Es war keineswegs ein freiwilliger Rückzug. Doch am Ende hatte Fabrice Leggeri keinen Rückhalt mehr – und auch keine andere Wahl, als sein Amt niederzulegen. Denn die Vorwürfe gegen den nun ehemaligen Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex wiegen zu schwer, als dass der Franzose noch zu halten gewesen wäre.
Leggeri und weitere Beamte sollen laut Ermittlungen, unter anderem der EU-Anti-Betrugsbehörde Olaf, illegale Zurückweisungen von Migranten von Seiten der griechischen Küstenwache absichtlich vertuscht haben. Die sogenannten Pushbacks verstoßen gegen internationales Recht. Zudem garantiert die Grundrechte-Charta der EU das Recht auf Asyl nach der Genfer Flüchtlingskonvention.
Hat Frontex trotzdem illegale Praktiken der griechischen Grenzschützer im Umgang mit Migranten gedeckt oder sich sogar daran beteiligt? Leggeri, der seit 2015 an der Spitze der Behörde mit Sitz in Warschau stand, wies die seit Monaten immer lauter werdende Kritik gegen sich und seine Mitarbeiter zurück. Doch Menschenrechtler kritisierten regelmäßig die unrechtmäßigen Aktionen im Mittelmeer, einige davon durchgeführt mit Unterstützung von Frontex, wie Recherchen mehrerer Medien, darunter dem „Spiegel“, belegen.
Mindestens 957 Flüchtlinge wurden illegal zurückgewiesen
Demnach war Frontex zwischen März 2020 und September 2021 in illegale Pushbacks von mindestens 957 Flüchtlingen involviert. Das seien die zweifelsfrei beweisbaren Fälle. Die wahre Zahl der Pushbacks, bei denen Frontex behilflich war, „liegt höchstwahrscheinlich noch höher“, hieß es.
Verstörende Videos stützen die Berichte. So zeigt eines etwa, wie die griechische Küstenwache ein Rettungsfloß voller Migranten aufs Mittelmeer zieht und dann die Leine kappt, sobald sich das Boot mit den Hilfesuchenden zurück in türkischen Gewässern befindet.
Schutzsuchende gnadenlos den Elementen ausgesetzt
Die Menschen? Auf dem Meer zurückgelassen.
Den Recherchen des Medien-Netzwerks zufolge beschönigte Frontex in der eigenen Datenbank die Zurückweisungen und stufte sie nicht als Pushbacks, sondern als „prevention of departure“ ein, also „Verhinderung der Ausreise“. Mit dem Begriff wird suggeriert, dass die türkische Küstenwache von sich aus eingegriffen und Flüchtende gestoppt hätte.
Dabei sieht die Wahrheit oft anders aus: Schutzsuchende werden an den EU-Außengrenzen auf dem Mittelmeer teils gewaltsam zurückgedrängt oder aufs offene Meer zurückgebracht, damit sie keinen Asylantrag in Europa stellen können. Laut der norwegischen Nichtregierungsorganisation Aegean Boat Report wurden seit 2020 rund 30.000 Menschen von den griechischen Behörden zurückgewiesen.
Es könnte für Frontex noch dicker kommen
Bereits im November 2020 waren Hinweise auf Pushbacks und eine mögliche Mitwirkung oder zumindest ein Mitwissen der Behörde bekannt geworden. Damals durchsuchten Beamte von Olaf unter anderem das Büro von Leggeri.
Der Untersuchungsbericht aber blieb bislang unter Verschluss. Er soll in Kürze veröffentlicht werden – und könnte für weiteren Sprengstoff sorgen.