Faktencheck Messer-Vorfall: Leser kommentieren, wir ordnen ein Zum Messer-Video aus Kulmbach sind viele Kommentare eingegangen // Foto: Screenshot Facebook TEILEN  02.07.2025 Kulmbach – Ein Messervideo aus Kulmbach hat auch in unseren Kommentarspalten für Reaktionen gesorgt. Warum wurde der Mann freigelassen und welche Konsequenzen gibt es? Wir gehen den Fakten nach und klären auf. Artikel anhören Sie können uns nicht hören? Diese Funktion können Sie exklusiv mit PLUS nutzen. Erhalten Sie uneingeschränkten Zugriff auf alle Audioinhalte, Artikel und vieles mehr. Vorlesefunktion freischalten Bereits -Zugriff? Jetzt Anmelden Was ist passiert? Am Sonntagabend hatte ein 24-Jähriger nach einem Streit mit einem 19-Jährigen im Gasfabrikgäßchen in Kulmbach plötzlich ein Messer aus dem Hosenbund gezogen. Der Mann wurde danach von der Polizei gestellt und im Anschluss wieder freigelassen. Das Messer wurde ihm von den Beamten abgenommen. Verletzt wurde niemand. Nach dem Vorfall machen sich viele Kulmbacher Sorgen oder haben Angst. Das zeigt sich auch in zahlreichen Facebook-Kommentaren auf unserer Seite. Wir ordnen die wichtigsten Dinge ein. Die häufigsten Kommentare „Ich finde es eher erschreckend, dass diese Person wieder auf freiem Fuß ist“ „Und das hat keine Konsequenzen?“ „Und wir dürfen kein Brotzeitmesser mit dabei haben und die dürfen alles“ „Unsereins wird schon eine Strafe aufgedrückt, wenn man mal ein Bier in der Stadt trinken sollte. Da ist die Polizei schnell.“ „Wenn mich jemand mit dem Messer attackiert und ich durch meine Kampfsport-Kenntnisse demjenigen irgendwie auch nur ansatzweise weh tue, bin ICH der Buhmann“ „Kritisch ist eher, dass sowas bei uns mittlerweile an der Tagesordnung ist“ „Es vergeht kein Tag mehr, wo in Deutschland einer abgestochen wird“ „Wir leben nicht mehr im Jahre 1980, wo man einfach seine Kinder rauslassen konnte“ „Nicht einmal im Polizeibericht erscheint der Vorfall?“ „Man beachte wieder einmal, welche Staatsangehörigkeiten beide haben“ „Es ist völlig richtig, dass es gezeigt und verbreitet wird!“ „Das Problem ist weniger das Verbreiten der Videos, sondern, dass viele Fälle nicht zur Anzeige kommen oder vertuscht werden“ „Seit wann werden nun die Provokateure und Messermänner auch noch unter dem Schutz der Presse gestellt?“ Tat, Freilassung und Konsequenzen 1. „Ich finde es eher erschreckend, dass diese Person wieder auf freiem Fuß ist“ Da viele verwundert waren, warum der Mann, der im Video zu sehen war, freigelassen wurde, haben wir den Kulmbacher Polizeichef dazu befragt. Peter Hübner verweist auf die Rechtslage. Die Polizei war verpflichtet, den 24-Jährigen freizulassen. „Wenn jemand einen Wohnsitz und eine Arbeitsstelle in Deutschland hat, müssen wir denjenigen freilassen.“ Der weitere Verlauf ergibt sich dann aus der Ermittlung eines jeweiligen Straftatbestands. Grundsätzlich darf die Polizei niemanden „länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten“. Das ist in Artikel 104 des Grundgesetzes geregelt. Darin heißt es weiter: „Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.“ nach oben Die Polizei Kulmbach hat im Gasfabrikgäßchen durchgegriffen // Tobias Hase/dpa 2. „Und das hat keine Konsequenzen?“ Das wird sich zeigen. Das Mitführen von Messern einer bestimmten Größe fällt unter das Waffengesetz, einige Messer sind grundsätzlich in Deutschland verboten (dazu gehören Butterflymesser oder Fallmesser). Verstöße gegen ein Führungsverbot (d.h. das Mitführen grundsätzlich erlaubter Messer, die man aber nicht in der Öffentlichkeit bei sich haben darf), stellen eine Ordnungswidrigkeit dar und können ein Bußgeld von bis zu 10.000 Euro nach sich ziehen. Verbotene Messer zu besitzen und dabei zu haben, kann als Straftat gewertet werden und mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren zu ahnden. Das ist eine