Vortrag
Pflegekritiker Claus Fussek in Bad Kissingen
Ein im besten Sinn unbequemer Mensch ist Claus Fussek, der seit Jahrzehnten öffentlich das Pflegesystem in Deutschland kritisiert.
Ein im besten Sinn unbequemer Mensch ist Claus Fussek, der seit Jahrzehnten öffentlich das Pflegesystem in Deutschland kritisiert.
Marcus Schlaf
Susanne Will von Susanne Will Saale-Zeitung
Bad Kissingen – Der Insider spricht über Zustände in Heimen, gibt Tipps für die häusliche Pflege und beantwortet Fragen von Saale-Zeitung-Lesern und Leserinnen.

„Wie wollen Sie im Alter in Bad Kissingen leben, wohnen – und gepflegt werden?“ Dieser Frage geht Claus Fussek am 1. Juni 2023 auf Einladung der Saale-Zeitung in Bad Kissingen nach. Im Hotel Bayerischer Hof wird der bekannte Pflege-Experte und Pflege-Kritiker wie gewohnt kein Blatt vor den Mund nehmen, Missstände klar benennen und Lösungsmöglichkeiten liefern.

Ziel: Menschenwürdige Pflege

Claus Fussek, 70, ist diplomierter Sozialpädagoge und wohl der vehementeste Kritiker des deutschen Pflegesystems. Was ihn um- und antreibt: Er möchte eine menschenwürdige Pflege erreichen – egal, ob zuhause oder in einem Heim. Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit könnte größer nicht sein, angesichts vieler Pflegeskandale, überlastetem Pflegepersonal, Personalengpässen, teuren Heimen und pflegenden Familienangehörigen, die kurz vor einem Burnout stehen oder es schon längst erlitten haben.

„Wir sind alle verantwortlich“

„Wir sind alle gefordert, zuständig und verantwortlich“, sagt Fussek, „wir müssen uns kümmern, engagieren, aktiv werden, wir dürfen nicht länger wegschauen, schweigen und verdrängen. Die pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörige dürfen wir nicht im Stich lassen.“ Claus Fussek wird Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, wertvolle Tipps und Hinweise geben, wie man beispielsweise vorbildliche und weniger gute Einrichtungen erkennen kann. Oder aber auch, wie pflegende Angehörige zuhause entlastet und unterstützt werden.

Diskriminierung und Demütigung

Jeden Tag erhält Claus Fussek Anrufe verzweifelter und traumatisierter Angehöriger. „Sie berichten mir über Machtmissbrauch, Diskriminierung, Demütigungen, Erniedrigung, Gewalt und den würdelosen Umgang mit alten und pflegebedürftigen Menschen in vielen Einrichtungen, die eigentlich Schutzräume sein müssten“, sagt der 70-Jährige. Sie kommen aus allen Teilen Deutschlands, auch aus dem Landkreis Bad Kissingen haben sich Menschen an ihn gewendet.

Er frage sich, warum es keinen öffentlichen gesellschaftlichen Aufschrei gibt, vergleichbar mit der „Me too“-Debatte. Jedoch weiß er auch: Die meisten Angehörigen trauen sich nicht, den Mund aufzumachen und die Missstände anzuprangern – aus Angst, dass Vater oder Mutter im Pflegeheim dafür büßen werden.

Kritik auch an Pflegekräften

Seine Kritik bleibt nicht am System hängen - er fordert einen Perspektivwechsel im Blick auch auf die Pflegekräfte, die seiner Meinung nach zu oft im Fokus stehen: schlecht bezahlt und unterbesetzt. 

„Nicht die Pflegekräfte sind die Opfer, sondern die wehrlosen, ausgelieferten, hilflosen, kranken, verletzlichen und sterbenden Menschen. Viele Pflegekräfte, die sich selbst um eigene pflegebedürftige Angehörige in Pflegeheimen und Kliniken kümmern, schildern mir erschütternde Erfahrungen und sagen betroffen: ,Jetzt bin ich auf der anderen Seite’.“

Da frage er dann zurück: „Auf welcher Seite waren Sie denn vorher?“ Er ermutigt seit Jahrzehnten, dass Pfleger und Pflegerinnen aufstehen, Missstände anzeigen – und keine Angst vor Mobbing oder Vorgesetzten haben.

