Menschen, die Corona noch immer leugnen, machen Natalie Behr (31) wütend. Die Fachkrankenpflegerin blickt durch das Fenster zur Covid-Intensivstation, wo ihre Kollegin einen Mann umbettet, der, verkabelt an dutzenden Schläuchen, mit dem Tod ringt.
Gerade werden in der Coburger Regiomed-Klinik zwei Patienten mit besonders schwerem Verlauf auf der Corona-Station behandelt, ein dritter ist am Tag zuvor gestorben. Für den Moment genügen vier Betten für Corona-Patienten.
Die Zahl kann jederzeit sofort wieder auf sechs erhöht werden. Denn dass wieder mehr Betten gebraucht werden, kann schneller passieren, als viele glauben, mahnt Georg Breuer. "Wir wissen nicht, was nächsten Winter ist", merkt der Leiter der Intensivstation und ärztliche Direktor an, verweist auf den Subtyp BA.2 der Omikron-Variante, die sich gerade in Dänemark ausbreitet und den Forschern Sorgen bereitet.
Einen Ausnahmezustand, wie es zwischen Dezember 2020 und Mai 2021 auf Coburgs Intensivstation der Fall war, will hier niemand mehr erleben. Natalie Behr erinnert sich daran, wie sie über Wochen praktisch jeden Tag einen Toten in den Leichensack packen musste. "Irgendwann war unsere Leichenhalle voll. Dann mussten wir die Toten vor der Tür abstellen." Das sagt die junge Mutter ruhig und nüchtern. Aber was sie und ihre Kollegen erlebt haben, hat sich in ihre Köpfe eingeprägt.
Junge Menschen rangen mit dem Tod
Die jüngsten Patienten, die auf der Covid-Station behandelt wurden, waren 33 und 43 Jahre alt. Letzter ist an dem Virus verstorben. Der andere hat über Wochen gekämpft. Und das Team von der Intensivstation mit ihm. Am Ende überstand er die Erkrankung.
Beide zuvor kerngesund, beide ungeimpft. Es sei ein langer Leidenskampf gewesen, zwei und drei Monate hätten sie hier gelegen. Einer sei Vater eines kleinen Sohnes gewesen. Und beide hätten sie, kurz bevor sie ins künstliche Koma versetzt werden mussten, ihre Entscheidung bereut.
Es sind diese Schicksale, die die Pflegekräfte auch mit nach Hause nehmen, obwohl sie wissen, dass ihnen das nicht gut tut. "Da leidet unsere Seele mit. Aber was wären wir für Menschen, wenn uns das nicht nahe gehen würde?" Es sind keine Geschichten, die man im Freundeskreis erzählt, wenn die sich wieder über eine Maßnahme der Regierung beschweren oder weil sie beim Einkaufen mal für eine halbe Stunde eine Maske tragen müssen.
Keine Energie für Diskussionen mit Maskenmuffel
Zum Diskutieren fehlt im Feierabend die Energie. "Man geht nach solchen Tagen oft hier raus und ist einfach nur leer." Manche Freunde von Natalie Behr würden ahnen, dass sie auf der Intensivstation Dinge erlebt hat, die sich der normale Bürger draußen nicht einmal vorstellen kann. "weil sie mich kaum mehr zu Gesicht bekommen."
Seit über zwei Jahren Menschen auf diese Art sterben zu sehen - oft sei da nur noch Hoffnungslosigkeit. "Wenn Sie mich fragen, warum ich hier noch arbeite", sagt Natalie Behr, "würde ich antworten: Weil ich hier ein Superteam habe. Wir arbeiten Hand in Hand, stützen uns in kritischen Situationen und tauschen uns untereinander aus. Es ist der Umstand, dass die Ärzte uns als Pflegeteam vertrauen und wir eigenverantwortlich viel bewegen können."
Auf der Intensivstation gehört der Tod zur Arbeit
Der Tod gehört zu ihrer Arbeit dazu. Doch wie viele in kürzester Zeit gestorben sind, erklärt ihre Kollegin Joanna Müller, das sei frustrierend. "Im einen Moment haben sie noch normal mit dir geredet. Doch du hast schon gesehen, wie schlecht die Blutgasanalysewerte waren und wusstest, was das bedeutet."
Wenige Stunden später hätten die Patienten schon keine Luft mehr bekommen und mit ihren letzten Atemzügen gefleht: "Bitte lass mich nicht ersticken." Etwa 50 Prozent hätten es geschafft. "Die anderen konnten wir nur noch in den Tod begleiten. Und oft waren wir die letzten Menschen, mit denen sie gesprochen haben, die sie berührt haben."