Einzelfallentscheidung, die Rechtsinstanzen prüfen müssen. Auch ein Tatbestand der Bedrohung könnte beim 24-Jährigen geprüft werden. Diese sind in Paragraf 241 des Strafgesetzbuchs geregelt und können Geld- oder Freiheitsstrafen mit sich bringen. Kulmbachs Polizeichef Hübner sagt, dass es 5 bis 6 Monate dauert, bis feststeht, inwieweit sich der besagte Mann für sein Vergehen verantworten muss. nach oben Rechte und Pflichten 3. „Und wir dürfen kein Brotzeitmesser mit dabei haben und die dürfen alles“ Nach Art. 3 unseres Grundgesetzes sind vor dem Gesetz alle Menschen gleich - niemand darf „alles“, während ein anderer „nichts“ darf. Das Mitführen von Messern ist gesetzlich geregelt. Ob ein Messer verboten ist, hängt von der Art des Messers, der Funktionsweise und der Länge der Klinge ab. Das Ganze ist unter § 42a WaffG geregelt. Ein gewöhnliches Brotzeitmesser darf man dabei haben, solange es die Klingenlänge von 12 cm nicht überschreitet. Ausgenommen davon sind Messerverbotszonen. nach oben 4. „Unsereins wird schon eine Strafe aufgedrückt, wenn man mal ein Bier in der Stadt trinken sollte. Da ist die Polizei schnell.“ Das kann man so nicht sagen. Im Grundgesetz ist unter Artikel 2, Paragraf 1 geregelt: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Alkohol in der Öffentlichkeit zu konsumieren, ist erlaubt, solange sich andere nicht gestört fühlen oder es zu Sachbeschädigung oder Körperverletzung kommt. Ausgenommen davon sind explizite Alkoholverbotszonen. nach oben Vor dem Deutschen Gesetz sind alle Menschen gleich // David-Wolfgang Ebener/dpa 5. „Wenn mich jemand mit dem Messer attackiert und ich durch meine Kampfsport-Kenntnisse demjenigen irgendwie auch nur ansatzweise weh tue, bin ICH der Buhmann“ Das kommt darauf an. Jeder hat das Recht, sich aus Notwehr zu verteidigen. Das ist § 227 BGB sowie in § 32 Notwehr StGB geregelt. „Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“ Jedoch ist Notwehr nicht grenzenlos und darf nicht in einem sogenannten Notwehrexzess ausarten, der das erforderliche Maß der Verteidigung überschreitet. nach oben Zahlen zu Messerangriffen und Kriminalität in Deutschland und Oberfranken 6. „Kritisch ist eher, dass sowas bei uns mittlerweile an der Tagesordnung ist“ Das bedarf einer Einordnung. Insgesamt gibt es einen Anstieg an Vorfällen an Messerangriffen. Die Polizei ist dazu übergangen, diese in der Kriminalstatistik explizit als solche zu benennen. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 29.014 Straftaten als „Messerangriff“ erfasst. In der Gesamtstatistik aller Gewaltverbrechen machen diese 10,8 % aller Straftaten aus. Am Tag macht das ca. 80 Angriffe in ganz Deutschland. Darunter fallen Tötungsdelikte, sexueller Missbrauch, Raubdelikte und Körperverletzung. Aus der Polizeistatistik für Oberfranken geht hervor, dass es im Jahr 2024 insgesamt 77 Messerangriffe gab. Das ist ca. jeden 5. Tag einer in unserer Region. nach oben 7. „Es vergeht kein Tag mehr, wo in Deutschland einer abgestochen wird“ Das stimmt so nicht. Laut Polizeistatistik gab es im Jahr 2024 insgesamt 584 vollendete Tötungsdelikte (Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen). 30,7 % davon wurden mit einem Messer begangen, was insgesamt 179 Tötungsdelikte mit einem Messer darstellt. Im Vergleich: Laut Statistischem Bundesamt gab es im Jahr 2023 insgesamt 2.839 Verkehrstote, das macht ca. 8 Tote pro Tag. Statistisch ist es wahrscheinlicher bei einem Verkehrsunfall zu sterben als durch einen Messerangriff. nach oben 8. „Wir leben nicht mehr im Jahre 1980, wo man einfach seine Kinder rauslassen konnte“ Das ist relativ. Bereits im Jahr 1980 gab es laut Polizeistatistik rund 3,8 Millionen verzeichnete Straftaten in Deutschland. 