Das freundliche "Hallo", das gewohnte Chaos im Haus und die Unruhe sind es, was Bärbel und Uwe Greiner am meisten vermissen werden, wenn ihr Sohn Tobias Mitte November auszieht. "Im Moment freue ich mich noch, weil ich dann mehr Ruhe haben werde und mal sitzen bleiben kann", sagt seine Mutter.
Tobias kam mit einer Mikrozephalie zur Welt. Sein Kopfumfang ist deutlich verkleinert, was mit einer Hirnfehlbildung einhergeht. "Außer einem ,Hallo' kann er nichts sagen. Wenn man ihm ein Lächeln gibt, ist er immer freundlich", erzählt Uwe Greiner über seinen Sohn, der neben ihm auf der Terrasse sitzt und einen Schuh mit Schnürsenkeln genau unter die Lupe nimmt.
Selbstbestimmt in Coburg leben
Tobias muss gewickelt, gefüttert, geduscht und angezogen werden. Den Greiners ist bewusst, dass mit zunehmendem Alter irgendwann der Zeitpunkt kommen wird, an dem sie ihn nicht mehr pflegen können.
Das ist nicht der einzige Grund, warum er bald in seine erste eigene Wohnung ziehen wird. "Laut dem Bundesteilhabegesetz steht ihm, wie jedem anderen, ein selbstbestimmtes Leben zu", sagt Uwe Greiner. Aus diesem Grund haben der 53-Jährige und seine Frau gemeinsam mit anderen Eltern behinderter Kinder den Verein "Neues Wohnen Coburg" gegründet.
24 Apartments mit Küche und Bad
Auf Initiative des Vereins entsteht auf der Bertelsdorfer Höhe, direkt neben der Schule für Körperbehinderte, derzeit ein barrierefreies Wohngebäude mit 24 Apartments, die mit einer Küchenzeile und einem Bad ausgestattet sind.
Das Projekt richtet sich an junge Menschen mit Behinderung , die dort ambulant betreut wohnen werden. In eines der Apartments wird Tobias einziehen. "Tobias mietet ein Apartment und engagiert einen Pflege- und Betreuungsdienst", erzählt Uwe Greiner. Er wird die Hilfe bekommen, die er braucht, aber auch Verantwortung übernehmen. "Tobias wird zum Beispiel auch Wäsche waschen, eine qualifizierte Assistenz wird ihn dabei begleiten und ihm helfen."
In dem Gebäude , in das Tobias einziehen wird, sind noch acht von 24 Apartments frei. "Einige Eltern können ihre Kinder doch nicht loslassen und sind dann wieder abgesprungen", sagt Bärbel Greiner.
Bis zum Umzug haben sie und ihr Mann noch alle Hände voll zu tun. Die vier Gruppenräume und die Gemeinschaftsküchen müssen noch ausgestattet werden, worum sich der Verein kümmert. Und auch für Tobias Umzug ist noch einiges zu organisieren. "Wir müssen seine Wohnung einrichten und auch bürokratisch ist noch einiges zu erledigen."
Rund um die Uhr da sein
Nicht alle Jugendlichen, die in das neue Gebäude einziehen werden, sind körperlich und geistig so eingeschränkt wie Tobias. "Mache haben Autismus oder Trisomie 21, andere sind auf einen Rollstuhl angewiesen", sagt Uwe Greiner.
Für jeden einzelnen wird vom Bezirk der Bedarf an Pflege und Betreuung ermittelt. "Tobias braucht jemanden, der ihn aus dem Bett holt, wickelt und füttert. Andere können sich ihr Frühstück selbst zubereiten", ergänzt Bärbel Greiner. Laufen kann er dank seiner Orthesen und zahlreicher Operationen im Kindesalter selbstständig. Auch Treppen sind kein Problem.
Nicht nur für Tobias, sondern auch für seine Eltern wird es eine große Umstellung sein, wenn Tobias ausgezogen ist. In den letzten 20 Jahren waren beide rund um die Uhr für ihn da. Die Nächte schläft der 20-Jährige zwar durch, dafür ist er tagsüber ständig in Bewegung. Wenn Tobias am Abend aus der Tagesförderstelle Kronach gebracht wird, muss immer jemand zu Hause sein.
Eine Zeit lang bleibt er vor dem Fernseher sitzen, aber dann macht er Blödsinn. "Er will uns zeigen, was er gelernt hat, deswegen macht er zum Beispiel Wasserhähne an oder Schubläden auf", erzählt Bärbel Greiner aus dem Alltag der Familie . Vor einigen Tagen hat er den kompletten Kleiderschrank seines Vaters ausgeräumt, weil er sich die Kleiderbügel holen wollte.
Seine Leidenschaft ist die Musik
Tobias vier Jahre ältere Schwester Natalie ist für ihr Studium von zu Hause ausgezogen. "Man kann nicht erwarten, dass Natalie sein Kindermädchen macht. Außerdem quietscht Tobias immer, wenn er seine Schwester sieht, sie ist dann wiederum genervt - so ist das eben bei Geschwistern", sagt Bärbel Greiner.
Für sich selbst bleibt dem Ehepaar kaum Zeit. Selbst in der Nacht sehen Bärbel und Uwe Greiner noch einmal nach dem Rechten, weil Tobias sich oft aufdeckt und dann friert. "Sobald wir nur Händchen halten, fängt Tobias an zu quietschen, weil er eifersüchtig ist. Wenn wir bei Festen miteinander tanzen, schreit er und haut sich", sagt sie. Als Uwe Greiner seine Hand über den Tisch zu der seiner Frau ausstreckt, guckt Tobias entsetzt, überlegt kurz und fängt sofort an zu quietschen.
Zu Festen und Fußballspielen in ihrem Heimatort Hassenberg nehmen Tobias Eltern ihn immer mit. "Er liebt Live-Musik, vor allem wenn eine Gitarre dabei ist. Er klatscht dann immer ganz begeistert", sagt Uwe Greiner. Aus diesem Grund ist seine Lederhose auch sein Lieblingskleidungsstück, denn wenn sie aus dem Schrank geholt wird, weiß er genau, dass es zu einem Fest geht.
Projekt "Neues Wohnen Coburg"
Verein Der Verein Neues Wohnen Coburg setzt sich dafür ein, dass junge Menschen mit Behinderung ambulant betreut wohnen können. In einem Gebäude mit 24 Apartments, das gerade auf der Bertelsdorfer Höhe gebaut wird, sollen sje möglichst eigenständig leben und individuell gefördert und gefordert werden. Weitere Infos gibt es auf der Website des Vereins.
Interessierte Acht Apartments für junge Menschen mit Behinderung sind noch zu vermieten. Wer einziehen darf, entscheidet der Verein, nicht der Vermieter .
Arbeitsplätze Für das Wohnprojekt wird noch Personal für die Pflege und Betreuung der jungen Erwachsenen gesucht.
Spenden
Wer das Projekt unterstützen möchte, kann dies durch eine Spende (Bankverbindung: VR Bank Coburg eG, IBAN: DE15 7836 0000 0003 5349 10, BIC: GENODEF1COS), eine Fördermitgliedschaft oder ein Sponsoring tun.
Kontakt Interessierte können sich per Mail mit dem Verein in Verbindung setzen (Mail: info@Neues-Wohnen-Coburg.de).