Im Schatten des Krieges in der Ukraine hat die Omikron-Welle an Kraft gewonnen. Die Zahl der Neuinfizierten hat wieder die Marke von 200 000 überschritten – pro Tag. Die Bundesregierung bleibt dennoch bei ihrem Plan, dass bald Schluss ist mit den Zumutungen der Seuchenpolitik.
Am 20. März gilt eine neue Normalität in der Pandemie: volle Konzertsäle, volle Fußballstadien, volle Büros, Essengehen ohne Impfnachweis oder Test und private Feiern mit so vielen Gästen, wie man einladen möchte. Die Ausbreitung des Erregers bremsen sollen Masken und Corona-Tests.
Mund und Nase werden nach dem Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) weiter in Bussen und Bahnen verdeckt werden müssen, genau wie in Krankenhäusern, Altenheimen und Schulen. Das Personal im Gesundheitswesen und Schüler sollen auch weiterhin regelmäßig getestet werden.
Es gibt eine Sicherheitslinie
„Niemand will das Signal senden, als sei die Welt wieder vor Corona“, sagte Buschmann am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung des Gesetzentwurfes. Die Lockerungen hält die Ampel-Koalition für vertretbar, weil Omikron weniger Angesteckte in die Krankenhäuser bringt.
In der Tat kommen derzeit nur noch halb so viele Corona-Patienten ins Krankenhaus wie vor vier Wochen. Auf den Intensivstationen kämpfen über 2100 Infizierte um ihr Überleben und damit deutlich weniger als die 5000, die es um den Jahreswechsel taten. Das Regierungsbündnis aus SPD, FDP und Grünen hat dennoch eine Sicherheitslinie eingezogen.
Wo Corona besonders arg umgeht, können wieder schärfere Beschränkungen verhängt werden. Das ist möglich, wenn in einem Stadtteil, einer Stadt oder einem Landkreis die Zahl der Neuinfektionen sehr hoch ist, außerordentlich schnell steigt und die Krankenhäuser an ihr Limit kommen. Es ist auch möglich, wenn eine neue, gefährliche Virusmutation auftritt. Dann kann in diesem Hotspot zum Beispiel wieder angeordnet werden, dass in Kneipen die 3G-Regel greift, also nur Geimpfte, Getestete und Genesene das Lokal besuchen dürfen.
Keine Durchseuchung
Wirte, Kinobesitzer und Theaterintendanten müssen gegebenenfalls wieder Hygienekonzepte umsetzen und die Zahl ihrer Gäste begrenzen. Auch Gesundheitsminister Lauterbach will nichts davon wissen, dass Deutschland jetzt umschaltet und die Durchseuchung der Bevölkerung zulässt. „Das können wir uns nicht leisten in Anbetracht, dass wir immer noch zehn Prozent Ungeimpfte bei den über 60-Jährigen haben“, sagte Lauterbach. Wann in einem Landstrich das Infektionsgeschehen außer Kontrolle zu geraten droht, entscheidet nicht die Bundesregierung, sondern die Landtage. Die Koalition hat dafür nur Näherungsbestimmungen erlassen und keine konkreten Inzidenzwerte festgelegt. Medizinisch sei das nicht sinnvoll, begründete Lauterbach das Vorgehen.
Sein bayerischer Amtskollege Klaus Holetschek widersprach deutlich. „Der Bund muss hier auch klar benennen, auf welcher validen Zahlenbasis das geschehen soll“, verlangte der CSU-Politiker. Dass er mit seiner Forderung noch durchdringt, ist indes unwahrscheinlich. Der Bundestag soll den Gesetzentwurf schon am Freitag mit den Stimmen von SPD, Grünen und Liberalen beschließen. Der Bundesrat hat kein Mitbestimmungsrecht. Die Länder müssen die Vorgaben des Bundes umsetzen. Aus eigener Kraft strengere Regeln, wie zum Beispiel Sperrstunden und Ausgangssperren, erlassen, können sie nach Einschätzung von Justizminister Buschmann nicht. „Die Länder können nicht beliebig eigene Maßnahmen zur Abwehr von Corona erfinden“, sagte der Liberale.
Gehen die Lockerungen zu weit?
Wenn es stimmt, was aus den Kreisen der Länder berichtet wird, dann gehen Lauterbach die Lockerungen zu weit. Koalitionsintern hat sich die FDP durchgesetzt. Das war schon einmal schiefgegangen. Im Herbst hatte das seinerzeit frische Ampelbündnis die schärfsten Instrumente der Seuchenpolitik gestrichen. Kurze Zeit später musste der Rechtsrahmen an die Delta-Welle angepasst werden. Für den Justizminister war das eine Schlappe. Er versucht es dennoch ein zweites Mal.