Die Krankenpflegerin arbeitet seit 16 Jahren in der Intensivpflege. Doch solch surrealen Szenen wie in der Pandemie habe sie nie zuvor erlebt. Einmal, die Intensivstation war komplett belegt, da sei ein Mann eben erst gestorben, da sei schon der nächste Patient herein gefahren worden, der dessen Platz gebraucht hat.
"Wir mussten den Toten auf den Gang schieben." Und nie wird sie vergessen, wie in Bett Nummer 9 eine Frau nach langem Leiden gestorben ist, in den Armen ihrer Kinder. In Joanna Müllers Augen stehen die Tränen, als sie sagt: "Über diese Fälle sprechen wir noch heute und was sie mit uns gemacht haben. Und draußen gehen die Leute, aus teils unverständlichen Gründen, demonstrieren." Doch egal, wie schlimm das alles war: "Wir konnten auch viele retten. Und das gibt uns Kraft."
Kaum Geimpfte landen auf der Intensiv
Das, was in Medien immer wieder berichtet wird und was viele Bürger noch immer nicht wahrhaben wollen, können die Fachpflegekräfte auf der Intensivstation allesamt bestätigen: "Inzwischen landet hier so gut wie niemand mehr, der geimpft ist und nicht zur Risikogruppe zählt."
Die Unvernunft vieler Bürger baden sie aus. Drei, vier Stunden lang und ohne Pause auf der isolierten Corona-Station im wasserabweisenden Ganzkörperanzug, mit Haube und FFP3-Maske. "Du stehst stundenlang in deinem eigenen Saft, schwitzt, bist am ganzen Körper nass und verrichtest körperlich harte Arbeit. Bist du mit einem Patienten fertig, braucht dich schon der nächste."
Die Arbeit auf der Intensivstation ist ein Knochenjob. Nicht nur in Pandemiezeiten, sondern jeden einzelnen Tag. Drei Krankenpflegerinnen hieven einen älteren Mann, der an einem halben Dutzend Schläuchen hängt und über einen weiteren beatmet wird, vom Bett in einen Stuhl, der sich automatisch aufrichtet.
"Jeder Handgriff muss sitzen, und die ganze Zeit musst du höllisch auf die Schläuche aufpassen", erklärt Intensivschwester Claudia (30), während der Stuhl mit dem Patienten langsam nach oben fährt, legt eine Hand auf seinen Arm, spricht ihn mit seinem Namen an und sagt. "So, jetzt waschen wir Ihnen die Haare." Das, erklärt die erfahrene Krankenpflegerin, wäre theoretisch auch im Bett möglich. Aber es sei wichtig, dass die Patienten, wenn sie längere Zeit hier liegen, auch aufgerichtet, also mobilisiert werden.
Während Schwesternschülerin Michelle (19) dem Patienten den Kopf massiert, ihm das Haar kämmt und es dann vorsichtig trocken föhnt, entspannt sich der zuvor angespannte Gesichtsausdruck des alten Mannes. Und plötzlich lächelt er. "Sie genießen ja richtig", freut sich Schwester Claudia, die seine Hand noch immer hält.
Solche Momente seien die schönsten - und leider rar. "Die meiste Zeit ist es harte Arbeit. Aber ich kann am Ende sagen, dass ich meine Patienten von Kopf bis Fuß selbst wasche und pflege."
Bei Vorurteilen wie "Ihr putzt den Patienten doch nur den Hintern ab" können die Intensivpfleger nur den Kopf schütteln. "Alle, die hier arbeiten, sind Spezialisten", lobt Hubertus Ramm sein Team, der 2020 mitten in der Pandemie Stationsleiter wurde. Die Pflegekräfte intubieren die Patienten selbst, führen kontinuierliche Dialysen durch, rücken aus, wenn irgendwo im Krankenhaus jemand reanimiert werden muss...Alltag auf der Intensivstation.
Und während dort noch immer weiter Menschen an dem Corona-Virus sterben, rufen Angehörige von Covid-Patienten an und fragen, was der Vater denn nun hat, denn das Corona-Virus gibt es ja nicht. "Auch wenn uns das wütend macht, wenn sich Menschen nicht impfen lassen: Wir machen keinen Unterschied, behandeln alle gleich."