2024 gab es zwar rund 2 Millionen Straftaten mehr, allerdings ist die Bevölkerung auch um mehr als 20 Millionen auf 83,6 Millionen Bürger gewachsen. Die Polizei legt für Straftaten eine Häufigkeitszahl fest. Diese beschreibt das Verhältnis der bekannt gewordenen Straftaten pro hunderttausend Einwohner.1980 lag diese in ganz Deutschland bei 6.198, im vergangenen Jahr bei 6.982. Vor allem im Bereich der Sexualdelikte ist es in den letzten Jahrzehnten aber auch zu einer Verschärfung der Gesetze gekommen, was einen Vergleich der Zahlen schwierig macht. Fälle von versuchtem oder vollendetem Mord- und Totschlag gab es 1980 im Übrigen häufiger als 2024. Damals waren es 2.705 Fälle im ganzen Jahr, 2024 im Vergleich 2.303 Fälle. Deutschland gilt laut des „Global Peace Index“ von 2024 als sehr sicheres Land, international liegen wir auf Platz 20. Die Sicherheit wird hier als „hoch“ eingestuft. nach oben Bei einem Messerangriff sollten vor allem Ungeübte nicht den Helden spielen. // Symbolbild: animaflora/Adobe Stock 9. „Nicht einmal im Polizeibericht erscheint der Vorfall?“ Das ist möglich, muss aber nicht sein. Die polizeiliche Kriminalstatistik umfasst: „Die der Polizei bekannt gewordenen rechtswidrigen Straftaten einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche, die Anzahl der ermittelten Tatverdächtigen und eine Reihe weiterer Angaben zu Fällen, Opfern oder Tatverdächtigen.“ Nicht enthalten sind: Staatsschutzdelikte, Verkehrsdelikte, Ordnungswidrigkeiten, Finanz- und Steuerdelikte, Straftaten, die unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft angezeigt werden. Ob der Vorfall aus Kulmbach also in der Statistik landet, hängt vom Strafmaß ab. nach oben 10. „Man beachte wieder einmal, welche Staatsangehörigkeiten beide haben“ Die Nationalität spielt bei Straftaten nur bedingt eine Rolle. Bei dem Vorfall in Kulmbach ging es um einen Streit zwischen einem Irkaer und einem Tschechen. Die Mehrheit der verübten Straftaten werden von Deutschen begangen. Aus der Polizeistatistik geht hervor, dass 2024 insgesamt 2.184.834 Tatverdächtige erfasst wurden. Über die Hälfte (58,2 %) waren Deutsche, 41,8 % Nichtdeutsche, wovon 17,6 % Zuwanderer waren. nach oben Die Verbreitung des Videos im Netz 11. „Ist am Ende derjenige, der filmt, dafür verantwortlich, wenn einer in der Öffentlichkeit jemanden mit einem Messer bedroht? Ich glaube nicht.“ / „Es ist völlig richtig, dass es gezeigt und verbreitet wird!“ Das stimmt nicht. Das Ins-Netz-Stellen eines Videos einer fremden Person ist laut Datenschutzrecht ohne Erlaubnis nicht zulässig. Das Recht am eigenen Bild ist ein grundlegendes Persönlichkeitsrecht, das jeder besitzt. nach oben Unsere Berichterstattung 12. „Das Problem ist weniger das Verbreiten der Videos, sondern, dass viele Fälle nicht zur Anzeige kommen oder vertuscht werden“ Das ist so nicht richtig. Neben unserer Nachfrage beim Polizeichef haben wir auch über den Vorfall an sich berichtet. Inwieweit wir berichten können, hängt davon ab, welche Informationen wir von der Polizei erhalten. nach oben Video verbreitet sich Mann droht in Kulmbach mit Messer auf offener Straße Seit Montag verbreitet sich ein Video auf Facebook. Es zeigt einen Mann, der auf offener Straße mit einem Messer fuchtelt und pöbelt. Was ist passiert? 13. „Seit wann werden nun die Provokateure und Messermänner auch noch unter dem Schutz der Presse gestellt?“ Das ist so nicht richtig. Zu unseren Pflichten als Journalisten gehört es, über Vorfälle zu berichten. Vorverurteilungen nehmen wir nicht vor. Das Teilen von Gewaltvideos im Netz und deren Auswirkungen auf die polizeiliche Ermittlungsarbeit und gesamtgesellschaftliche Folgen spielen eine Rolle. Inwieweit es Konsequenzen für den Mann mit dem Messer gibt, müssen Rechtsinstanzen entscheiden. „Und das hat keine Konsequenzen?“nach oben Quellen zu unserem Faktencheck Polizeiliche Kriminalstatistik 2024 Polizeiliche Kriminalstatistik 1980 Oberfränkische Kriminalstatistik BGB StGB