0
Aktuelle Geschichte im Podcast
Nach Zeckenbiss: Mutter kämpft seit mehr als vier Jahren
Eine Familie gibt nicht auf: Juliane mit ihrem Ehemann und ihren Kindern.
Eine Familie gibt nicht auf: Juliane mit ihrem Ehemann und ihren Kindern. // Kris Beck
Juliane als Neustadter Puppenfee 2010.
Juliane als Neustadter Puppenfee 2010. // privat
Coburg – Wegen einer Zecke hat Juliane die Kontrolle über fast ihren ganzen Körper verloren. Aber die zweifache Mutter gibt nicht auf. In einem aktuellen Podcast spricht sie über ihr Schicksal.

Vor vier Jahren begleiteten wir mit dem Coburger Tageblatt die Familie Kuhnlein. Nach einem Schicksalsschlag musste sie ihr Leben neu meistern. Wie die vergangenen Jahre gelaufen sind, berichtet Juliane Kuhnlein aktuell in einem Podacs der Kollegen von Radio Eins.

Die Wahrscheinlichkeit, einen Sechser im Lotto zu haben, sei tausendmal höher. Tobias Kuhnlein wiederholt den Satz des behandelnden Oberarztes vom Klinikum Bayreuth immer wieder. Unfassbar schwer hat das Schicksal bei seiner schwangeren Frau zugeschlagen: Nach einem Zeckenstich im Juni 2020 erkrankte Juliane so schwer an der sogenannten Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) – einer viralen Infektionskrankheit, die zur Entzündung des Gehirns, des Rückenmarks und der Hirnhäute geführt hat. „Der schwerste Verlauf seit zehn Jahren“, wie Tobias vom Klinikum erfuhr.

Seither ist die zweifache Mutter vom Kopf abwärts nahezu komplett gelähmt und wird daheim von ihrem Mann und mehreren Pflegekräften und Therapeuten versorgt und intensivpflegebedürftig rund um die Uhr betreut.

Pflegebett im Wohnzimmer

Im Wohnzimmer steht das Pflegebett, Regale und Schränke sind mit medizinischen Geräten, Spritzen, Windeln, Medikamenten und Hygieneartikeln gefüllt. Jeden Tag kämpft die 30-Jährige ums Überleben, um kleinste Fortschritte. Ihre beiden Kinder Florentin und Laurena sind ebenfalls zuhause – mittendrin. Aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr ist ein Besuch in Krippe und Kindergarten nicht möglich.

Familie Kuhnlein: Tobias mit Laurena, Florentin und Juliane im Pflegebett.
Familie Kuhnlein: Tobias mit Laurena, Florentin und Juliane im Pflegebett. // C. Lehmann

„Jeder kleinste Schnupfen ist für Juliane lebensbedrohlich, da ihr die Kraft zum Abhusten fehlt und deshalb ersticken könnte“, sagt ihr Mann. Sechs schwere Lungenentzündungen musste sie in den vergangenen Monaten verkraften. Tobias hat zur Unterstützung mittlerweile Kinderbetreuung aus Bosnien angestellt.

Kein normales Leben in Sicht

Die vergangenen Monate waren eine Odyssee für die ganze Familie – wirkliche Besserung auf ein annähernd normales Leben ist nicht in Sicht. „Das kann sich keiner vorstellen“, sagt Tobias, der neben seiner Stelle als Berufsschullehrer in Kronach, die Organisation und stundenweise Betreuung seiner Kinder und seiner Frau übernimmt. Bis der Pflegedienst seine Arbeit aufnehmen konnte, musste er zwischen 80 und 90 Stunden pro Woche für pflegerische und bürokratische Angelegenheiten (Terminabsprachen, Korrespondenz Krankenkasse, Pflegedienst, Ärzten und Therapeuten) sowie die Planung des notwendigen Hausumbaus aufwenden. Mittlerweile sind es noch 50 Stunden.

„Finanziell sind wir an einer Grenze angekommen. Ich weiß nicht, wie ich alles bezahlen soll“, sagt der engagierte Vater. Die Kosten für ein barrierefreies Wohnen (Eingangsbereich, Bad, Aufzug) sowie ein Fahrzeug, mit dem Juliane in ihrem speziellen Rollstuhl transportiert werden kann, belaufen sich nach ersten Schätzungen auf über 350.000 Euro. Der Einbau eines Fahrstuhls sei zwingend notwendig, sagt Juliane, damit sie das Kinderzimmer und ihr Arbeitszimmer wieder erreichen kann. Denn eins hat sie sich ganz fest vorgenommen: „Ich möchte unbedingt wieder arbeiten – vielleicht im Personenstandsrecht.“

Notkaiserschnitt eingeleitet

Doch der Reihe nach. Was ist eigentlich genau passiert, nachdem Juliane einen Spaziergang mit ihrem Sohn Florentin gemacht hat und von einer Zecke gestochen wurde?

Einige Wochen nach dem Zeckenstich ging es Juliane schlagartig schlecht. Sie kam zunächst ins Krankenhaus Kronach, doch noch in derselben Nacht wurde sie aufgrund ihrer Schwangerschaft ins Klinikum Bayreuth verlegt. Dort verschlechterte sich der Zustand weiter. Die Symptome: multiple Lähmungen, Atemdepression, Schluck- und Sprachstörungen, Sehstörungen und Aufmerksamkeitsdefizite. Nur einen Tag später wurde ein Notkaiserschnitt eingeleitet und Laurena kam zehneinhalb Wochen als Frühchen zur Welt. Sie wurde auf die Kinderintensivstation verlegt.

Acht Wochen im Koma

Juliane war ins künstliche Koma versetzt worden und bekam davon gar nichts mit. Die Diagnose FSME in „schwerster Verlaufsform“ kam nach zweieinhalb Wochen. Insgesamt acht Wochen lag sie im Koma, musste künstlich beatmet und ernährt werden. Ihre Ernährung läuft immer noch über die Sonde, da Juliane nur schwer schlucken kann. Sie ist nahezu vollständig gelähmt. „Glücklicherweise ist Juli geistig so weit da, dass sie logisch denken kann, die aktuelle familiäre Situation begreifen, beurteilen und sich an Gesprächen beteiligen kann“, sagt Tobias. Nach Aussage der zuständigen Neuropsychologen sei sie geistig „vollständig orientiert“ und weise eine nach wie vor hohe Intelligenz und darüber hinausgehende sehr gute kognitive Fähigkeiten auf.

Juliane, die nach diszipliniertem Training und unglaublichen Kraftanstrengungen auf dem Handy Nachrichten verschicken kann, schreibt: „Ich bin definitiv noch die ,Alte', bei vollem Verstand.“

Podcast bei Radio Eins Coburg

Die Frau, die über Jahre ihre Heimatstadt Neustadt als Puppenfee repräsentiert hat und das Neustadter Christkind verkörperte, hat uns ihre Situation in bewegenden und ungewöhnlich offenen Worten geschildert, jetzt wieder im Podcast bei Radio Eins. 

Juliane als Neustadter Christkind 2008.
Juliane als Neustadter Christkind 2008. // privat
Inhalt teilen
  • kopiert!