0
Tschüss, Obi!
Mein persönlicher Abschied von einem kleinen Wunder
Obi Kulmbach
Der Obi ist in Kulmbach bald Geschichte. // Jochen Nützel
Kulmbach – Es war nicht weniger als eine Sensation: Vor 30 Jahren öffnete Obi in Kulmbach – und wir Landeier staunten buchstäblich Bauklötze ob der Vielfalt an Waren, wie sie häufig nur Großstädter kannten. Nun ist der orangefarbene Riese Geschichte. Ein Nachruf.

Kinder machen bekanntlich große Kulleraugen, wenn ihnen Verblüffendes präsentiert wird. Meine Augen müssen groß wie Gullydeckel gewesen sein, damals vor 30 Jahren: Ein Obi-Baumarkt in Kulmbach hatte eröffnet! Einer der – bis dato aus der Werbung angeschmachteten – Tempel der Selbermacher hatte nur einen Autofahrtwurf entfernt sein metallenes Zelt aufgeschlagen! U-N-G-L-A-U-B-L-I-C-H!

Ich war schlagartig Dein Obi-Wan Kenobi. Tschuldigung, aber wir Kinder vom Bahnhof Einöde hatten ja nix nach dem Kriech, also dem Vietnamkriech! Amazon war zu jener Zeit noch ein feuchter Traum der E-Commerce-Jünger. Doch dieser Obi war da! Real, greifbar, ein Phoenix aus der Asche, sprich auf der grünen Wiese. Für uns Landeier fühlte sich das so an, als würde Arnold Schwarzenegger, als Terminator verkleidet, in der Nachbarschaft zum Pinkeln anhalten!

Sogar an meinen ersten Einkauf kann ich mich noch erinnern: Glühbirnen, Gartenerde, ein Bodendecker (es war eine Schleifenblume). Ich schäme mich heute fast dafür, dass ich nicht mindestens noch zusätzlich eine Betonmischmaschine und 500 Kilogramm Estrich erstanden habe. Mea culpa.


+++ Bleiben Sie mit der Bayerischen Rundschau auf dem Laufenden und holen Sie sich jetzt unsere kostenlosen Newsletter. +++


Baumarkt – das war einst das Bummeln im Reich des (kleinen) Mannes, dem Klamotten-Shoppen zu langweilig oder wahlweise zu unsexy war. Hier aber, zwischen Laminat und Spanplatte, herrschte die Erotik der Hartfaser und des Grobporigen (wer einmal an einer Bodenleiste auf Korkbett geleckt hat, wird mich verstehen). Dabei war ich bei meinen eineinhalb linken Händen nie der Heimwerker, wohl aber musste ich mich häuslicherseits häufiger in Tätigkeiten wie dem Wände-Streichen versuchen.

Farbmix-Service fürs Kinderzimmer 

Das Kinderzimmer meiner Tochter enthält in den tiefen Gründen seiner Ursprungstapete nicht weniger als drei (in Zahlen: 3) Schichten aus den unendlichen Weiten des Obi-Farbmix-Service. Eine nette Dame, der das Baumarktgewerbe im Laufe der Jahre orthopädisch eine dienende Bücklinghaltung aufgezwungen hatte, mischte uns binnen fünf Jahren zunächst einen Rosa-Ton, später eine Art Petrol (in CDU-Kreisen spricht man von „hellem Türkisblau“) und schließlich ein Beige, leicht ins Malvenhafte changierend, nachdem wir der jungen Dame daheim ein – Zitat – „Pantone Honeysuckle“ ausreden konnten. Was das ist? Keine Ahnung, denn wir Männer sind bekanntlich nur in der Lage, zwölf Grundtöne zu erkennen sowie Staub jenseits der Flusengröße 1 Zentimeter.

Ein kleines Vermögen für die Gartenabteilung

So schritten die Jahre voran. Als das eigene Haus erworben und der Garten ansehnlich gestaltet werden wollte, penetrierte ich die die entsprechende Outdoor-Abteilung wöchentlich mehrfach auf der Suche nach Steingarten-tauglichen Gewächsen. Allein mein Hang zu Hauswurz und Phlox dürfte dem Inhaber ein kleines Vermögen eingetragen haben.

Nicht zu vergessen: die auf Historisch getrimmte Handschwengelpumpe; mehrere Komposter aus Holz und Kunststoff; Randsteine in mannigfacher Form; Erden und Rindenmulch; Mengen an Unkrautvlies, mit denen Christo den Reichstag noch einmal verhüllen könnte. Und der Klassiker: die Markise von O.

