Fassaden prägen unser Leben. Wie unsere Städte aussehen, hat beträchtlichen Einfluss auf unseren Alltag. Mehr noch: auf unser Wohlbefinden. Was macht eine gute Fassade aus? Und warum ist eine Fassade nicht nur eine Äußerlichkeit? Das zeigt aktuell die Kontroverse um eine geplante Fassadenmalerei an einem historischen Gebäude am Albertsplatz.
Aus verschiedenen Perspektiven beschäftigt sich Michael Heinrich seit vielen Jahren mit dem Thema Fassaden – als Professor und Studiendekan an der Hochschule Coburg, aber auch als Bühnenbildner mit Arbeiten für das Theater.
Zu dem geplanten Fasadengemälde hat Heinrich vor wenigen Tagen bereits deutlich Stellung bezogen und einen eigenen Entwurf ins Gespräch gebracht. Im Interview erklärt er, welche Fassaden in Coburg ihn besonders faszinieren – und was er vom ehrgeizigen Bauprojekt namens Globe hält.
Was fasziniert Sie am Thema Fassade? Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
Durch meinen Vater, der Regisseur war. Das fing sehr früh bei mir an. Das Theater habe ich später dazu genutzt, die Wirkung von Bildern und Räumen auszuprobieren. Im Theater geht es ja genau darum: dass ich echte Gefühle durch Schein auslöse. Da stellt sich natürlich die Frage: was ist denn echt? Muss physisch echt sein, was ich sehe? Muss die Botschaft echt sein? Oder meine Reaktion darauf?
In der Architektur hieß es ja oft, es muss authentisch sein. Das kommt sehr stark aus der klassischen Moderne, wo oft nach Materialgerechtigkeit oder Abstraktion gefragt wurde. Aber wenn wir die Natur anschauen, dann sehen wir, dass Oberfläche und Sein sehr oft unterschiedlich beschaffen sind.
Niemand würde einem Menschen vorwerfen, dass er eine Haut hat, die alles darunter liegende Funktionale verbirgt. Diese Wunsch nach Authentizität kommt aus einer verengten Sicht von Wahrheit. Für die menschliche Wahrnehmung ist oft sehr sinnvoll, dass die Oberfläche getrennt ist von Funktionen, die darunter liegen.
Gibt es für Sie eine Lieblings-Fassade in Coburg?
Es gibt natürlich Fassaden, die ich besonders schön finde. Die Frage ist nur: wie wichtig ist das, was ich persönlich schön finde? Ich mag tatsächlich die Ehrenburg sehr gerne, weil sie im Licht so schön reagiert mit ihren plastischen Strukturen, es gibt ein ordentliches Muster, fast schon eine Rasterung. Diese Struktur ist stark, aber nicht plump, es ist ein feines Spiel zwischen Flächen und Linien, es hat eine starke Vertikalität, auch das Material spielt eine Rolle.
Gibt es eine typische Coburger Fassade? Wie erleben Sie Coburg in dieser Hinsicht?
Coburg ist in gewisser Hinsicht typisch für eine Herzogsstadt in der Mitte Deutschlands, mit all dem , was eine solche Stadt hat – mit einem Marktplatz, einer schönen Hauptkirche, einer Nebenkirche, einem Schlossplatz, einem Theater, einer Burg – wie ein idealer Fürstensitz. Von daher hat Coburg alles, was man als typisch deutsch bezeichnen kann.
Die Art der Renaissance, die man im Casimirianum sieht oder im Zeughaus und dem Stadthaus, das ist so typisch für deutsche Renaissance. Typisch ist vielleicht der Coburger Erker – aber das ist schon etwas ganz Spezielles.
Coburg ist sehr ansehnlich. Es gibt wenige wirklich herausragende Fassaden, weil in der Zeit des 18. Jahrhunderts Coburg eher unbedeutend war. In der Zeit, in der anderswo Schlösser und Stadtpalais entstanden sind, gibt es in Coburg überraschend wenig. Das macht Coburg wieder wett durch den Charme der zusammenhängenden Straßenzüge.
Wie wirkt sich Architektur, wie wirken sich Fassaden auf unser Wohlbefinden aus?
Es gibt Forschungen in der Architekturpsychologie, die sagen, dass Menschen mit großer Mehrheit in sich kohärente Umgebungen präferieren. Natürlich unterscheidet sich eine barocke Fassade von einer gotischen, aber sie unterscheidet sich viel weniger davon wie eine moderne Fassade sich von einer des 19. Jahrhunderts unterscheidet.
Die Sprünge, die die Architektur rein ästhetisch gemacht hat, sind zwischen dem 19. und 21. Jahrhundert gigantisch. Das ist ein Problem unserer Freiheit. Wir können im Prinzip alles tun, aber wir wissen nicht mehr genau, was wir tun sollen.