Nur wenige beschweren sich

„Im Laufe der Jahrzehnte habe ich weit über 60 000 Hilferufe erhalten, von Pflegebedürftigen, Angehörigen und Pflegekräften“, sagte er in einem Interview mit dem Münchner Merkur, als er mit 69 Jahren 2022 in Rente ging. „Rente ist das keine, eher ein Unruhestand“, er ist auch weiterhin für Pflegebedürftige da. Seine Niederschriften, Briefe, E-Mails und Fotos hat er in 250 Aktenordnern gesammelt, dem wohl größten Archiv Europas zum Thema Pflege.

Was er im Pflegebereich erfahren hat: „Nur ganz wenige Betroffene haben sich getraut, sich zu beschweren. Ein Missstand, der mir geschildert wurde, betraf ja in der Regel ein ganzes Pflegeheim, also ein Vielfaches an Personen“, sagte er der Zeitung. 

Menschen, die unsere Eltern oder Großeltern sein könnten. „Jeder weiß, was in unseren Pflegeheimen passiert. Alle Missstände, die ich öffentlich gemacht habe, konnte ich beweisen. Doch als Reaktion habe ich meist nur gehört: Es stimmt, was Sie sagen – aber laut aussprechen wollte es keiner.“ 

Mehr als satt und sauber

Fusseks Stimme hat Gewicht und er spricht aus, was alle wissen: Die Pflegekräfte ächzen unter der vielen Arbeit, die sich auf immer weniger Schultern verteilt; satt und sauber scheint in manchen Pflegeheimen das alleinige Ziel zu sein, das auch nicht immer erreicht wird; gute Heime haben eine lange Warteliste; Familienangehörige laufen naiv in eine Katastrophe, wenn sie meinen, ohne Hilfe einen Alten und/oder Kranken pflegen zu können; wer seine geliebten Menschen dann ins Heim bringt, fragt oft nicht mehr: Ist das Heim gut oder schlecht, sondern nur noch: Gibt es ein freies Bett?
„Der Landkreis Bad Kissingen ist wahrscheinlich da keine Ausnahme“, sagt Claus Fussek im Gespräch mit der Redaktion.  

Viele Auszeichnungen für Fussek

Er gilt als Anwalt und Fürsprecher für Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, wurde kürzlich mit dem „Weißen Engel“ von Gesundheitsminister Klaus Holetschek ausgezeichnet. Den erhalten Menschen, die sich langjährig im Gesundheits- und Pflegebereich ehrenamtlich engagieren. 

In seinem 2008 erschienen Hauptwerk „Im Netz der Pflegemafia“ beschreibt er anhand seines Archivs eine Vielzahl von Misshandlungen oder Mängeln in Heimen in Deutschland. Hauptberuflich war er seit 1978 im Münchner ambulanten Beratungs- und Pflegedienst „Vereinigung Integrationsförderung“ tätig, der mit unterschiedlichen Dienstleistungen sozial Benachteiligte unterstützt. Für seine Verdienste hat er das Bundesverdienstkreuz am Bande und auch die Bayerische Gesundheits- und Pflegemedaille erhalten. 

Tipps für die Pflege zuhause

Claus Fussek wird in seinem Vortrag eingehend auf die Probleme im Bereich der Pflege eingehen und er wird wertvolle Tipps für die Pflege zuhause geben – er selbst pflegte zusammen mit seiner Familie zehn Jahre lang seine Eltern. 

Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr. Um sie bestmöglich zu organisieren, bitten wir Sie um eine schriftliche Anmeldung (sie ist nicht zwingend notwendig, jeder ist herzlich willkommen) unter redaktionssekretariat@saale-zeitung.de oder unter der Telefonnummer 0971/8040-158

 

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