwierig. Dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan spielt die Entwicklung sogar in die Hände: Er hat nun ein weiteres Druckmittel bei seinen Verhandlungen über eine neue Zusammenarbeit mit der EU in der Flüchtlingsfrage in der Hand.