Wenn Sie einen Schnitt durch die Zeitebenen der Stadt machen würden: Gibt es eine Zeit, die Sie besonders interessant finden?
Besonders interessant finde ich die Neugotik, dieser Ring von neugotischen Gebäuden um den Albertsplatz. Dieser Ring zog sich eigentlich um die ganze Stadt, die ganze Altstadt rum, ein paar dieser Gebäude sind auch schon abgerissen worden, man kann aber noch sehen, dass das eine sehr durchgängige Geschichte war. Das finde ich spannend.
Historische Bausünden in Coburg?
Ich scheue mich, nein zu sagen. Aber ich kann mir vorstellen, dass das, was heute als einer der schönsten Fassaden in der Spit gilt, das ehemalige Kaufhaus, da haben seinerzeit sicher viele gesagt: das passt nicht zu der traditionellen Coburger Architektur, die sonst in der Spit zu sehen war – der sichtbare Sandstein adelt ja das Gebäude, der große Giebel, auch die sichtbare moderne Stahlträgerkonstruktion. Für mich ist das eines der sehenswertesten Gebäude in dieser Straße.
Neubauten in einem historisch geprägten Stadtbild werden oft sehr kritisch gesehen. Wie stellt sich das in Coburg dar?
So ein Zankapfel ist ja immer der Kaufhof, da kann man natürlich bedauern, dass das weg ist, was vorher dort gestanden hat. Das hätte viel besser in die Straßenstruktur gepasst. Trotzdem ist das Kaufhof-Gebäude in sich sehr schlüssig gestaltet im Sinne der 70er Jahre. Wir haben eine sehr konsequente Gestaltung – ob sie schön ist, ist eine andere Frage.
Als Denkmalschützer würde ich fast sagen: lasst sie stehen. Da müsste erst mal etwas nachkommen, was tatsächlich besser ist. Immerhin ist es ein Blickfang, manche sagen ein scheußlicher Blickfang, aber es ist ein sehr klares Zeugnis für eine Epoche.
Wo sehen Sie gelungene Beispiele moderner Fassaden in Coburg?
Da fällt mir das Pfarrzentrum St. Augustin ein, das finde ich gelungen, wie es sich in die Umgebung einfügt, durchaus mit einer klassischen modernen Architektursprache.
Wie stehen Sie zum Thema Globe?
Insgesamt finde ich, dass der Ansatz sehr gut ist, allein ein Rundbau ist etwas, das wirklich rausfällt, es hat seine Tücken, aber es ist trotzdem schön, dass man sich dafür entschieden hat.
Wie stehen Sie zur Assoziation Gaskessel, die mit dem Globe gerne mal in Verbindung gebracht wird?
Ich fände das eher liebevoll, wenn es Erinnerungen weckt. Das ist ja eine der Funktionen, die Architektur hat. Das Globe ist herausragend in seiner Gesamtform. Man wird sehen müssen, wie das Umfeld gestaltet wird, man wird sehen müssen, wie es gelingt, das infrastrukturell einzubinden – das ist schon auch eine sehr spannende Herausforderung. Ich wünsche der Stadt, dass sie es schafft, das mit Leben zu füllen. Das ist dann der zweite Schritt.
Wie nehmen Sie das Kongresshaus wahr?
Ich finde das Kongresshaus, den alten Teil, sehr gelungen. Mit seiner geschwungenen Form, auch die senkrechte Aufgliederung. Den neueren Anbau finde ich dann nicht so gelungen.
Coburg und seine Fasssaden – wie fällt Ihr Fazit aus?
Coburg ist zum Wohnen sehr schön, es hat etwas sehr Heimatliches. Coburg hat auch etwas von einer Bühne, die Aufeinanderfolge von Räumen, wenn man zum Beispiel vom Hofgarten über den Schlossplatz Richtung Marktplatz geht.
Ein Leben zwischen Bühne und Hochschule
Michael Heinrich, 1966 in München geboren, studierte Bühnen- und Kostümgestaltung am Mozarteum in Salzburg (1986 bis 1992). Von Michael Heinrich stammen 27 gesamtverantwortliche Bühnen- und Kostümausstattungen zu Werken von Shakespeare bis Henze. Auch für das Landestheater Coburg hat er eine Reihe von Ausstattungen entworfen – darunter 2013 für die Uraufführung von Roland Fisters „Dorian Gray“.
Als Designer war er anfänglich bei Oscar-Preisträger Rolf Zehetbauer in den Bereichen Film- und Innenarchitektur, dann selbständig tätig.
Seit dem Jahr 2006 ist Michael Heinrich Professor an der Fakultät Design der Hochschule Coburg; von 2009 bis 2014 war er Vizepräsident der Hochschule. 2018 folgte eine Promotion in psychologischer Ästhetik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Fakultät Medizin, 2021/2022 eine Berufung als Visiting Fellow an die Universität Cambridge. Heinrich ist Studiendekan der Fakultät Design.
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