Was ist eigentlich, wenn die Feiertage nicht das Fest der Liebe, sondern das Fest der Krise werden könnten? Trauer um verstorbene Angehörige oder um Freundinnen und Freunde, Trennungen, Scheidungen, aber auch körperliche wie psychische Krankheiten können ein Grund dafür sein, dass es Menschen in diesen Tagen schlecht geht.
Anke Wagner, Psychologin, geschäftsführende Vorständin des Hospizvereins Bamberg und Leiterin des Arbeitskreises Trauerbegleitung im Hospizverein, gibt im Podcast Fränkischer Talk zahlreiche hilfreiche Tipps und Strategien für Betroffene, aber auch für Freunde und Angehörige.
Das ganze Gespräch hören Sie hier:
Nachfolgend lesen Sie Auszüge aus dem Interview. Für eine bessere Lesbarkeit haben wir einige Aussagen gekürzt.
Für einige Menschen sind Silvester und Neujahr noch schwieriger auszuhalten als Weihnachten. Warum ist das so?
Das ist eine der Rückmeldungen, die ich oft aus Trauergruppen mitnehme. Das alte Jahr beenden und das neue anfangen, kann schon eine Herausforderung sein, weil man sich ans letzte Silvester erinnert. Da hat man sich alles Gute gewünscht fürs neue Jahr. Und es war kein gutes Jahr. Trauernde sind ja gerade in einem Zustand, wo sie sich die Zukunft nicht so gut vorstellen können oder wollen, weil sie sagen: "Ich weiß nicht, ob ich eine Zukunft habe, die mir jetzt noch gefällt. Eigentlich gefällt mir mein Leben so im Moment, wie es ist, gar nicht."
Vielleicht sind sie an Weihnachten noch in die Familie integriert, und Silvester und Neujahr werden eher vergessen. Und in den Tagen zwischen den Jahren, da ist eine lange Zeit nichts: viele Feiertage hintereinander, vielleicht fallen die dann auch noch auf unter die Woche. Dann ist Wochenende, die Geschäfte geschlossen, alles ist still. Es sind die dunkelsten Tage im Jahr und dann kommt auch noch dieses Ende dieser Zeit.
Was kann ich schon vorher tun, um die Feiertage möglichst gut zu gestalten?
Planung und Struktur sind immer gut, wenn es um psychische Themen geht. Wenn man sich also in der Adventszeit ein Gedankengebilde aufgebaut hat, "Oh Gott, was mache ich in den Weihnachtstagen? Hoffentlich überstehe ich das gut! Soll ich zum Friedhof? Soll ich in die Kirche?", dann ist es angsterfüllend für manche Menschen. Für uns ist es immer schwierig, wenn wir nicht genau wissen, was auf uns zukommt, und Angstgefühle verstärken jegliche Trauersymptome.
Und da ist es einfach gut, man hat einen Plan im Kopf, möglichst konkret, was man an diesen Weihnachtsfeiertagen macht. Es kann so weit gehen, dass ich mir eine Liste schreibe: 8 Uhr Aufstehen, 9 Uhr Frühstück, 10 Uhr Spaziergang, 11 Uhr Telefonat mit einer Freundin, 12 Uhr Suppe essen, 13 Uhr kurzen Film schauen, 14 Uhr kurzer Spaziergang. Und dann mache ich einfach um 17 Uhr noch mal einen kleinen Chat mit einer Freundin. Dann hat man eine gewisse Sicherheit, wie dieser Tag ablaufen kann. Das gibt Halt. Und wenn man das noch im Bewusstsein macht, dass man in diesen Tagen nicht glücklich sein muss und nicht glücklich sein wird, dass man sie einfach gut übersteht, ohne ganz tief zu fallen, finde ich solche Planungen recht gut.
Was sollten Menschen tun, die sich nicht sicher sind, ob ihnen Gesellschaft oder eine fröhliche Familie guttun?
