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Kommentar
Von der Macht der Ausländerbehörde
Kommentar Bild Christiane Lehmann
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Coburg – Darf eine Behörde selbstherrlich entscheiden? Die Ausländerbehörde des Landratsamtes erweckt den Eindruck, dass diese Frage mit „selbstverständlich“ beantworten werden kann.

Wer Bedenken, Interessen und Belange anderer bei eigenen Entscheidungen nicht berücksichtigt, gilt als selbstherrlich. So die Definition. Findet sich dafür ein Fallbeispiel? Wir versuchen es mal mit einem Blick in den Abschiebebescheid der Familie Chung-Nguyen, den das Landratsamt Coburg erlassen hat.  Darin wird begründet, warum die sechsköpfige vietnamesische Familie aus Coburg/Deutschland ausgewiesen werden soll. Der Knackpunkt ist eine Ordnungswidrigkeit, verbunden mit einem Bußgeld in Höhe von 65.000 Euro, das die Mutter bezahlt hat, weil der Koch in ihrem Lokal „Asia Inn“  keinen Mindestlohn und keine Sozialleistungen bekommen hat.

In dem Bescheid des Landratsamtes heißt es unter anderem:

1.  „Ein wirtschaftliches Interesse oder regionales Bedürfnis der selbstständigen Tätigkeit für die Stadt Rödental wird durch Bürgermeister Marco Steiner sowie von der Industrie- und Handelskammer zu Coburg zwar positiv prognostiziert, jedoch ist dieser Punkt von der Gesamtschau gegen ihre erheblichen Rechtsverstöße abzuwägen.“

2. „Der Ansicht (Anm. d. Red.: der Bußgeldstelle des Hauptzollamtes Schweinfurt), dass eine Wiederholungsgefahr nicht droht oder in Zukunft nicht anderweitig Verstöße gegen Rechtsvorschriften begangen werden, wird nach den der Ausländerbehörde des Landratsamtes vorliegenden Informationen nicht geteilt.“

3. „Für Ihren Mann und Ihre beiden ältesten Kinder ist es ebenfalls ohne unzumutbare Härte möglich, in ihr Heimatland zurückzukehren und sich in die dortigen Lebensverhältnisse einzufügen. Die Erkrankung Ihres ältesten Sohnes an Asperger-Syndrom, einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, generalisierte Angststörung […] wurden zwar berücksichtigt, stellt jedoch kein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse dar, da in Vietnam eine flächendeckende medizinische Grundversorgung gewährleistet ist.“

4.  „Daneben kann das Attest von Dr. med. Grummt (Anm.d.Red.: Kinder- und Jugendpsychiaterin in Coburg) bezüglich der Aussage, dass eine adäquate Behandlung Ihres Sohnes Chung, Tan Khoa in Vietnam nicht möglich sei, nicht berücksichtigt werden, da Dr. med. Grummt tiefergehende Kenntnisse über die medizinische Behandlung, therapeutischer Förderungen und spezieller Maßnahmen bezüglich des Krankheitsbildes Ihres Sohnes in Vietnam nicht ohne Weiteres unterstellt werden können.“

5. „Die familiäre Bindung besteht bei einer Ausweisung […] weiter, weshalb das Kindeswohl nicht beeinträchtigt oder gefährdet würde.“

Im Gegensatz dazu schreibt die Lehrerin des 13-jährigen Sohnes, Tan Khang, von einer schweren psychischen Belastung für den Jungen und appelliert daran, das Kindeswohl zu bewahren. Auch die Fachärzte für Kinder- und Jugendheilkunde in Coburg befürchten aus kinderärztlicher Sicht, dass die Entwicklung und das Kindeswohl von Emilia stark gefährdet sind, wenn die Familie ausreisen muss. 

Die Ausländerbehörde setzt sich damit über die Einschätzungen von Politik-, Wirtschafts- und Behördenvertretern, Pädagogen, Kinderärzten und einer anerkannten Kinder- und Jugendpsychiaterin hinweg.

Und das, obwohl gesetzeskonform abgewogen werden muss, ob die Familie für Deutschland eher einen Nutzen bringt oder eine Gefahr darstellt.

Auch, dass es sich bei dem Ehepaar um Fachärzte handelt – eine Frauenärztin und ein Urologe – hat für die Behörde keine entscheidende Rolle gespielt.

Ich nenne das selbstherrlich und erschreckend – auch, weil die Paragrafen angeführt werden, die offenbar mehr Gewicht haben als Expertenmeinungen.

In einem kurzen Statement aus dem Landratsamt heißt es: „Es wurde nach gründlichen und rechtskonformen Gesichtspunkten der ausländerrechtlichen Vorschriften geprüft und entschieden. Insbesondere ist die sinn- und zweckmäßige Durchsetzung des hiesig geltenden Rechts unerlässlich.“

So einfach wäscht unser Behördendeutsch die Gewissen rein. Da schläft es sich sicherlich auch nachts gut. 

In diesem Sinne: Gute Nacht, Deutschland.

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