Ein kleiner Fehler, verheerende Folgen
Hubertus Ramm (42) hat vor 14 Jahren bei Regiomed seine Ausbildung zum examinierten Krankenpfleger absolviert, später die Zusatzausbildung zum Fachkrankenpfleger . Der Job ist nach wie vor ein Traumberuf, sagt er. "Wir kümmern uns um akut kranke Menschen. Das Schönste ist ihre Dankbarkeit und von ihren Angehörigen, wenn es den Patienten wieder besser geht."
Was viele nicht wissen: Krankenpfleger sind während ihrer Schicht für bis zu drei Patienten zuständig, und zwar komplett. Das bedeutet waschen, umbetten, Krankenbeobachtung und Behandlungspflege wie beispielsweise Verbandswechsel oder das Legen eines Blasenkatheters. Das bedeutet, die Intensivpfleger sind auch für die Medikation und - in Absprache mit den Ärzten - für deren Anpassung zuständig. "Dafür muss ich alle Medikamente genau kennen und was sie bewirken, denn die meisten wirken akut", erklärt Hubertus Ramm. Ein halber Milliliter zu viel könnte zur Folge haben, dass ein Patient plötzlich einen Blutdruck von 300 hat.
Große Arbeitsbelastung für die Pflegekräfte
Hinzu kommen die immer größer werdenden technischen Herausforderungen. Die Monitore für Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung und Blutdruck müssen überwacht werden, jedes Gerät blind bedient werden können. Alleine vier verschiedene Beatmungsgeräte gibt es auf der Intensivstation - jedes von einem anderen Hersteller, und jedes funktioniert anders.
Und: "Bei all den Monitoren darf man nie den Patienten vernachlässigen. Ein Blick genügt der erfahrenen Intensivpflegekraft und man sieht oft schneller, dass etwas nicht stimmt, als es der Monitor anzeigen kann." Zum Druck, dauerhaft konzentriert zu sein, kommt die ständige Alarmbereitschaft. "Es gibt Schichten, da ist es etwas ruhiger und es gibt solche, da ändert sich innerhalb einer Sekunde alles."
Das alles, gibt Hubertus Ramm zu, klingt wie aus einem dramatischen Kriegsfilm. Das Drehbuch schreibt aber kein Hollywood-Regisseur, sondern die Realität. "Es ist schwer, das nach außen zu vermitteln." Und wie Soldaten, die über das Erlebte oft nicht einmal mit ihren Partnern sprechen können, sind die Kollegen auf der Intensivstation wie Kameraden, die sich gegenseitig verstehen und stützen.
Warum die Lage weiter ernst ist und was sich ändern muss
Auch wenn sich die Lage, was schwere Corona-Verläufe betrifft, auf Coburgs Intensivstation für den Moment entspannt hat: Die Arbeit nimmt kein Ende. "Wir haben über Monate eine Welle von OPs vor uns hergeschoben, die nicht akut waren", erklärt Georg Breuer , ärztlicher Direktor und Leiter der Intensivstation . "Jetzt stehen wir wieder unter Druck, diese Welle abzuarbeiten."
Irgendwann, warnt Breuer, wird es für das Personal einfach zu viel. Das Verständnis für die Lage in den Krankenhäusern, das es zu Beginn der Pandemie vonseiten der Politik noch gab, sei inzwischen verhallt. "Ich wünsche mir, dass dieser ökonomische Druck abnimmt." Denn Daseinsvorsorge lasse sich nicht ökonomisch abbilden. "Wenn mit der Medizin Geld verdient werden soll, damit Aktionäre glücklich sind, wird es auf Dauer sehr schwer."
Es herrscht Pflegenotstand
Vielmehr müsse die Politik das Augenmerk mehr auf den Endpunkt der medizinischen Versorgung, auf die "Speerspitze", legen. Das, so der ärztliche Direktor, gelte selbstverständlich auch für die stationäre und ambulante Pflege. "Wir haben einen Pflegenotstand und können so Patienten auf Dauer nicht adäquat versorgen."
Ein großes Problem: Niemand aus der Gesundheits- und Krankenpflege vertrete bei der Gesetzgebung deren Interessen. Die Gewerkschaft ver.di stehe zwar für bessere Bezahlung und Arbeitszeiten ein. Aber einen bundesweiten Pflegeverband gibt es nicht. "Es geht nicht nur ums Geld. Am Ende läuft es immer auf eine bessere Personalausstattung hinaus. Der Beruf samt seinen Rahmenbedingungen muss insgesamt attraktiver werden."
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