Ich finde immer, Trauernde wissen schon, was ihnen gut tut und was sie nicht wollen oder was ihre Situation verschlimmert. Und wenn ich mir vorstelle, dass ich eingeladen bin bei einer Familie mit Kindern und ich bin eigentlich gar nicht in der Stimmung danach, dann könnte es schwierig sein für mich, dorthin zu gehen. Aber statt gleich kategorisch abzulehnen, könnte man sagen: "Ja, ich gucke kurz vorbei. Ja, ich komme zum Kaffeetrinken oder zum Mittagessen." Und in der Stunde ist es ganz gut, rauszugehen, mal was anderes zu sehen.
Aber Überforderung ist auch nicht gut. Das würde einem nur zeigen, dass es einem schlecht geht und dann kommt Hoffnungslosigkeit. Deswegen muss man sich vorher überlegen: Tun mir die Menschen gut, zu denen ich da gehe? Darf ich da sein, wie ich bin? Wissen die über meine Situation Bescheid? Sind die da auch bereit, in dieser Situation ein bisschen was für mich zu tun, zum Beispiel, dass man kurz auch über den Verstorbenen spricht, wenn es um Trauernde geht. Sie können normalerweise auch positive Gefühle parallel erleben zu ihrer Trauer. Man kann traurig sein und kann sich trotzdem an den Kindern freuen, wie sie die Geschenke auspacken.
Das unterscheidet die Trauer auch von der Depression. Der Depressive wäre dafür nicht offen oder dazu fähig, er würde sagen: "Ich fühle nichts, bei mir ist die Nulllinie, ich kann mich nicht freuen."
Gibt es hilfreiche Sätze, die Freunde oder Angehörige gut sagen können? Und welche sagt man am besten gar nicht?
Das muss ich jetzt wieder auf die Trauer beziehen, weil ich glaube, da lässt sich es gut plakativ machen: Alles, was "Wegtrösten" ist, wie "das wird schon wieder" oder "du bist ja noch jung" sind Sätze, die bei Trauernden gar nicht gut ankommen. Die gehen alle um das Thema Trost oder "reiß dich doch mal zusammen" oder "es ist doch schon das zweite Weihnachten und immer noch heulst du".
Oder alles mit "du musst mal": "du musst jetzt mal raus", "du musst mal dies machen", "du musst mal wegfahren", "du musst dir mal einen Freund suchen". Das sind so Ratschläge, wo die Schläge im Vordergrund stehen.
Was man sagen kann ist, dass man sich interessiert für den anderen: "Wie geht es dir? Wie fühlst du dich? Wie ist es gerade?" Zuhören ist das probate Mittel. Und vor allem sollten die Menschen, die dann zuhören wollen, wirklich zuhören und nicht nach einer halben Minute sagen: "Na ja, also bei mir war das damals so, als ich meine Mutter verloren hab oder als ich meinen ersten Freund verlassen habe."
Was raten Sie Menschen, die einsam sind, die schon lange alleinstehend sind, die keine Familie haben?
Ich würde gucken, wo es Möglichkeiten gibt, über Weihnachten in einer Gruppe unterzukommen. Es gibt Angebote, wenn ich dafür offen bin, dass ich die Zeit mit anderen gemeinsam oder zumindest teilweise mit anderen gemeinsam verbringen kann. Man kann in kirchlichen Aspekten nachgucken, man kann aber auch Reiseveranstalter kontaktieren, ob es über Weihnachten für alleinstehende Menschen Angebote gibt. Es gibt vielleicht Selbsthilfegruppen, die Einsamkeit adressieren und über Weihnachten ein Essen oder ein Treffen organisieren.
Und wenn am Weihnachtstag alle Stricke reißen und ich sag: "Jetzt sitz ich schon wieder alleine da, eigentlich hätt ich mir gewünscht, das ist dieses Jahr nicht so, mein ganzes Leben wächst mir über den Kopf", dann kann man immer noch entweder den Krisendienst oder die Telefonseelsorge anrufen oder mit der Telefonseelsorge chatten oder E-Mails schreiben, was für einsame Menschen vielleicht auch eine Möglichkeit ist. (Anm. d. Red.: Infos und Kontakt finden Sie am Ende des Artikels)
Wie kann man in der Familie den typischen "Weihnachtsstreit" vermeiden?
