3000 Polizeibeamte, 150 durchsuchte Objekte, 25 Festnahmen – die Großrazzia in der Reichsbürger-Szene Ende 2022 hallt bis heute nach. Auch in der Region. Denn unter den mutmaßlichen Umstürzlern, einem Netzwerk rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß - lebten zwei Akteure mitten unter uns: Peter W. aus Pottenstein und Tomas M. aus Kirchehrenbach. Nun hat die Mammut-Aufarbeitung vor Gericht begonnen. Während der Überlebenstrainer W. bereits vor dem Oberlandesgericht Frankfurt ausgesagt hat, steht für den Angeklagten M. aus dem Landkreis Forchheim der Prozess noch bevor. Los geht es für ihn vor dem Oberlandesgericht München am 18. Juni.
Thomas M. aus Kirchehrenbach: „Militärischer Arm"
Tomas M., 52 Jahre alt, wohnte bis zu seiner Verhaftung in Kirchehrenbach. Laut des Generalbundesanwalts schloss sich M. Ende November 2021 der Reuß-Gruppe an. Der Anklage zufolge sollte er an einem Angriff auf den Deutschen Bundestag teilnehmen, ihn eventuell sogar leiten. Weiter habe er im April 2022 ein Schießtraining absolviert und an Planungstreffen des „militärischen Arms“ teilgenommen. Seine Aufgabe: am Aufbau der sogenannten „Heimatschutzkompanien“ mitwirken. Innerhalb des militärischen Führungsstabs habe er die Leitung des Organisationsbereichs „Menschenwesen“ innegehabt, der nach dem Umsturz unter anderem die Militärgerichtsbarkeit übernehmen und Straftaten auch unter Anwendung der Todesstrafe aburteilen sollte, schreibt der Generalbundesanwalt. Zudem gehörte er anscheinend auch zum Personenschutz für Prinz Reuß.
In Kirchehrenbach selbst schreckte die plötzliche Razzia am Morgen des 7. Dezember 2022 alle auf, von einer aktiven Reichsbürger-Szene wollte damals und heute niemand etwas gehört und gesehen haben. Auch habe es vorher und nachher keine sichtbaren Reichsbürger-Aktivitäten gegeben. Zumindest will keiner so recht darüber reden. Fakt ist nur, der 52-Jährige ist Familienvater, trat vor seiner Verhaftung polizeilich nicht in Erscheinung. Sollten sich die Anschuldigungen im Laufe des Prozesses als begründet herausstellen, lässt sich M. also ein waschechtes Doppelleben attestieren.
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Wie der Bayerische Rundfunk meldet, habe M. Offizier bei der Bundeswehr werden wollen, sei in den Jahren 1995 und 1996 Soldat gewesen und absolvierte einen französischen Einzelkämpferlehrgang. Als aus der Offizierskarriere wohl nichts wurde, gründete M. einen Sicherheitsdienst. Später ließ er sich von der Reuß-Gruppe anwerben, seit dem 7. Dezember 2022 sitzt er nun in Untersuchungshaft.
Verfassungsschutz: Mehr als 5400 Reichsbürger in Bayern
Die Bezeichnung Reichsbürger umfasst jene Gruppen oder Personen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Sie berufen sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich und Verschwörungstheorien. So steht es im aktuellen Bericht des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Demnach lägen bayerischen Sicherheitsbehörden bis Ende 2023 zu mehr als 5400 Personen Hinweise vor, dass sie der Reichsbürger- oder Selbstverwalterszene angehörten. Zwei Drittel davon seien männlich, die meisten zwischen 50 und 60 Jahren alt.
Allein im Landkreis Forchheim schätzt das Landratsamt, dass etwa 85 bis 100 Menschen zur Reichsbürgerszene gehören könnten. Weil es keine erhobenen Zahlen gibt, erwächst diese Annahme aus Indizien. So musste einigen etwa der Waffenschein entzogen werden, beantragen Szeneangehörige nicht selten einen sogenannten Staatsangehörigenausweis, weil sie ihren Personalausweis nicht als gültiges Dokument ansehen. Zwar gehen die Zahlen der Anträge zurück, doch haben in den vergangenen zehn Jahren mindestens 75 Menschen einen solchen Antrag beim Landratsamt Forchheim gestellt. Und: Am 7. Dezember 2022 hatte es im Landkreis Forchheim eine weitere Hausdurchsuchung gegeben, allerdings ohne Festnahme.
27 Angeklagte, Prozesse in Stuttgart, Frankfurt und München
Am 18. Juni beginnt nun gegen den Kirchehrenbacher sowie sieben weitere Personen der Prozess, unter anderem wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens. Insgesamt wird der Mammutprozess gegen die mittlerweile insgesamt 27 Tatverdächtigen auf drei Prozessorte verteilt. In Stuttgart läuft die Verhandlung bereits seit Ende April, vor dem Oberlandesgericht Frankfurt hat sie am 21. Mai begonnen. Dort müssen sich beispielsweise der mutmaßliche Kopf der Gruppe Prinz Reuß sowie eine ehemalige Bundestagsabgeordnete und der Pottensteiner Peter W. verantworten.
Letzterer hatte in der vorigen Woche zum ersten Mal ausgesagt. Auch W., früherer Fallschirmjäger sowie Mitglied des KSK, soll dem Führungsstab des sogenannten „militärischen Arms" angehört haben. W. war in der Region bekannt, unter anderem, weil er als Trainer für Survival-Trainings tätig war. Er soll beim ersten Treffen der Gruppe am 29. Juli 2021 im Landkreis Ansbach zusammen mit weiteren Beschuldigten den Plan gefasst haben, die staatliche Ordnung in Deutschland umzustürzen. Bei ihm wurden zahlreiche Waffen gefunden, zu seinen Aufgaben soll gehört haben, Soldaten für die Vereinigung zu rekrutieren. So wie Tomas M. aus Kirchehrenbach.
Prozess in München zieht sich voraussichtlich bis Januar 2025
Unter dem Vorsitz der Richterin Dagmar Illini startet in München am Dienstag am letzten der drei Austragungsorte der Prozess gegen Thomas M. und seine Mitstreiter. Historisch nicht nur die Räumlichkeiten. Im selben Sitzungssaal wurde fünf Jahre lang der Prozess gegen die Neonazi-Terrorgruppe NSU verhandelt. Historisch auch das Ausmaß: Allein in München sind bislang 55 Termine angesetzt worden, ersten Planungen zufolge wird sich der Prozess in München mindestens bis zum 23. Januar 2025 hinziehen.
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