Und ja, ich schäme mich nicht, es zu sagen: Es gab auch manche Differenz zwischen uns. Unschöne Gedanken trage ich in mir, wenn ich darüber sinniere, dass Elektrogeräte wie Bachlaufpumpe oder Außendeko-Laterne ihren Dienst justament vor dem Garantieablauf quittierten.

Oder wie kompliziert das Aufspüren Deiner Mitarbeiter bisweilen vonstattenging. Sollten jene recht behalten, die bis heute behaupten: Baumarkt-Angestellte haben die Technik der Bilokation erlernt – also das gleichzeitige Erscheinen an zwei Orten, wie es für gewöhnlich nur katholischen Geistlichen vorbehalten ist?

Womöglich stimmt es, dass sich jeder, der einen Baumarkt-Overall trägt, damit gleichsam einer Tarnvorrichtung in der Lage ist, unsichtbar zu werden, indem er mit dem Hintergrund verschmilzt – egal ob Werkzeugkasten, Fliesenspiegel oder Duschvorhang? Ich glaube ja, dass die Fähigkeit zur Semipermeabilität, also der Halbdurchlässigkeit wie bei Filtern, die beste Erklärung darstellt für das Auf- und Abtauchen in einem Atemzug. Sprich: rein ins Furnier, raus ausm Furnier. Sicher stand David Copperfield als Ausbilder Pate.

Irgendwann bin ich Obi untreu geworden

Wie bei vielen Sensationen unvermeidlich: Der Aha-Effekt nützt sich bei häufigerem Gebrauch zunehmend ab. Irgendwann wurde der Baumarktbesuch zur Routine. Schnell noch zehn Säcke Pellets für die Heizung besorgen? Check. Quarzsand für die Pflasterfugen? Check. Der Pinsel für die Holzgrundierung des Gartenhäuschens? Check. Dünger für Palmen aller Art? Check.

Ja, Du warst immer da. Aber wer immer da ist, wird irgendwann uninteressant. Und so habe ich mich jahrelang nicht blicken lassen. Blieb abstinent, selbst bei den besten Superduperbillig-Angeboten. Und nebenan wuchs die Konkurrenz sprichwörtlich aus dem Boden. Die neue Welt nannte sich auch noch „Globus“.

Anfangs wollte ich nur mal gucken. Aber wer kennt das nicht: Aus Schauen wird Untreue. Zudem wusste ich, dass es Alternativen gab (der Praktiker ist bereits Geschichte). Ein „Tedox“ öffnete, dazu erinnerte ich mich wieder an den „Bauklotz“ Haberstumpf/Winkler am Schwedensteg.

Und nun? Hast Du nur noch wenige Tage. Am 28. September endet das Kapitel Obi in Kulmbach. Damit endet unsere Liaison. Über dem „Wow“ von einst senkt sich das Leichentuch der (Bau-)Marktbereinigung. „Wir haben für die Einwohnerzahl in Kulmbach zu viel Baumarktfläche“, hat Dein Franchise-Nehmer Klaus Kerl neulich gesagt. Und angefügt: Eine Wiederbelebung sei zu teuer. Da musste ich kurz schlucken, ließ die schönen Momente am inneren Auge vorbeiziehen. Wie es in Traueranzeigen geschrieben steht, so dachte auch ich mir bei der Meldung Deines Ablebens: „Wir glaubten, wir hätten noch so viel Zeit…“

Was wird aus Obi? Von mir aus eine Eislaufhalle!

Nun lebe wohl, alter Freund. Ich weiß, ich hätte Dich auf Deine alten Tage öfter besuchen sollen, und wenn es nur um der alten Zeiten willen gewesen wäre. Was aus Dir wird, weiß vielleicht nur der Wind. Einige Anregungen kamen bereits. Warum nicht Büroflächen für Start-up-Firmen? Oder: In Kulmbach fehlt eine Indoor-Arena, nachdem die bestehende am Goldenen Feld abgebrannt ist. Vielleicht erleben wir Minigolf unterm Hallendach samt Boulderwand und Inline-Skater-Rondell?

Ich träume von einem anderen Wahnsinn, die Wiederholung eines Wunders: Schlittschuhlaufen unterm Hallendach! Die Kunsteisbahn zieht in Deine geheiligten Hallen um. Nie wieder Regen, Schnee und Laub auf der Eisfläche.

Egal, was kommt: So long Obi! Oder wie es Wolfgang Niedecken sagen würde: Mach et joot.

Lesen Sie auch:

Inhalt teilen
  • kopiert!