Und auch da kann man sich als Familie vorher schon zusammensetzen und kann sagen: "Mensch, wir müssen jetzt nicht das beste Weihnachten aller Zeiten verbringen, aber vielleicht schaffen wir es, ohne dass wir uns streiten oder zoffen." Man kann zum Beispiel ausmachen, dass man verschiedene Themen vermeidet, die immer wieder zu Streit führen, wie Politik, Gewicht oder Alkohol. Oder dass man sagt, wir nehmen jetzt ein Wort und wenn das jemand sagt, dann wechseln wir sofort das Thema.
Was, wenn der Weinkrampf oder ein Zusammenbruch trotzdem kommen?
Weinen entspannt das Nervensystem, es fährt es wieder runter. Weinen Sie ruhig. Wenn es sich um ein eher hysterisches Weinen mit Hyperventilation handelt, vielleicht die Hände unter kaltes Wasser halten, duschen oder spazieren gehen oder jemanden anrufen, nicht ewig quatschen, aber vielleicht fünf Minuten. Was kochen, was häkeln, eine kleine Aufgabe erfüllen, Schubladen ausräumen, irgend so was. Was man noch machen kann, ist sich abklopfen: auf den Arm, in die Hände oder auf die Beine klopfen. Oder an etwas riechen, was sehr stark riecht.
Wann kann ich mich als Freundin, als Angehörige, sicher fühlen, dass ich mit dem Plätzchenteller in der Hand mal kurz klingeln und Hallo sagen kann?
Das kann man glaube ich immer. Das ist sogar wirklich wichtig. Man kann auch eine WhatsApp-Nachricht schreiben oder kurz durchrufen und sagen: "Du, ich bring dir ein paar Plätzchen vorbei, ich klingel' nur kurz, ich komme nicht mit rein. Wenn du nicht aufmachst, ist auch okay, ich stell sie vor die Tür."
Ich finde gut, wenn man was mitbringt, was man vor die Tür stellen kann, zum Beispiel ein gekochtes Essen. Viele Trauernde kochen sich nichts mehr, sie essen irgendwas zwischendurch auf die Hand. Kochen oder Essen ist ein großer Trigger, gerade für ältere Menschen, die zu zweit gelebt haben.
Es gibt den Satz "Meld dich, wenn du was brauchst". Das tun die Hilfebedürftigen aber im seltensten Fall. Wo kann ich aktiv aus eigenem Antrieb helfen, wo beginnt Übergriffigkeit?
Übergriffigkeit beginnt immer dann, wenn der andere keine Wahl mehr hat, ob er es annimmt oder nicht. Wenn man sagt: "Du ziehst dich an, ich hole dich und du verbringst Weihnachten bei uns" – das wäre übergriffig. Oder wenn derjenige sich erklären muss, ewig lang, warum er etwas nicht möchte. Wenn man das nicht akzeptiert, auch das ist schon so eine Grenze. Also, ich finde, man sollte da ganz offen fragen: "Möchtest du, dass wir dich Weihnachten vielleicht besuchen kommen, oder dass du zu uns kommst?" Und dann kann man ja auch fragen: "Wie lange möchtest du kommen?"
Viele weitere konkrete Hilfestellungen und Ratschläge gibt Anke Wagner im Podcast Fränkischer Talk. Dieser ist nicht nur über den Player in diesem Artikel zu hören, sondern auch überall sonst, wo es gute Podcasts gibt, wie bei Spotify, Apple Podcasts oder Deezer.
Hilfsangebote im Überblick:
Wer am Weihnachtstag konkrete Hilfe braucht, erreicht den Krisendienst unter der Nummer 0800 - 655 3000. Mehr Infos zum Krisendienst finden Sie hier.
Rund um die Uhr erreichbar ist auch die Telefonseelsorge unter 0800 - 111 0 111 oder 0800 - 111 0 222. Für mehr Infos und die Möglichkeit für einen schriftlichen Austausch via Chat bitte hier klicken.
Das Kinder- und Jugendtelefon ist unter 116 111 erreichbar.
Der Hospizverein Bamberg bietet an jedem ersten Montag im Monat ein Trauercafé an. Infos gibt es im Hospizbüro unter Telefon 0951 - 95 50 70 oder per Mail unter kontakt@hospizverein-bamberg.de
Die Links und Telefonnummern aller Hilfsangebote in der Region finden Sie hier.










